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Dicker als Wasser: Villa Merkel, Esslingen

Was heißt Familie heute? Eine Ausstellung in Esslingen sucht nach Antworten

Die Familie ist wahlweise die Keimzelle der Gesellschaft oder aber die kleinste Einheit des Horrors des Zusammenlebens – je nachdem, ob man von rechts oder von links, von staatstheoretischer oder psychoanalytischer Perspektive auf den Komplex schaut. Insbesondere die Frage, was denn eigentlich eine Familie sei, entwickelt sich immer mehr zum politischen Kampfplatz, und es verwundert, dass die Kunst das Thema bislang noch nicht entdeckt zu haben scheint.

Die Esslinger Villa Merkel will das ändern und untersucht bis 26. Februar die Frage nach dem Bedeutungswandel der Familie mittels künstlerischer Strategien, unter anderem von Candice Breitz, Omer Fast und Nan Goldin.

Ein Aufsatz über Verena Jaekel, die an „Dicker als Wasser“ beteiligt ist

Wer are Family
Familie ist ein zutiefst unspektakuläres Konzept – über das man sich trefflich in die Haare bekommen kann. Nicht für Verena Jaekel.

„Die Deutschen bekommen zu wenig Kinder, über kurz oder lang werden uns die fortpflanzungsfreudigen Muslime verdrängt haben“, behaupten die Rechten. „Die Familie ist Faschismus im Kleinen“, kontern die Linken. „Der Mensch braucht Familie, in der Familie regeneriert er sich für die Belastungen der Arbeitswelt“, wissen die Liberalen. „Die Familie stört vor allem die grenzenlose Mobilität der heutigen Arbeitswelt“, sind die Neoliberalen skeptisch.

Die Familie ist augenscheinlich einer der größten politischen Zankäpfel der Gegenwart. Dabei ist noch nicht einmal klar, was Familie eigentlich ist. Heute sprechen wir meist von der bürgerlichen Kleinfamilie, Vater, Mutter, Kind – eine Sicht, die sich auch im eigentlich von progressiver Seite vorgebrachten Argument „Familie ist da, wo Kinder sind“ zeigt. Dieses Familienbild existiert allerdings erst seit der vorletzten Jahrhundertwende, was seine eigene Brüchigkeit schon verdeutlicht. Allein: Jede Seite glaubt, zu wissen, was Familie nun korrekt ist.

Die meisten zeitgenössischen Künstler der Ausstellung „Dicker als Wasser“ betonen ihre kritische Distanz zu Familienmodellen. „Welche Bedeutung hat Familie angesichts globalisierter Arbeitsbedingungen und pluralisierter Lebensformen heute noch? Inwiefern ersetzen Netzwerke und Freunde klassische Familienstrukturen?“, das sind Fragen, die ihre Skepsis gegenüber der Familie als sinnstiftender Struktur kaum verhehlen können, und Künstler wie Omer Fast, Byung Chul Kim und Gillian Wearing bringen diese Skepsis in eine durch und durch ästhetische Form.

Anders Verena Jaekel. Die 1980 geborene Berlinerin beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit der Ästhetik des Familienporträts, einer streng hierarchischen Form, die in der Malerei des 15. Jahrhunderts ihren Ursprung hat und bis heute in Fotografien fortgeführt wird: Meist ist im Zentrum das männliche Familienoberhaupt zu sehen, um das sich ein wenig kleiner die dienende Gattin sowie ganz klein die Nachkommen sammeln. Jaekel fertigt in ihrer 2005 und 2006 entstandenen Serie „Neue Familienportraits – New Family Portraits“ solche Fotos ganz klassisch an, allerdings unter dem Vorzeichen graduell veränderter Familienstrukturen: Die Familien bestehen zwar noch aus jeweils zwei Elternteilen und ein bis zwei Kindern, die Eltern gehören allerdings nicht mehr zwangsweise unterschiedlichen Geschlechtern an. Sitzen freilich genauso selbstzufrieden-bräsig im Kreise ihrer Liebsten wie die heterosexuellen Eltern in der klassischen Variante.

Informationen, Wertungen, Einschätzungen liefert Jaekel keine weiteren. Einzig Aufnahmeort und -datum werden genannt, sagen aber kaum etwas aus: Das biedere schwule Paar mit halbgenervtem Backfisch aus San Francisco unterscheidet sich in seiner Anmutung kaum von der mythisch hierarchisierten Vierer-Frauengruppe aus der rheinländischen Kleinstadt Velbert. Und vielleicht ist das genau die richtige Erkenntnis, die man aus Jaekels Fotoserie mitniemmt: Familie ist unspektakulär. Familie ist gleichzeitig einzugartig und universell. Familie ist vor allem nichts, was ideologische Schlachten rechtfertigt.

Falk Schreiber

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