In der Aufwärtsspirale: Chelsea Wolfe über „She reaches out to she reaches out to she“
Das siebte Album von Chelsea Wolfe ist das Ergebnis radikaler Veränderungen. Dabei hat die Songwriterin vor allem eins gelernt: Wie Kreativität ist auch Heilung ein Prozess ohne Ende.
Chelsea, du hast im Zuge der Arbeit an deinem neuen Album die Entscheidung getroffen, dich aus etwas Toxischem zurückzuziehen. War diese Entscheidung der Katalysator für das Album, oder sein Ergebnis?
Chelsea Wolfe: Diese Entscheidung war für mich nicht möglich, bis das Album fertig war. Es hat mir gezeigt, dass die Zukunft voller Möglichkeiten steckt – und es hat mich dazu gezwungen, das, worüber ich auf dem Album singe, in die Tat umzusetzen. Mein Heilungsprozess hat begonnen, als ich im Januar 2021 auf Alkoholentzug gegangen bin. Das hat mir erst den Raum gegeben, andere Teile meines Lebens ins Auge zu fassen, die aus den Fugen geraten waren. Aber nachdem das Album bereits fertig war, hat es noch eineinhalb Jahre gedauert, bis ich mich von anderen toxischen Elementen meines Lebens entfernen konnte. Das Album war und ist immer noch ein Lehrer für mich.
Du sprichst außerdem davon, dass Heilung ein zyklischer Prozess ist, und kein lineares Voranschreiten mit einem endgültigen Ziel. Siehst du die Musik auch so?
Wolfe: Kreativität ist auch zyklisch, ja. Es gibt immer wieder Zeiträume, in denen ich gar nichts Neues schreibe, deshalb konzentriere ich mich dann darauf, dem, was ich bereits habe, eine neue Form zu geben. Oder ich nutze die Zeit, um neue Inspiration zu finden oder mich auszuruhen. Der Heilungsprozess ist da ganz ähnlich: Manchmal ist es wichtig, sich aus seiner Komfortzone zu bewegen, und manchmal muss man sich Zeit nehmen, um zu ruhen. Das balanciert sich gegenseitig aus.
Nicht nur persönlich hast du große Veränderungen durchgemacht: Das Album ist auf der Höhe der Pandemie entstanden.
Wolfe: Ursprünglich war geplant, dass ich nach dem Ende meiner Tour im März 2020 mit meinem Team ins Studio gehe, um zusammen das Album zu schreiben. Da das natürlich nicht möglich war, hat die Arbeit wesentlich länger gedauert. Nach einer Zeit war ich dankbar für den Raum, den mir das gegeben hat, und ich habe viele Melodien und Texte überarbeitet. Der Song „Salt“ hatte etwa 2020 schon einen Refrain, und 2022 habe ich dann plötzlich eine ganz neuen Melodie und einen neuen Text geschrieben, der sich für mich natürlicher angefühlt hat. Es war etwas ganz besonderes, so viel Zeit mit diesen Songs verbringen zu dürfen. Und sie haben sich noch einmal weiterentwickelt, als wir endlich mit David Sitek ins Studio gehen konnten.
Auch die Musik auf dem Album ist immer in Bewegung und verändert sich.
Wolfe: Diese Veränderung war schon immer das, was mir im Kreativprozess wichtig ist. Aber dieses ist das erste Album, auf dem es keinen einzigen Song gibt, den ich im Nachhinein ändern oder wieder herunternehmen würde. Ich habe bei diesem Album nach und nach gelernt, besser zu kommunizieren. Mit mir selbst, mit anderen – und auch mit der Musik.