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Im Corona-Lockdown den Virenkillern auf der Spur

Jörg Lehmann und Roland Krüger sind im Corona-Lockdown den Viren auf der Spur.
Jörg Lehmann (Hintergrund) und Roland Krüger (rechts): Die Virenkiller sind im Foyer der Hamburger Kabarettbühne Polittbüro im Einsatz. (Foto: Jürgen Wittner)

Im Corona-Lockdown ist Hilfe für die Kultur nötig. Roland Krüger und Jörg Lehmann helfen ihr, sich für die Zukunft zu rüsten.

Endlich wieder angstfrei Kultur genießen – gemeinsam mit anderen – wie kann das gehen? Ein Report mitten im Corona-Lockdown aus der der Welt der Ingenieure.

Montagmorgen. Es ist Corona-Lockdown in Hamburg. Vor dem Polittbüro schließt Gunter Schmidt die Eingangstür auf, um mich reinzulassen. Gemeinsam mit Lisa Politt tritt er regelmäßig als das Kabarettduo Herrchens Frauchen auf. Lisa Politt und er sind aber auch die Betreiber der Hamburger Kabarettbühne am Steindamm gleich hinterm Hauptbahnhof. Im Foyer dort ist jetzt einiges los. Roland Krüger und Jörg Lehmann sind angereist und packen Werkzeug, Materialien und Messinstrumente aus; sie sortieren alles, um ihre Arbeitsschritte effizient zu planen. Dazwischen beantworten die beiden Ingenieure die Fragen eines neugierigen Journalisten. Viele Antworten, die nicht den Weg in diesen Text gefunden haben, können hier im Interview nachgelesen werden.

Lehmann und Krüger sind seit Jahrzehnten Profis beim Bau von hocheffizienten Lüftungsanlagen für große und anspruchsvolle Räume. Ob Baumärkte, Operationssäle oder Bühnen: Die beiden kriegen alles keimfrei – und zwar komplett ohne Verwendung von Chemikalien. Sie nutzen die Physik. „Ich war auf der Suche nach umweltfreundlichen Technologien, die auf Basis naturidentischer Verfahren funktionieren“, sagt Krüger, „dabei bin ich auf Jörg gestoßen.“ Seit Jahren arbeiten die beiden jetzt schon zusammen. Das Interessante an Jörg Lehmann: Der Ingenieur, den die Sächsische Zeitung im März zum „Virenbekämpfer aus Kesselsdorf“ ernannte, hat im Bereich der Ionisierung und Aktivierung von Sauerstoff wichtige Neuerungen zur Produktionsreife gebracht und patentieren lassen. Diese Patente hat Lehmann an einen deutschen Marktführer verkauft; los ist er sie deshalb nicht – Lehmann vertritt die Firma beim Kunden. Roland Krüger hat sich unter anderem auf Theaterhäuser spezialisiert, ist Mitglied in der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft (DTHG) und weiß über die besondere Situation in Zuschauerräumen bestens Bescheid.

Jetzt aber müssen beide eine harte Nuss knacken, denn sie sollen in einfachen Worten erklären, was sie da tun im Polittbüro und was sie auch schon im Theater Chemnitz getan haben. Wie funktioniert die Ionisierung von Sauerstoff? „Negative Ionisierung ist ein falscher Begriff, der sich leider durchgesetzt hat“, verbessert mich Lehmann erst mal, ehe er ausholt: „Die Physiker sprechen von Affinität. Da kommt ein Elektron und lagert sich außen am Sauerstoffmolekül an, wodurch das ganze System elektrisch negativ aufgeladen wird.“ Mir steht wohl ein Fragezeichen ins Gesicht geschrieben, denn jetzt spricht Lehmann wie zu einem Kind: „Dieses jetzt negativ geladene Sauerstoffion nimmt dann einen positiv geladenen Schmutzpartikel oder Viren oder Bakterien huckepack und legt sie auf der nächsten Fläche ab, die anders geladen ist.“ Lehmann wird immer einfacher in der Wortwahl: „Dadurch kommt es zu einem Entladungsprozess, und – die Physiker mögen es mir verzeihen, ich muss es aber bildlich rüberbringen, damit es jeder versteht – die Viren und Bakterien werden zerstört. Das ist für die so, wie es für uns ist, wenn wir in die Hochspannungsleitung greifen.“

Virenkillern auf der Spur
Die Schaltanlage der Luftaufbereitung im Polittbuero Hamburg. Foto: Jürgen Wittner

Viren: Tod durch Hochspannung

Ah! Kapiert! Vom Ergebnis her verstanden! Die Viren sind tot – auch Covid-19? Krüger und Lehmann nicken. Lehmann fährt mit dem Unterricht fort. „Jetzt kommt die zweite Stufe, das Ozon. Ich weiß, es ist ein Reizthema. Aber wir haben es, und das ist gut, denn ohne Ozon könnten wir gar nicht leben.“ In dieser Anlage hat es eine ganz besondere Aufgabe. „Das Ozon löst die ganzen Reststoffe aus den Flächen auf. Dadurch haben wir auch keine Leichenteilchen.“ „Das Ozon putzt hinterher?“, frage ich. „Es macht richtig sauber“, nickt Lehmann zufrieden. „Während wir bei flüssigen Desinfektionsmitteln in die feinen Poren gar nicht reinkommen aufgrund der Oberflächenspannung, geht Ozon als Gas auch in ultrafeine Poren und macht dort sauber.“

Jetzt machen die beiden sich daran, die Anlage durchzumessen, rufen sich Zahlen und Kurzinformationen zu – unverständlich für den Laien die gesamte Kommunikation. Hochfahren der Anlage, Runterfahren, nochmaliges Hochfahren: Die Ionenkonzentration an den einzelnen im Raum verteilten Ionisatoren ist vorher schon gemessen worden, jetzt stimmt auch der Ozonwert wieder. Vor allem letzterer wird genau beobachtet. Sobald der Sensor am Lufteinlass der Lüftungsanlage einen zu hohen Wert misst, fährt die zentrale Steuereinheit die Ozonproduktion runter. Der eingestellte Wert liegt unter 50 Mikrogramm, was Lehmann so umschreibt: „Bei unserem Verfahren können keine gefährlichen Stoffe entstehen. Wir haben keine höhere Ozonkonzentration als die Waldluft.“

Doch was kann eine Anlage, die so gefährlich ist wie ein gesunder Wald? In Deutschland gibt es noch keine wissenschaftliche Studie, die eine nahezu hundertprozentige Ausschaltung von Viren und Bakterien belegt. Anders im Ausland. Stolz sagt Lehmann: „Wir sind seit 2006 mit unserer Anlage im größten Krankenhaus der Niederlande in Eindhoven. 21 Lüftungsanlagen sind nachgerüstet worden, die werden im Jahr mehrfach überprüft. Die Behörden dort sind nicht zimperlicher als unsere Behörden. Wir haben seit 2006 null Keime in den Operationssälen und null Feinstpartikel.“ Doch auch in Deutschland tut sich was. Derzeit laufen in Schwerin mit Viren, die zum Stamm von COVID-19 gehören, aber ungefährlich sind, Untersuchungsreihen in einem Labor. Dort wird die Anlage geprüft, schon im Dezember sollen die Ergebnisse vorliegen. Lehmann und Krüger sind sich jetzt schon sicher: Ihre Methode wird den Testraum nahezu ganz virenfrei kriegen. Die Rede ist von 99,99 Prozent. An solche Werte mag man mitten im Corona-Lockdown schon gar nicht mehr denken.

Bei all dieser Vorfreude hält Roland Krüger den Ball flach angesichts des Corona-Lockdowns. „Die Ionisierung der Raumluft“, sagt er, „ist eine ergänzende Maßnahme zu den bestehenden Pandemievorschriften, aber eine sehr wirksame, weil die Infektionskette dadurch erheblich unterbrochen wird. Wenn wir uns aber direkt ansprechen auf kurze Distanz, hat unsere Technologie auch keine Chance. Man muss sich also an alle bestehenden Vorschriften halten. Aber dadurch, dass die Aerosole in ihrem Flugweg abgebremst werden, besteht eine deutlich geringere Infektionsgefahr.“

Viren: Deutlich geringere Infektionsgefahr

Gunter Schmidt fragt mich, ob ich noch mit aufs Dach will. Klar! Jetzt zeigt er mir die Lüftungsanlage des Polittbüros, die dort oben angebracht ist. Um zwei Meter hat er im Sommer Zuluft und Abluft von Fachleuten trennen lassen, damit auf keinen Fall abgesaugte Luft aus dem Innenraum erneut reingeholt wird. Schmidts Umsicht kennt keine Grenzen: Zusätzlich zur Arbeit der Sensoren in der Lüftungsanlage misst er mit einem einfachen Messgerät den Feinstaub im Theater. Da mag die Arbeit von Krüger und Lehmann noch so solide sein – Schmidt übernimmt die Verantwortung vor Ort, wenn er und Lisa Politt das Theater wieder öffnen.

Es ist noch ein weiter Weg zurückzulegen, bis Covid-19 das Leben der Menschen hoffentlich nicht mehr bestimmt. Einige weitere Theater haben sich inzwischen bei Krüger und Lehmann gemeldet und nach den Kosten für die Anlage gefragt. Im Chemnitzer Kabaret haben Krüger und Lehmann wenige Tage nach dem Hamburger Termin ebenfalls ihre Anlage eingebaut. Auch wenn Anfang des neuen Jahres ein Impfstoff auf dem Markt sein sollte: Entspanntes Genießen von Kultur ist nur möglich, wo der Gedanke an den Virus nicht mehr wie der berühmte Elefant im Raum steht.

Jürgen Wittner

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