„Das deutsche Volk“ im Kino: Alleingelassen in tiefer Trauer

„Das deutsche Volk“ ist ein erschütternder Dokumentarfilm über die Angehörigen und die Überlebenden nach den rassistischen Morden von Hanau, über ihr Alleingelassenwerden durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft und durch die Behörden.
Neun junge Menschen wurden in der Nacht des 19. Februar 2020 von einem Rassisten in Hanau ermordet. Was die Überlebenden und Angehörigen in der Folge erdulden mussten, ist genauso Thema des Dokumentarfilms „Das deutsche Volk“ wie ihr Engagement bei der Aufklärung der Hintergründe dieser grausamen Morde. Marcin Wierzchowski hat einen so einfühlsamen wie ergreifenden, vor allem aber kritischen Film gedreht, der die Fehler der Behörden – von einfachen Versäumnissen verschiedener Ämter über haarsträumbende Fehler bei den Ermittlungen bis hin zur mangelhaften Umsetzung des Gedenkens im öffentlichen Raum Hanaus – aufdeckt, ohne dabei aktionistisch zu werden.
Immer ist da der unheilbare Schmerz: Ob nun Said Etris Hashemi erzählt, der schwer verletzt neben seinem sterbenden Bruder in der Arena-Bar lag, als der Attentäter dort fast alle Jugendliche erschoss; ob Piter Minnemann davon erzählt, wie seine vier Freunde in der Bar sterben, während er überhaupt nicht getroffen wird und nicht weiß, warum; oder ob Emiş Gürbüz ihrer Verbitterung freien Lauf lässt, weil sie glaubt, dass die Ermordung ihres Sohnes in der Bar vermeidbar war.

Weitere Angehörige der Ermordeten haben wichtige Rollen in Marcin Wierzchowskis Film: Çetin Gültekin tut alles, um die Umstände bis ins letzte Detail zu erfahren, warum sein Bruder in dieser Nacht sterben musste; Armin Kurtovic möchte den Namen seines Sohnes Hamza auf keinem Denkmal stehen haben, so lange nicht alle Details der Mordnacht aufgedeckt wurden, und Niculescu Păun trauert nicht nur um seinen Sohn Vili-Viorel, der den Täter im Auto verfolgte und verzweifelt versuchte, die Polizei zu erreichen, ehe er vom Mörder erschossen wurde: Niculescu Păun möchte ebenfalls Gerechtigkeit in der Form, dass alle Umstände und Fehler aufgedeckt werden, die dazu führten, dass der Mörder seine Pläne umsetzen konnte.

Die Liste der massiven Vorwürfe gegenüber den Behörden ist lang: Der Notausgang der Arena-Bar, in der die meisten der Ermordeten sterben mussten, war seit langem verschlossen, doch auch nach der rassistischen Mordnacht gab es keine Ermittlung gegenüber den Behörden, erst Armin Kurtovics Strafanzeige lies die Staatsanwaltschaft aktiv werden. Doch es kommt noch schlimmer: Die Notrufnummer der Polizei in Hanau funktionierte nicht, es dauerte über eine Stunde, ehe Einsatzkräfte vor Ort erschienen. Schließlich noch der Supergau für den deutschen Staat: Das in dieser Nacht eingesetzte Sondereinsatzkomando der Polizei musste später aufgelöst werden, weil es von rechtsradikalen, rassistischen Polizisten durchsetzt war. Das zeigt der Film zwar deutlich, aber doch nebenbei, denn im Zentrum von „Das deutsche Volk“ stehen die Angehörigen der Ermordeten und die Überlebenden, im Zentrum steht mit ihnen aber auch ihr Alleingelassensein in der deutschen Gesellschaft – vor der Tat und erst recht nach der Mordnacht von Hanau, als es ihnen nicht gelingt, ein Denkmal an zentraler Stelle in Hanau durchzusetzen. Die Entgegnung aus der Stadt: Ein solches Denkmal könne man gegenüber der deutschen Bevölkerung Hanaus nicht durchsetzen.