David Mitchell: Slade House
Seit „Der Wolkenatlas“ folgt man David Mitchell überallhin. Doch bei seinem neuen Roman „Slade House“ hat das fatale Folgen.
Ist man dem 49-jährigen Briten erst mal verfallen, sind persönliche Dünkel und Genrevorlieben plötzlich egal. Nachdem David Mitchell in „Der Wolkenatlas“ gleich sechs Genres in einem einzigen Buch gemeistert hat, schreckt man auch vor einem historischen Roman auf gut 700 Seiten nicht zurück, und seit zwei Jahren zählt man nun sogar eine Horrorschwarte zu den Lieblingsbüchern. An jenes „Die Knochenuhren“ knüpft sein neues, mit gut 200 Seiten für Mitchells Verhältnisse sehr schmal ausgefallenes Werk an: Irgendwo in England taucht alle neun Jahre in einer engen, düsteren Gasse ein Törchen auf. Wer hindurchgeht, dessen Seele ist verloren, denn dahinter liegt das von Norah und Jonah Grayer bewohnte „Slade House“. Für ihre Unsterblichkeit benötigen die Zwillinge in regelmäßigen Abständen eine frische Seele, und sie wissen ganz genau, wie sie die von ihnen auserkorenen Opfer anlocken können. Fünfmal spielt Mitchell diesen „Tag der offenen Tür“ jeweils aus der Perspektive des Opfers durch, und seine Psychogramme sind auch auf engstem Raum so tiefenscharf, dass man sogar für einen rassistischen Polizisten Mitleid empfindet. Wie gewohnt steckt auch „Slade House“ voller popkultureller und literarischer Bezüge, es gibt Querverweise zu Mitchells Backkatalog, und am Ende taucht sogar eine Figur aus „Die Knochenuhren“ auf. Im Vorbeigehen streift er die großen existenziellen Fragen, seine vom ewigen Leben besessenen Seelendiebe werfen aufschlussreiche Schlaglichter auf die gesellschaftliche Gegenwart, und mehr als je zuvor stellt Mitchell bei all dem auch sein humoristisches Talent unter Beweis. Selbst Neueinsteiger müssen diesen Roman nicht fürchten, denn der spannende Plot funktioniert auch ohne jedes Vorwissen. Warnen muss man sie natürlich trotzdem: Nach „Slade House“ werden sie viel Zeit und Geld in Mitchells Backkatalog investieren. cs
Ich habe das Gefühl, nach oben zu stürzen. Womit habe ich das verdient?
„Was hat das mit verdienen zu tun?“ Norah Grayer zieht die gezupften Brauen hoch. „Hat das Schwein, dessen geräuchertes Fleisch sie zum Frühstück verspeist haben, sein Schicksal verdient? Diese Frage ist bedeutungslos. Sie wollten Speck, das Schwein saß auf dem Schlachthof fest. Wir wollen Ihre Seele, damit wir weiterleben können, und Sie sitzen in unserer Lakune fest. So einfach ist das.“
David Mitchell Slade House
Rowohlt, 2018, 240 S., 20 Euro
Aus d. Engl. v. Volker Oldenburg