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„Chabos“ bei ZDFneo: Toxisches 2006

"Chabos - Hinein ins Weekend Feeling": Die Chabos, PD (Jonathan Kriener), Gollum (Arsseni Bultmann), Alba (Loran Alhasan) und Peppi (Nico Marischka) starren entsetzt auf einen Bildschirm.
Peppi (Nico Marischka, r.) und PD (Jonathan Kriener, l.) haben zugelassen, dass Fotos von Gollums (Arsseni Bultmann, 2.v.l.) Freundin im Internet landen. Nur Alba (Loran Alhasan, 2.v.r.) weiß von nichts. (Foto: ZDF/Nikolaus Schreiber)

Als der 36-jährige Peppi nicht zum Klassentreffen eingeladen wird, arbeitet er die eigene Jugend im Jahr 2006 auf. „Chabos“ auf ZDFneo ist vor allem eine Absage an die Nostalgie.

„Stranger Things“ hat’s vorgemacht: Nostalgia sells. Wer eine Periode, mit der die Zielgruppe Erinnerungen verbindet, wieder auferstehen lässt, kann sich Kleinigkeiten wie Plot oder Figuren fast sparen. Seitdem hagelt es Zeitreisen in die 80er, zunehmend auch die 90er. Und jetzt ist der Rückblick-Trend in den 2000ern angekommen, die ja auch schon wieder zwei Jahrzehnte her sind. Oder wie Peppi (Johannes Kienast) in der ersten Episode von „Chabos“ – jetzt in der ZDF-Mediathek – erklärt: „Das ZDF will sich verjüngen! Durchschnittsalter: 65 Jahre. Jetzt machen sie ’ne Serie über mich, über uns.“

Zurück ins Jahr 2006

Klar, Peppi ist auch schon 36, und eigentlich ist er ganz zufrieden mit seinem Leben als ichbezogener Millennial mit Bindungsstörung. Bis er zufällig von einem Klassentreffen erfährt, zu dem er nicht eingeladen wurde. Das stürzt ihn in eine tiefe Krise, immerhin verklärt er seine Schulzeit bis heute. Vor allem die Jungsfreundschaften von damals. Also fährt der erwachsene Peppi zurück nach Duisburg, um vielleicht die Einladung zum Klassentreffen aufzutreiben, während die Serie uns mitnimmt zum 16-jährigen Peppi (Nico Marischka) im Jahr 2006. Damals waren er und seine Freunde, der Möchtegern-Macker PD (Jonathan Kriener), der brave Gollum (Arsseni Bultmann) und der ausgeglichene Alba (Loran Alhasan), unzertrennlich. Aber warum haben sie dann heute gar keinen Kontakt mehr?

Sommermärchen, ICQ, „Lenßen & Partner“ im Fernsehen, Klingeltöne auf dem Klapphandy laden, und natürlich ein Soundtrack, der von Linkin Park über Dr. Dre und Robbie Williams bis zu Silbermond alles bereithält, was damals im Radio lief. „Chabos“ bietet allen, die ungefähr in Peppis Alter sind, jede Menge Nostalgiefutter – und zugegeben, das macht schon immer mal wieder Spaß, vor allem, wenn die vierte Wand durchbrochen wird und Ikonen von damals wie Demian, Jeanette Biedermann oder Britt in der Serie Gastauftritte haben. Aber wie „Stranger Things“ ebenfalls vorgemacht hat: Auf Dauer reicht das natürlich nicht aus. Hier zeigt „Chabos“ seine wahre Stärke, denn die Serie ist eigentlich weniger als eine Ode an die Nostalgie als eine durchaus kritische Auseinandersetzung damit. Denn die 2000er, das bedeutete eben auch: Homophobie, Frauenfeindlichkeit und Rassismus, die noch viel normalisierter waren als heute. Ein Internet, in dem Jugendliche auf Seiten wie rotten.com landen konnten. Und vor allem ganz, ganz viel toxische Männlichkeit. Und so verlockend es sein mag, diese Ära zu romantisieren, wenn man seine eigene Jugend damit verbindet, so gefährlich ist es auch.

Es beginnt mit einem illegalen Download

Das muss auch Peppi bald feststellen, denn seine Erinnerungen kippen ziemlich bald ins Düstere. Es beginnt damit, dass die vier Kumpel „Saw II“ illegal aus dem Internet downloaden und bald darauf eine saftige Rechnung für Peppis Vater (Peter Schneider) ins Haus flattert. Da der aber generell gerade dauernd mit seiner Mutter (Anke Engelke) streitet, hat Peppi Angst, die Strafzahlung könnte endgültig zur Scheidung führen. Also muss das Geld anderweitig aufgetrieben werden. PD hat die rettende Idee: anzügliche Fotos von Gollums Schwarm Pinar an Mitschüler verkaufen. Das setzt eine Reihe von Ereignissen in Gang, an der die Freundschaft der Vier zerbrechen wird. In der Gegenwart trifft Peppi auf seine Kumpel von damals: Das Arschloch PD, das vor allem Macht über andere möchte, ist natürlich Polizist geworden. Gollum ist noch immer nicht über Pinar hinweg und zockt den ganzen Tag. Und Alba hat damals am meisten einstecken müssen …

„Chabos“ traut sich einiges

Serienmacher Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch sind selbst in den 2000ern im Ruhrgebiet aufgewachsen, umso höher ist ihnen anzurechnen, dass sie sich nicht in blinder Nostalgie verlieren. Dass ihre Serie, wie so viele deutsche Shows, von einer internationalen Vorlage inspiriert ist (in diesem Fall der BBC-Serie „Ladhood“), nimmt ihrem persönlichen Zugang nichts weg. Es ist mutig, in Peppi einen Protagonisten zu haben, der sich mit jeder Folge als problematischer und unsympathischer entpuppt, auch wenn wir erwartungsgemäß auf ein verhältnismäßig versöhnliches Ende hinsteuern. Dazu kommen technische Tricks wie Formatwechsel – die Gegenwart ist in Breitbild gefilmt, die Vergangenheit im schmaleren Normalbild –, WordArt-Untertitel und natürlich die Ansprachen, die Peppi direkt an die Kamera richtet. Später vermischen sich die Ebenen noch mehr, wenn sich der junge und der alte Peppi direkt gegenüberstehen. Stellenweise wackelt die Konstruktion – einerseits Nostalgie kritisieren zu wollen, sie zugleich aber auch unironisch einzusetzen, ist eben doch ein Widerspruch. Aber insgesamt ist „Chabos“ weit komplexer, als es zunächst den Anschein hat. Und am Ende ist man doch ganz froh, dass das Sommermärchen lange vorbei ist – obwohl manche Fans von damals, wie Peppi treffen bemerkt, die Deutschlandflagge nie wieder losgelassen haben …

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