Bruderherzen: Flamenco-Wunderkinder Pepe & Paco De Lucía
Der verstorbene Paco de Lucía gilt als bester Flamenco-Gitarrist aller Zeiten. Wie gut er schon als Kind war, beweisen neu entdeckte Aufnahmen von Paco und seinem Bruder Pepe, die mehr als 60 Jahre alt sind.
Mit Wunderkindern ist das so eine Sache. Heutzutage beginnen ihre Karrieren oft auf Plattformen wie YouTube, wo man sich etwa den 12-jährigen Justin Bieber beim Singen ansehen kann. Das war früher nicht so – es gibt keine Aufnahmen des jungen Mozart. Paco de Lucía und sein Bruder Pepe, zwei Giganten des Flamenco, sind weit vor dem Internet geboren, und so haben Fans nie damit gerechnet, einen Blick in die Kindheit der beiden zu bekommen. Doch „Pepito y Paquito“ bietet genau das: 21 Tracks, aufgenommen in den Jahren 1959 und 1960, als Pepe und Paco gerade einmal 13 bzw. elf Jahre alt waren.
Ein Mann namens Quique Benitez hat die Tonaufnahmen gemacht, ein Freund der Familie – „für mich wie Familie“, sagt Pepe de Lucía, der seinen kleinen Bruder schon um zehn Jahre überlebt hat. 40 Jahre haben die Lieder in einem Schrank gewartet, bis sie zufällig gefunden wurden – immer noch in Algeciras, dem Geburtsort der Brüder. „Das Leben wollte, dass wir sie finden“, sagt Pepe. „Die Überraschung ist riesig, wenn du dich plötzlich selbst hörst und nicht wiedererkennst.“
„Pepito y Paquito“ von Pepe & Paco De Lucía: Bloß eine Zeitkapsel?
Als Zeitkapsel ist „Pepito y Paquito“ allemal interessant – doch was ist mit dem Album als Album? Es wird niemanden überraschen, dass die Lucía-Brüder schon als Kinder hervorragende Musiker waren. Tatsächlich ist nur an Pepes Stimme zu erkennen, dass hier nicht zwei Erwachsene am Werk sind. Natürlich kam das Können nicht aus dem Nichts: Beide Brüder wurden von ihrem Vater, ebenfalls Flamenco-Gitarrist, von klein auf gedrillt. Dabei war Paco der gehorsamere der beiden, wie sich Pepe erinnert. „Er hatte jeden Tag die Gitarre dabei und hat all die Stunden geübt, die mein Vater verlangt hat. Ich auf der anderen Seite habe es manchmal geschafft, mich davonzuschleichen und Unfug anzustellen“, sagt er und lacht.
In den Liedern selbst gibt es nur selten etwas zu lachen. Es sind 15 verschiedene Flamenco-Stile, die die Brüder durchmessen, oft inspiriert von damals aktuellen Veröffentlichungen von Stars der Szene wie Niño Ricardo: Tangos, Soleares, Bulerías und Pepes Lieblingsstil, die Sequiriya. Ihnen allen gemein sind Leidenschaft und Dramatik, oft grenzt die Atmosphäre an Schwermut – oder liegt das nur an der Vergänglichkeit, für die diese alten Aufnahmen heute stehen? Pepe selbst fühlt beim Hören Trauer und Schmerz, sagt er. „Vor allem Trauer, weil man sieht, wie die Zeit damals die Person reflektiert, die man jetzt wird – wenn das Alter einen wieder zum Kind macht.“
Auch sonst hält der Altmeister nichts vom Verklären: „Ich glaube an die Geburt und den Tod, nicht mehr“, sagt er. „Der Rest ist Überleben.“ Sicher spielt dabei auch der Verlust seines Bruders eine Rolle. „Ich wünschte, ich könnte ihm alles erzählen, was ich fühle“, sagt Pepe. „Wenn er zuhören könnte, würde ich ihm sagen, dass er mich beschützen soll.“ Ob Paco ihn hören kann, ist unmöglich zu sagen. Fest steht immerhin: Wer sich auch nur ein bisschen für Flamenco interessiert, sollte dieses Album hören.