Cornershop
Erschöpfter Feminist
Cornershop klingen nach Sommer, Party, Wohlgefühl. Mit ihrem Mix aus Gitarren-pop, Dance und traditioneller indischer Musik sagen die fünf in England lebenden Indo-Briten Frustbeulen und Sesselpupsern den Kampf an. Doch Frontmann Tjinder Singh selber ist bei weitem nicht so gut gelaunt und kregel.
Tjinder Singh zieht genervt die Brauen hoch. Immerhin etwas, denn eben noch schien er dem Tiefschlaf näher als dem Mikro. Er zieht also die Brauen hoch, dabei ist ein Albumtitel wie „Handcream for a Generation“ doch durchaus der Nachfrage wert. „Der Titel hat keine eindeutige Aussage“, nuschelt er kaum lauter als das Grundrauschen des Aufnahme-geräts. „Es kann die ernstgemeinte Forderung nach einem sauberen, sorglosen Lifestyle be-deuten oder aber mit ironischem Unterton genau diese Lebensweise kritisieren.“
Nicht ein einziges Mal hebt er die Stimme. Müde und entkräftet sieht er aus, seine großen dunklen Augen hält er nur mühsam offen. Kein Wunder, denn kaum in Hamburg angekommen, steckt er mitten im Interview-Marathon. Und abends soll er auch noch einem nach drei Jahren Pause besonders neugierigen Publikum die aktuelle CD live vorstellen. Darunter auch die Single „Lessons learned from Rocky I to Rocky III“ – noch ein merkwürdiger Titel. Singh wettert in diesem Song gegen NuMetal-Bands, schimpft sie weiße Mittelschicht-Kids, die tun, als seien sie im Ghetto aufgewachsen.
„Ich will aber nicht diese Bands kritisie-ren“, stellt Singh klar, und schnell stirbt die Hoffnung, er würde jetzt munterer. „Die ei-gentliche Pest ist die Musikindustrie, die von Musikern lächerliche Dinge verlangt.“ Danach ist es bedrückend still, zu lange für eine ge-wöhnliche Redepause … Ist er etwa …? Nein, doch nicht. „Damit nehmen Cornershop sogar Michael Jackson in Schutz“, fährt er unver-hofft fort. „Der ist ja auch nur Opfer be-stimmter Erwartungshaltungen.“
Jetzt bleibt nur noch Provokation. Cor-nershop klingen nach „East meets West“-Crossover“, behaupte ich – eine Formulierung, die er hasst. Doch Singh verzieht nicht einmal die Mundwinkel. „Wir wollen nirgendwo ver-ortet werden, sondern absolut eigenständig sein. Definitionen schränken deine Kreativität ein“, belehrt er schlaftrunken. Ich versuche mich mit der endgültigen Niederlage abzufin-den, schiebe aber resignierend die Frage nach, ob man bei Cornershop denn von einer politschen Band sprechen darf. Singh stimmt zu. Allerdings will er sich von missionarischen Bands absetzten und eher indirekt Einfluß nehmen. Dabei versteht er die Stilvielfalt sei-ner Band als Aufforderung zu Offenheit und Toleranz. Plötzlich beugt sich Singh vor, seine Augen funkeln, zum ersten Mal wird seine Stimme lebendig: „Natürlich fühle ich mich manchmal auch allein. Uns fehlen die Mitstreiter.“ Beim Gedanken an die krachigen Gitarrenrock-Anfänge seiner Band umspielt sogar ein nostalgisches Lächeln seine Lippen. Zusammen mit all den Girlbands, die mit Punk gegen die Diskriminierung von Mädchen und Frauen protestierten, veröffentlichten Cor-nershop nämlich Mitte der 90er ihre ersten Alben. Ja, ja, damals, als Cornershop die ein-zigen männlichen riot grrrls waren …
„Es war großartig, als Jungsband dabei sein zu dürfen“, grinst er. Der Promoter klopft an der Tür, die Interviewzeit ist rum, und Singh sinkt wieder in sich zusammen. Immerhin: Kurzzeitig habe ich ihn zum Leben zu erweckt. Und während der feministische Protest die Leidenschaft des Cornershop-Mastermind weckt, werde auch ich in den Kampf ziehen. Contra überladene Zeitpläne! Pro ausgeschlafene Rockstars!
Carsten Schrader