„Der Phönizische Meisterstreich“ von Wes Anderson: Vater im Himmel

Nach einigen Experimenten kehrt Wes Anderson zu seinen klassischen Themen zurück – unterstützt von einem (mal wieder) perfekten Ensemble.
Wann immer ein neuer Film von Wes Anderson in den Kinos startet, ist die Reaktion dieselbe: Ein Teil des Publikums erklärt, der Regisseur habe alle Inhalte hinter sich gelassen, stelle Stil über Substanz, sei zur Parodie seiner selbst geronnen. Das geschieht mit schöner Regelmäßigkeit spätestens seit „Die Tiefseetaucher“ von 2004. Mehr als 20 Jahre später bringt Anderson „Der Phönizische Meisterstreich“ auf die Leinwand, und es ist abzusehen, dass diese Kritik erneut laut wird.
Dabei ist es ja nicht so, als würde Anderson keine Experimente wagen – sie finden nur eben nicht auf der visuellen Ebene statt. Seine letzten drei Kinofilme – die vier Kurzfilme, die er zuletzt für Netflix gedreht hat, mal beiseite gelassen – zeigen das sehr deutlich. Da ist mit „Isle of Dogs“ einmal ein Stop-Motion-Film mit expliziter – wenn auch missglückter – politischer Botschaft, die Anthologie „The French Dispatch“ und zuletzt „Asteroid City“, Andersons erster Science-Fiction-Film und zugleich ein Meta-Verwirrspiel, das sich im Verlauf auch noch als ernste Selbstbefragung des Regisseurs entpuppt.
Zurück zur Einfachheit
Für alle, denen das zu anstrengend war, kommt „Der Phönizische Meisterstreich“ wie gerufen. Hier kehrt Anderson zurück zur Einfachheit – und zu seinem Kernthema: der Beziehung zu einem übermächtigen, aber entfremdeten Vater. Der heißt hier Zsa-zsa Korda (Benicio del Toro), ist internationaler Geschäftsmann, der von Auftragskillern wie Finanzinstituten verfolgt wird, und ruft seine einzige Tochter Liesl (Mia Threapleton) zu sich, um sie zu seiner Erbin zu machen. Die will eigentlich Nonne werden, aber schließt sich ihrem Vater und dessen Tutor/Sekretär Bjørn (Michael Cera) an, um dessen größtes Projekt überhaupt umzusetzen – und vielleicht seine Seele zu retten.
Es folgt eine Odyssee im Privatflugzeug, um die Gelder für ebenjenen Meisterstreich zu sichern, bei dem es um die finanzielle Ausschlachtung eines ganzen Landstrichs geht. Das Trio klappert eine Reihe von Investoren ab, die von Riz Ahmed, Bryan Cranston und Tom Hanks, Mathieu Amalric, Jeffrey Wright und Scarlett Johansson gespielt werden, nur um jedes Mal mit weniger Geld als erhofft weiterzuziehen. Bleibt am Ende nur noch Zsa-zsas Bruder Nubar (Benedict Cumberbatch mit Stummfilm-Kajal und Rauschebart), der allerdings gar nicht gut auf ihn zu sprechen ist – und womöglich Liesls Mutter auf dem Gewissen hat …
Die Magie von Benicio del Toros Stimme
Die Details der Handlung sind dabei vielleicht mehr als je zuvor Beiwerk: Wer genau warum wie viel Geld beisteuert, ist uns herzlich egal, auch, weil der titelgebende Phönizische Meisterstreich ein explizit unmoralisches Unterfangen ist („Ich glaube, die Sklaven werden entlohnt“, sagt Zsa-zsa nonchalant). Doch genau das ist die Stärke des Films, denn der Fokus liegt so umso eindeutiger auf der Dynamik zwischen Vater und Tochter. Zsa-zsa steht in der Tradition von Anderson-Vätern wie Royal Tenenbaum oder Steve Zissou, ist aber ein noch deutlich schlechterer Mensch, zumindest am Anfang des Films.
Del Toro spielt ihn als einen Mann, dessen Reichtum und Macht ihn zu einer Naturgewalt gemacht haben: Die Menschen um ihn herum sind nur Rädchen in seinen Plänen, jedes Gespräch verkommt früher oder später zum Monolog. Tatsächlich spricht del Toro so viel, wie kaum je ein:e Schauspieler:in zuvor in einem Anderson-Film gesprochen hat. Wie schon bei Alec Baldwins Erzähler in „The Royal Tenenbaums“ hat man den Verdacht, dass Anderson womöglich einfach in den Klang von del Toros Stimme verliebt ist – und wer könnte es ihm verdenken?
Das perfekte Ensemble
Threapleton als sein Gegenüber findet die schwierige Balance zwischen spiritueller Selbstsicherheit und emotionaler Verwundbarkeit. Anderson hat seine Regieanweisung des schnellen, flachen Sprechens bei beiden auf die Spitze getrieben, was allerdings nur selten irritiert, weil es zu den Figuren passt. Und mit Michael Cera tritt ein Darsteller in den Kosmos des Regisseurs, bei dem man sich im Nachhinein fragt, warum das so lange gedauert hat, so perfekt geeignet ist er für Andersons Duktus.
Über den Rest des Ensembles ist wenig zu sagen – sie alle machen genau den Job, den man von ihnen erwartet, aber sie machen ihn sehr, sehr gut. Auch stilistisch gibt es wenig Überraschungen: Zsa-zsas luxuriöses Haus (mit echten Gemälden an den Wänden, wie der Abspann verrät), das Privatflugzeug, ein Tunnel in der Wüste, ein Dschungel, ein Damm und ein Schiff – alles ist inszeniert und gefilmt, wie Anderson solche Dinge nun einmal inszeniert und filmt.
Bill Murray ist Gott
Der größte Ausbrecher, sowohl narrativ als auch stilistisch, sind dabei die Visionen eines Jenseits, in denen Zsa-zsa auf verstorbene Verwandte und schließlich sogar auf Gott (Bill Murray, natürlich) trifft. In Schwarz-Weiß gehalten, erinnern sie ans Weimarer Kino und an Bergmanns „Wilde Erdbeeren“, und es ist interessant, dass Anderson der Vaterfigur Zsa-zsa selbst eine noch übermächtigere Figur entgegenstellt. Doch während „Asteroid City“ die Grenzen zwischen den Realitäten noch bewusst verwischt hat, lassen sich diese Abstecher ins Jenseits jederzeit als Träume wegerklären. Und obwohl Zsa-zsa mit seinem Organisationstalent, seiner Kontrollsucht und seinen moralischen Fehlern unschwer als überzogenes Spiegelbild des Regisseurs erkennbar ist, nimmt diese Ebene nie überhand. Auch die religiösen Untertöne sind da, lassen sich aber ignorieren – eine ernüchternde Szene wie der ertrunkene Junge in „The Darjeeling Limited“ fehlt.
Stattdessen überwiegt jederzeit die Unterhaltung. „Der Phönizische Meisterstreich“ ist lustiger als viele Anderson-Filme zuvor, ein verstärkter Fokus liegt zudem auf Action und Slapstick. Wie viele Filme zeigen gleich zwei Flugzeugabstürze, einen Tauchgang durch Treibsand, diverse Explosionen und ein amateurhaftes Basketballmatch? Wer die todernsten Untertöne von „Asteroid City“ genossen hat, wird von diesem Film womöglich enttäuscht sein. Wieder andere werden genau diese Leichtigkeit zu schätzen wissen. „Der Phönizische Meisterstreich“ ist keineswegs Andersons Meisterstreich – aber sein zugänglichster Film seit „Grand Budapest Hotel“.