Der Schmetterlings-Defekt: „Lepidoptera“ von Dominik Eulberg
Wenn Soundbastler Dominik Eulberg sein neues Album den Schmetterlingen widmet, ist das nicht nur ein Aufschrei ob der bedrohten Biodiversität, sondern auch ein Schulterschluss aus Wissenschaft und Kunst.
Hießen die Vorbilder anderer Jungs seiner Generation Lothar Matthäus oder Axl Rose, waren es beim 1978 geborenen Dominik Eulberg stets Tiere. Genauer: Schmetterlinge. „Das waren meine großen Idole“, schwärmt Eulberg mit leuchtenden Augen. Ohne Fernseher oder Medien groß geworden, ist er draußen staunend herumgerannt, die Natur sein Entertainmentsystem. Und bis heute hat sich an dieser Faszination wenig geändert. Selten trifft man Menschen, die sich ihre Begeisterungsfähigkeit so sehr bewahrt haben wie Eulberg. Seit 15 Jahren lebt er nun wieder im Westerwald, seiner Heimat. Nah an der Westerwälder Seenplatte, perfekt zum Beobachten der Vögel, und: zum Musikmachen. Denn neben seinen unzähligen Tätigkeiten als Autor von Wissensbüchern, Botschafter vieler Naturschutzorganisationen und des Naturkundemuseums Berlin oder Mitwirkender für ein Projekt des Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt ist Eulberg Produzent und DJ.
„Lepidoptera“ von Dominik Eulberg: Zwölf vertonte Schmetterlinge
Wie schon die vorherigen, ist nun auch Eulbergs siebtes Album nicht von seiner sonstigen Arbeit zu trennen. Schließlich versteht er sich selbst als transdisziplinär arbeitenden Wissenskommunikator. Kunst und Wissenschaft liegen sich bei Eulberg in den Armen. „Um einen holistischen Blick zu gewinnen, sollte man Kunst und Wissenschaft gleichermaßen ausbilden“, zitiert er frei die Humboldt-Brüder, und so ist sein neues und nach dem wissenschaftlichen Ordnungsnamen der Schmetterlinge benanntes Album „Lepidoptera“ nicht weniger als ein Liebesbeweis an die Schuppenflügler und ein Appell ob der so arg bedrohten Biodiversität. Ein Blick ins Booklet reiche aus, um zu verstehen, dass Biodiversität uns alle angeht, so Eulberg. Dort zu sehen: ein etymologischer, phänologischer und evolutionsbiologischer Abriss der zwölf Schmetterlingsarten, denen Eulberg sein Album gewidmet hat. „Wunderfakten“, wie er es nennt. „Vielfalt ist keine romantische Folklore oder links-grüne Spinnerei, sondern ein uraltes Grundprinzip der Natur zum Erhalt des Lebens“, führt er fort. „Je diverser ein System, desto resilienter.“
Doch da wäre noch eine andere, nicht ganz so hehre Inspiration dieses Konzepts. Schließlich habe Eulberg regelrecht Angst davor, neue Musik zu machen. Musikmachen, so der 47-Jährige, sei wie „ein Meer der unendlichen Möglichkeiten, in dem man auch schnell ertrinken kann.“ Damit war früh klar: Zwölf der 3 700 in Deutschland beheimateten Schmetterlinge werden zunächst bis ins kleinste Detail studiert und anschließend vertont: klare Grenzen. Herausgekommen ist ein Sound zwischen Ambient und Techno. Mal filigran, mal majestätisch. Ein bisschen wie die Schmetterlinge selbst.
Aber wieso gerade Schmetterlinge? Manche Schmetterlingsarten, wie etwa das Kleine Nachtpfauenauge hier auf dem Album, haben weder einen Mund, noch einen Darm, erklärt Eulberg. Sie nehmen keine Nahrung zu sich, finden über Pheromone zueinander: Sie leben, um zu lieben. „Und nur was wir lieben, schützen wir auch – und die Initialzündung dafür ist immer das Staunen“, so Eulberg. Und nur die Kunst kann die Fakten der Wissenschaft in Emotionen und damit in Liebe verwandeln. Spricht man mit Eulberg, kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Er hat sich den kleinen Jungen, der begeistert durch die Natur stapft, bewahrt und ist trotzdem kein baumumarmender Hippie geworden. Im Gegenteil: Die Biodiversitätskrise sei ein systemisches, profitgetriebenes Problem, das nicht in unseren Gärten oder auf unseren Balkons gelöst werde, erklärt er. „Wir können noch so viele Insektenhotels aufstellen, das ist alles ein Scheißdreck, das bringt gar nichts.“ Augenwischerei und Ablasshandel sei das. Die Politik versäume es aktuell, die Evidenzen in Gesetze zu gießen. Da ist die Kunst viel weiter. Sie verwandelt die Fakten in Geschichten. So wie es Eulberg schon immer macht.