„Der Tote von nebenan“: Der Mord als Spitze des Eisbergs

„Der Tote von nebenan“ ist die Dokumentation eines Verbrechens, das von Wales bis Neuseeland reicht. Der Dreiteiler läuft bei ZDFinfo und kann in der ZDF-Mediathek gestreamt werden,
Mit einem Toten in in einem Hinterhof in Wales beginnt alles. Dann reichen die Ermittlungen bis in die 1990er zurück, und im Walisischen Dorf Beddau ist nichts mehr wie vorher. Eine Frau, die einen Witz zu viel machte über ein vermeintliches Gerippe, das angeblich im Hinterhof in Plastik eingewickelt liegt, wird wegen Mordverdachts verhaftet und wieder aus der Haft entlassen, mit Leigh Sabine rückt eine Verstorbene in den Fokus der Ermittlungen, und dann ist alles noch viel komplizierter und immer mehr Menschen einer Familie sind betroffen. Die Dokumentation „Der Tote von nebenan“ kann in der ZDF-Mediathek zwei Jahre lang gestreamt werden und läuft bei ZDFinfo.
Wann möchte man eine Doku über ein schweres Verbrechen wirklich sehen? Was bringt einem das? Wann kann eine Doku an einen Spielfilm heranreichen, einen Krimi oder Thriller, der ein ähnliches Verbrechen zum Plot hat? Regisseur Gareth Johnson wendete eine durchaus interessante Methode an, diese Doku zu drehen. Er entfächert die Geschichte sukzessive immer weiter und kommt mit immer mehr Material um die Ecke, bis man kaum mehr glauben mag, was man da sieht. Allerdings macht es Johnson das Material zur letztlich überführten Mörderin auch leicht, diesen Dreiteiler zu drehen. Warum? Er kann sein eigenes Material mit dem Filmmaterial von australischen TV-Anstalten anreichern, das schon in den 90ern in Neuseeland über die spätere Mörderin im Fernseher gelaufen ist. So entsteht beim Sehen der Doku „Der Tote von nebenan“ nicht nur ein von den Bewohnerinnen und Bewohnern Beddaus lebendig gezeichnetes Bild der sozialen Verhältnisse ihres Dorfs in Wales, sondern auch das Bild einer erschreckend brutalen Frau, die so gerne ein Musicalstar geworden wäre und dann doch nur oft ihren Wohnort, ja sogar den Kontinent wechselt, um ihrem Leben immer wieder aufs Neue einen völlig neuen Schein zu geben, den sie dann über Jahre mit einer Lüge nach der anderen aufrecht erhält. Das macht sie so geschickt, dass alle ihre abgrundtiefen Geheimnisse erst nach ihrem Tod ans Tageslicht kommen. Wer die Leiche ist, die im Garten von Leigh Sabine gefunden wurde, wird ebenso spät erst geklärt wie überhaupt der Zeitpunkt des Totes, bei dem sich die Gerichtsmedizin irgendwann um Jahre korrigieren musste. Um noch mal auf das TV-Material aus Australien zurückzukommen, Leigh Sabine wird von einer ihrer Töchter in diesem Filmmaterial so geschildert: „Meine Mutter war ein furchtbar böses, herzloses Miststück“. Kein Wunder, hatte Leigh Sabine in Neuseeland gemeinsam mit ihrem damaligen Mann ihre fünf Kinder einfach in einem Heim abgegeben und war dann untergetaucht. Dieser Fall von Eltern, die ihre Kinder einfach verstoßen, erregte damals immenses Aufsehen, die Jugendlichen gingen an die Öffentlichkeit, es entstand ein großer Streit in der Familie, die fünf Kinder waren sich selbst nicht einig, wie man mit der hartherzigen Mutter umgehen sollte, und entfremdeten sich untereinander bis hin zum völligen Bruch. Gleichzeitig fragt man sich nach dem Sehen dieses Dreiteilers, wie sehr das Recht auf ein ureigenes Privatleben in der bürgerlichen Gesellschaft alle Möglichkeiten öffnet, sich innerhalb der Familie toxisch bis in den Tod anderer zu verwirklichen, ohne dass dies auffällt. Und wenn Sie sich jetzt fragen, wo denn Leigh Sabines Mann in dieser Geschichte vorkommt: Denken Sie mal nach, wo der wohl sein könnte.