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Love and Devotion

Depeche Mode
Depeche Mode (Foto: Sony Music)

Seit Jahrzehnten sind die Fans Depeche Mode treu ergeben. Mit der Live-Doku „Spirits in the Forest“ widmet die Band ihnen einen Liebesbrief.

Berlin. Waldbühne. 2018. Es ist ohnehin schon einer der heißesten Tage des Jahres, aber dass die Luft brennt, hat nichts mit dem Sommer und alles mit dem Anlass des heutigen Abends zu tun: Depeche Mode beenden hier an zwei Abenden ihre „Global Spirit“-Welttournee. Eine schwarzgekleidete Prozession ist aus allen Ecken des Landes in die Hauptstadt gezogen, die neben U2 und David Bowie eben auch fest mit der Bandgeschichte der Synthpop-Legenden aus England verbunden ist. Zu sphärischen Synthesizer-Schwaden stakst Sänger Dave Gahan auf die Bühne, ehe der Beat, das dunkel kreisende Riff, das Lichtfeuerwerk zu „Going backwards“ einsetzt.

In seinem dunklen, entrückten Bariton stimmt er die ersten Zeilen an: „We are not there yet/We have not evolved“ – und in Sekundenschnelle haben Depeche Mode das gesamte Publikum der Waldbühne um den Finger gewickelt. Dafür braucht es noch nicht einmal einen Song aus der ellenlangen Liste an Hits, die sie in ihrer 40-jährigen Bandgeschichte geschrieben haben.

Natürlich kommen die trotzdem. Aber Band wie Publikum weiß, dass es des Hitfeuerwerks nicht bedurft hätte. Auch die neueren Songs – „Going backwards“, klar, aber ebenso „Where’s the Revolution?“ – funktionieren auf Anhieb, und das Publikum schenkt Gahan, Martin Gore, Andrew Fletcher sowie ihren langjährigen Tourmusikern Peter Gordeno und Christian Eigner vom ersten Moment an die volle Hingabe. Und die wird erwidert.

Gahan, Gore, Fletcher und Co. lassen sich nicht lumpen: „Enjoy the Silence“, „Personal Jesus“, „Stripped“, „Policy of Truth“ sowie eine Verbeugung vor ihrem Weggefährten und Berlin-Wahlverwandten David Bowie mit einem „Heroes“-Cover, das in der Waldbühne kein Auge trocken lässt. Zum Abschied der „Global Spirit“-Tour, nach über 115 Konzerten weltweit, spielen Depeche Mode – ebenso vorhersehbar wie absolut notwendig – „I just can’t get enough“.

Depeche Mode: Spirits in the Forest“ – Ein Porträt aus Sicht der Fans

Es ist nicht verwunderlich, dass diese Band, die über Jahrzehnte hinweg schier bedingungslose Treue seitens ihrer Fangemeinde genießt, sich oft mit diesem Themenkomplex aus Liebe, Ergebenheit und der höchsten Euphorie auseinandergesetzt hat. Für ihre Fans sind Depeche Mode mehr als eine Band, und das ist an diesem Abend in der Waldbühne deutlich zu sehen, in den Gesichtern der einzelnen Menschen, die vom Licht, das von der Bühne aus ins Publikum strahlt, erleuchtet werden.

Sechs von ihnen hat der niederländische Regisseur und Fotograf Anton Corbijn begleitet. Corbijn ist ein langjähriger Freund der Band, er hat mit Musikvideos, Plattencovern, Konzertfotos und Bühnenbildern ihre Ästhetik maßgeblich mitgestaltet. Aus den Geschichten dieser sechs Fans – und Corbijns Aufnahmen der beiden Konzerte in der Waldbühne – ist ein so ambitionierter wie feinfühliger Konzertfilm entstanden.

Depeche Mode: Spirits in the Forest“, jetzt im Rahmen des gleichnamigen Live-Albums auf DVD und Blu-ray erhältlich, ist ein Depeche-Mode-Porträt aus der Sicht ihrer Fans. Er zeichnet die vielfältigen persönlichen Bezüge seiner sechs Protagonist*innen zur Musik der Band nach und stellt sie in Verbindung mit der bedeutsamen Rolle, die sie in deren Leben gespielt hat.

Musik als Bewältigungsstrategie

Da ist die 22-jährige Indra Amarjagal aus der Mongolei. Sie lebt in einem Plattenbau in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar, gemeinsam mit ihrer Großmutter; beide haben sie dort ihr gesamtes Leben verbracht. Für Daniel Cassús, der aus Brasilien nach Berlin gezogen ist, um dort sein Coming-out zu haben und offen leben zu können, sind Depeche-Mode-Songs über Lust und Sünde, Selbstzweifeln und Vergebung ein Weg gewesen, die Schuldkomplexe der katholischen Kultur zu hinterfragen.

Auch der Amerikanerin Liz Dwyer hat die Musik von Depeche Mode dabei geholfen hat, eine Chemotherapie zu überstehen. Carine Puzenat litt jahrelang unter Depressionen, und im Zuge eines Unfalls verlor die Französin die Erinnerungen an ihre Familie und ihr bisheriges Leben – allerdings konnte sie sich noch an die Songs von Depeche Mode erinnern.

Christian Flueraru hat die letzten Jahre der kommunistischen Diktatur seiner Heimat Rumänien mit Raubkopien von Depeche-Mode-Alben bewältigt, und der Kolumbianer Dicken Schrader ist mit seinen zwei Kindern im Internet damit berühmt geworden, Depeche-Mode-Songs zu covern.

Persönliche Perspektiven

Anton Corbijn verwebt die unterschiedlichen Schicksale und den Weg der einzelnen Protagonist*innen nach Berlin mit Aufnahmen der Konzerte in der Waldbühne. Durch den Film wird einmal mehr deutlich: Die Gefühle und die Ereignisse, denen Depeche Mode sich in ihrer Kunst widmen, sind so universal wie unmittelbar. Es ist der wohl berührendste Moment des Films, wenn Dicken Schrader, dessen Ex-Frau mit ihren zwei Kindern von Bogota nach Miami gezogen ist, erzählt, wie viel ihm der Song „Precious“ bedeutet.

Und nach „Spirits in the Forest“ wird man es einmal mehr mit gänzlich anderen Ohren hören, wenn Dave Gahan singt: „Things get damaged, things get broken/I thought we’d manage, but words left unspoken/Left us so brittle, there was so little left to give/I pray you learn to trust, have faith in both of us/And keep room in your heart for two.“

Joern Christiansen u. Jonah Lara

Spirits in the Forest erscheint am 26. Juni.

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