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Daughter im Interview zu „Stereo Mind Game“: Wie naiv ist das denn?

Daughter
(Foto: Marika Kochiashvili)

Sie haben uns einfach nur umarmt, wenn wir traurig gewesen sind – doch plötzlich geht es bei Daughter auch um unumgängliche Kompromisse.

Igor, sieben lange Jahre sind seit eurer zweiten Platte vergangen. Habt ihr selbst auch schon mit der Möglichkeit gespielt, dass es kein weiteres Daughter-Album geben wird?

Igor Haefeli: Es hat schon immer Pläne für eine weitere Platte gegeben. Aber nachdem wir 2016 extrem viele Konzerte gespielt haben und im Jahr darauf sehr intensiv mit der Arbeit für den Soundtrack zu einem Videospiel beschäftigt gewesen sind, brauchten wir einfach eine Pause. Wir wollten wissen, was neben Daughter in unserem Leben wichtig ist. Elena hat noch mehr Musik gemacht und als Ex:Re ein Soloalbum veröffentlicht. Ich habe Komposition studiert und mich auch mit dem Arrangieren auseinandergesetzt, während Remi eine Familie gegründet hat und Vater einer Tochter geworden ist.

Dabei hatte ja gerade „Not to disappear“ so viele Möglichkeiten aufgezeigt, wie es mit Daughter hätte weitergehen können: die Gitarren hätten noch ruppiger in den Vordergrund treten können, ihr hättet die Elektronik intensivieren können …

Haefeli: Ich glaube, all diese Möglichkeiten haben wir damals auch schon wahrgenommen. Wir haben vor der Pause ja auch extra noch eine Session in LA aufgenommen – als eine Art Absprunghilfe für später und auch als Rückversicherung, dass wir wirklich wieder zusammenkommen. Am Ende haben wir uns nicht für eine Möglichkeit entschieden, sondern all diese Elemente in „Stereo Mind Game“ einfließen lassen.

Chorgesang, Blechbläser, Streicher: Auf der neuen Platte passiert so wahnsinnig viel Neues – und doch fügt sich all das sehr stimmig in euren angestammten Sound ein.

Haefeli: Vielleicht liegt es daran, dass Elena und ich wirklich jede Note selbst geschrieben haben. Wir wollten die Weiterentwicklungen nicht ausstellen, und wir mussten auch nichts einfügen, was von außen gekommen ist. Ich habe sogar viele Passagen für Streicher geschrieben, obwohl die am Ende gar nicht von den Streichern gespielt worden sind.

Obwohl Elena in vielen ihrer Texte eine gescheiterte Beziehung verarbeitet, mit der räumlichen Trennung und dem vermeintlich unüberwindbaren Atlantik zwischen England und den USA hadert, ist „Stereo Mind Game“ für eure Verhältnisse ein überraschend optimistisches Album geworden.

Haefeli: Stimmt, wobei ich nun schon mehrfach das Feedback bekommen habe, verglichen mit unseren älteren Songs hätten wir einen sehr naiven Ansatz gewählt.

Wäre „Stereo Mind Game“ ein Debüt, würde ich das unterschreiben. Doch hier spricht die Band, die mit Songs wie „Youth“ und „Doing the right Thing“ die Traurigkeit zu einer Komfortzone erklärt hat.

Haefeli: Traurigkeit gehört zum Leben dazu, und wir haben uns für eine lange Zeit bedingungslos auf den Schmerz eingelassen. Viel spannender ist aber die Frage, wie man mit der Traurigkeit umgeht – ohne sie zu verdrängen oder willentlich auszublenden. Um ein erfülltes Leben zu führen, musst du staunen können, du musst zu einer Art Unschuld zurückfinden und irgendwie daran glauben, dass es doch noch gut werden kann.

Elena hat mir vor zehn Jahren gesagt, mit einem optimistischen Song könne man bei Daughter erst auf eurem Alterswerk rechnen.

Haefeli: Das hat sie damals so gesagt? (lacht) Nun, wir sind auf dem Weg dahin und so nah dran wie nie zuvor. Und verglichen mit unserer Anfangszeit fühle ich mich auch durchaus älter.

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