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Phoenix in die Bresche

Closeup Portraitfoto von Charlotte Cardin
(Foto: Warner Music)

Charlotte Cardins Texte sind krass. Trotzdem funktioniert ihr Pop auch im Radio.

Es ist eine zur Genüge bekannte Geschichte: das Hadern mit dem Ruhm, mit dem Bild in der Öffentlichkeit, mit sich selbst. Die gerade mal 26-jährige Singer/Songwriterin Charlotte Cardin aus Quebec modelt, seitdem sie 15 ist, und war das Gesicht für das namhafte Modehaus Chanel, für das sie auch heute noch als Marken bot – schafterin tätig ist. Dass Cardin sich dennoch dazu entschlossen hat, ihr Innerstes mit der Welt zu teilen, mutet zunächst ganz schlüssig an.

Charlotte Cardin: Keine Angst vor Verletzlichkeit

Models und Schauspieler*innen, die singen, sind schließlich nichts Neues. Auch ihre zielsichere, radiotaugliche Mischung aus Folk, R’n’B und Elektronika suggeriert nicht etwa, dass eine Künstlerin hier auf Messers Schneide zwischen Verletzlichkeit und Star status balanciert. Stattdessen ließe sich beinahe denken, dass die Musik für Cardin ein sicherer Schutzraum ist, das Gegengewicht zum Modeln.

Doch dieser Eindruck täuscht: Wer genauer hinhört, wird bemerken, dass Cardin ihre tatsächlichen Gefühle nicht hinter tausendmal gehörten Liebes- und Trennungsgeschichten versteckt. Sie hat die vergangenen Jahre damit verbracht, die letzten Schutzmauern einzureißen, die nach ihren millionenfach gestreamten Debüt-EPs „Big Boy“ (2016) und „Main Girl“ (2017) noch übrig geblieben waren.

„Dieses Album hat zwei Jahre gebraucht, weil ich zu Beginn des Schreibprozesses versucht habe, die Kontrolle über das zu erlangen, was ich zeigen will“, sagt Cardin über ihr erstes Album „Phoenix“, an dem sie bereits 2019 zu arbeiten begonnen hatte. „Am Ende wurde es jedoch offensichtlich, dass ich die wahren Impulse stärker zulassen muss, damit meine Musik – und mein Leben – irgendeinen Sinn ergeben.“

„Phoenix“ stellt Widersprüche und Ambivalenz aus

Welche Früchte es trägt, wenn Cardin Verletzlichkeit und Widersprüchlichkeiten nicht nur zulässt, sondern ausstellt, zeigen zwei Songs, zwischen denen Cardin die ganze Ambivalenz einer Trennung aufspannt. „Hallelujah Baby, we’re no longer together“, singt sie in „Passive aggressive“ und in „Meaningless“ dann: „I can arrange meeting a stranger, forget you a day/but I can’t imagine what even happens beyond the pain.“ „Meaningless“ ist auch der Song, in dem Cardin sich der Unsicherheit nach der Trennung hingibt – und darin die Freiheit entdeckt: „See the sun leading us/to the land of the lost and the reasonless/hear the drum beating us/I forever surrender, the rest is meaningless.“ Von wegen Schutzraum.

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