Die besten Bücher 2023: Empfehlungen für den August
Mit diesen Romanen ist selbst der Dauerregen egal: Die besten Bücher im August 2023 mit Tess Gunty, Necati Öziri und Ulrike Sterblich.
Sie ist 30 Jahre jung und hat mit ihrem Debütroman mal eben den renommierten National Book Award gewonnen – doch schafft es Tess Gunty mit „Der Kaninchenstall“ auch auf unserer Liste der besten Bücher im August 2023 ganz nach oben? In die Quere könnte ihr Necati Öziri kommen: Der hat im Jahr 2021 immerhin den Publikumspreis beim Bachmann-Wettbewerb gewonnen, und sein erster Roman „Vatermal“ erfüllt jetzt locker die hohen Erwartungen. Auch Ulrike Sterblich ist für einen Spitzenplatz auf unserer Liste der besten Bücher im August 2023 gut, denn in „Drifter“ werden viele Geheimnisse nicht gelüftet – und trotzdem bekommen wir von Sterblich Roman alle Antworten, die wir brauchen.
„Wie würde eine Welt aussehen, in der statt des Internets die Teleportation erfunden wurde?“ Diese Frage stellt J.O. Morgan mit „Der Apparat“ und möchte damit auf unserer Liste der besten Bücher im August 2023 natürlich ganz nach oben. Der Roman „I’m a Fan“ von Sheena Patel ist eine bittere Analyse darüber, wie sehr Race und Klassenzugehörigkeit den Erfolg in unserer spätkapitalistischen Kulturindustrie bestimmen. Shanty Lewis ist lange für den sozialen Dienst in London tätig gewesen und verarbeitet seine Erfahrungen in dem bitterbösen Roman „Auf dem Nullmeridian“. Oder führt Louise Erdrich unsere Liste der besten Bücher im August 2023 an? „Jahr der Wunder“ heißt ihr neuer Roman.
Die besten Bücher im August 2023
7. J.O. Morgan: Der Apparat
Wie würde eine Welt aussehen, in der statt des Internets die Teleportation erfunden wurde? In elf bildstarken Episoden begleitet J.O. Morgan in seinem Roman „Der Apparat“ die Genese einer technischen Innovation, wobei der eigentliche Fortschritt eine Randerscheinung bleibt, die sich wie ein Holzwurm unbemerkt durch die Wände, bis in die Wohnzimmer, in das intimste Privatleben frisst. Subtil und ohne tendenziösen Topos lotet der Roman das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine aus, wirft dabei jedoch mehr Fragen auf, als dass er Antworten zu geben weiß: Wieso profitieren einige Menschen mehr von technologischen Innovationen als andere? Was verrät das über Machtverteilung in unserer Gesellschaft? Wie verhalten wir uns in Zukunft zum auratischen Wesen der Kunst? Ist das Kunstwerk, das auf die andere Seite der Erde teleportiert wurde, noch das Original? Und was fangen wir mit all der gesparten Zeit an, die uns der technologische Fortschritt verspricht? Das Bügeleisen auf dem Buchcover mag ein versöhnlicher Hinweis sein – hat sich unser Privatleben doch schon längst um die Maschine herum strukturiert.
Rowohlt, 2023, 240 S., 24 Euro
Aus d. Engl. v. Jan Schönherr
6. Shady Lewis: Auf dem Nullmeridian
Der Ich-Erzähler stammt aus Ägypten, ist aber vor Jahren nach London gezogen. Hier arbeitet er für die Wohnraumbehörde und soll Geflüchteten helfen, eine Bleibe außerhalb der überfüllten Unterkünfte zu finden. Doch längst ist ihm klar geworden, dass die bürokratischen Hürden oft unüberwindbar bleiben. Als ein Freund aus Kairo ihn bittet, den nach England geflohenen jungen Syrer Ghiyath bestatten zu lassen, weil dessen Familie kein Visum bekommt, könnte ihn das aus seinem Zynismus reißen – wenn es nicht viel komplizierter wäre als gedacht. Und dann stirbt auch noch eine Frau, der er eine Wohnung beschaffen sollte … Shady Lewis ist selbst in Ägypten geboren, wie sein Erzähler koptischer Christ und hat lange für den sozialen Dienst in London gearbeitet. Sein Roman ist von wahren Begebenheiten inspiriert, aber alles andere als ein trockener Tatsachenbericht. Stattdessen betont Lewis das Absurde der Situationen, in die sein Protagonist gerät, und lässt immer wieder beißende Ironie durchbrechen – etwa wenn sich die Behörden fragen, ob Ghiyath, nur die Lebensgefahr gewohnt, womöglich an Langeweile gestorben ist.
Hoffmann und Campe, 2023, 224 S., 24 Euro
Aus d. Arab. v. Günther Orth
5. Louise Erdrich: Jahr der Wunder
Nach zehn Jahren im Knast ist Tookie clean, verheiratet und passionierte Buchhändlerin. Doch die Ereignisse drohen, ihre hart erkämpfte Idylle zu zerstören: Erst stirbt ihre aufdringliche Kundin Flora, bleibt aber als Geist im Laden zurück. Dann kommt Corona nach Indianapolis, und die Polizei tötet George Floyd vor laufenden Kameras. Für Tookie und ihre Freund:innen, die wie sie indigene Wurzeln haben, nur das jüngste Extrem des Rassismus, den sie alle gut kennen. Louise Erdrich, die als Randfigur selbst in „Jahr der Wunder“ vorkommt, besitzt einen Buchladen in Minneapolis und verarbeitet hier ihre eigenen Erfahrungen im Krisenjahr 2020. Doch ihr Roman ist zugleich auch eine Liebeserklärung an die Literatur, eine Geistergeschichte und ein zorniges Manifest. Besonders lesenswert wird das Buch durch die knatschige, überforderte, liebenswerte Ich-Erzählerin Tookie, die feststellt, dass sie mit dem Gespenst in der Buchhandlung mehr verbindet, als ihr lieb ist …
Aufbau, 2023, 464 S., 26 Euro
Aus d. Engl. v. Gesine Schröder
4. Sheena Patel: I’m a Fan
Im Internet stalkt die Ich-Erzählerin eine Frau, die mit demselben Mann Sex hat wie sie. Die Frau ist eine erfolgreiche Influencerin, die qua Geburt an der Spitze der kulturellen und ökonomischen Nahrungskette steht. Und auch der Mann gehört zur Elite der Gesellschaft, einem weißen, liberalen Establishment, das seine politische Teilhabe als snackable Instagram-Content verkauft und sich bei durchchoreografierten Veranstaltungen mit der kreativen Hautevolee zu Hause fühlt. Dass die Ich-Erzählerin, die mit dem Mann in einer Nicht-Beziehung zwischen intensivem Kontakt und völliger Missachtung steckt, eine Woman of Colour aus der Arbeiterklasse ist, macht die Dreiecksbeziehung noch toxischer, als sie es ohnehin schon ist: Geht es hier um Liebe oder doch nur um sozialen Status? Ist die Ich-Erzählerin für den Mann bloß ein exotisches Accessoire? „I’m a Fan“ von Sheena Patel ist ein niederschmetternder Roman über die Alltäglichkeit neokolonialer Machtstrukturen und eine bittere Analyse darüber, wie sehr Race und Klassenzugehörigkeit den Erfolg in unserer spätkapitalistischen Kulturindustrie bestimmen. Dass Patel ihre Figuren namenlos lässt und deren Profile nie ausdefiniert, macht die Geschichte umso universeller, und dass die Ich-Erzählerin obsessive Stalkerin und Unterdrückte zugleich ist, bildet eine ungewollt aktuelle Allegorie der Machtgefälle zwischen Fan und Star.
hanseblau, 2023, 240 S., 20 Euro
Aus d. Engl. v. Anabelle Assaf
TOP 3
3. Ulrike Sterblich: Drifter
Auf dem Weg zur Pferderennbahn sehen Wenzel und sein bester Freund Killer sie zum ersten Mal: Vica, eine Frau mit goldenem Kleid und Silberblick. Irgendetwas an ihr fasziniert Wenzel, vor allem, weil sie ein Buch seines Lieblingsschriftstellers Drifter dabei hat, das noch gar nicht erschienen ist. Als Killer am Abend vom Blitz getroffen wird, beginnt sich das Leben der beiden Kumpel zu verändern: Während Killer, eigentlich Karrieremensch, seinen Job kündigt und ganz neue Prioritäten hat, trifft Wenzel immer häufiger auf Vica und ihre Entourage, bestehend aus dem Chauffeur Heurtebise, der trendigen Jez und dem dressierten Hund Bello. Vica gibt in Online-Workshops Investment-Tipps, bringt eine magische Armbanduhr heraus und quartiert sich schließlich in einer Etage in Wenzels und Killers Geburtshaus ein – und ihr Einfluss zieht immer weitere Kreise …
Nachdem sie mit ihrem Debütroman „The German Girl“ ins New York der 60er gereist ist, verlässt Ulrike Sterblich mit „Drifter“ nun vollkommen den Boden der Tatsachen. Die surrealistischen, ja übernatürlichen Ereignisse um Vica und ihrem Team bleiben unerklärt und scheinen Wenzel im Großen und Ganzen nicht allzu sehr zu schockieren. Und so gehen sie auch für uns in der luftig-leichten Atmosphäre auf, die Sterblich scheinbar mühelos herstellt: Sie werden zur Kulisse für Wenzels lakonische Reflexionen über Gott und die Welt. Sterblich spickt ihr Buch mit Witzen und Anspielungen auf Cocteau oder Bulgakow, macht allerdings nie den Schritt zur Satire. Dafür sind alle und ist alles in „Drifter“ viel zu angenehm – und umso angenehmer ist auch das Lesen.
Rowohlt Hundert Augen, 2023, 288 S., 22 Euro
2. Necati Öziri: Vatermal
Es ist, als ob der Schmerz und die Traumata seiner Kindheit ihn langsam von innen auffressen: Arda liegt mit Organversagen im Krankenhaus und wird wohl nicht mehr lange leben. „Ich möchte dir für immer die Möglichkeit nehmen, nicht zu wissen, wer ich war. Du sollst erfahren, wie es deiner Familie in Deutschland ging, wie im letzten Sommer meiner Jugend alle meine Freunde verschwunden sind und wie auch ich versuchte, vor mir selbst zu fliehen.“ Arda schreibt Briefe an den ihm unbekannten Vater, der die Familie im Ruhrgebiet zurückgelassen hat. In ihnen erzählt er von der Mutter, die sich mehr und mehr im Alkohol verliert. Von seiner geliebten großen Schwester Aylin, die irgendwann einfach abgehauen ist, weil sie die Kämpfe mit der Mutter nicht mehr ertragen hat. Und er erzählt von Geburtstagen auf dem Ausländeramt, den eigenen, so schnell geplatzten Träumen. Nachdem der Theaterautor Necati Öziri mit einen Auszug beim Bachmann-Wettbewerb 2021 bereits den Publikumspreis gewonnen hatte, waren die Erwartungen an sein Romandebüt hoch – und „Vatermal“ erfüllt sie. Er installiert einen Erzähler, der entlarvende, auch komische Alltagsbeobachtungen und tieftraurige Momente ineinander laufen lässt. Einen Erzähler, der bei seiner Anklage doch vor allem mit dem Wunsch ringt, vergeben zu können.
Claassen, 2023, 304 S., 25 Euro
1. Tess Gunty: Der Kaninchenstall
Der von den Feuilletons abgenutzte Begriff des „Meisterwerks“ ruft inzwischen oft unbeeindrucktes Gähnen hervor. Gibt es das noch: eine wirkliche Überraschung? Die neueste groß angekündigte literarische Sensation: Tess Gunty, 30 Jahre jung, prämiert mit dem renommierten National Book Award für das Debüt „Der Kaninchenstall“. In ihrem Roman geht es um wenige, aber viele, um nichts und um alles. In den Apartments des La Lapinière Affordable Housing Complex in einem von der Welt weitestgehend ignorierten, ehemaligen Industrieort hausen Menschen „zwischen billigen Wänden, die kein Leben vom anderen isolieren.“ Figuren mit skurril überzeichneten Schicksalen streifen anonym aneinander vorbei. Guntys Roman ist eine schonungslose, hinreißend eigenartige Momentaufnahme der Abgehängten unserer westlichen Gesellschaft. Unmöglich, diese – im allerbesten Sinne – atemlose ADHS-Lektüre auf engem Raum zu erfassen. Sie verblüfft durch sprachliche Brillanz sowie klugen Humor und dünstet auf jeder Seite Zeitgeist aus.
Kiepenheuer & Witsch, 2023, 416 S., 25 Euro
Aus d. Engl. v. Sophie Zeitz
Riskieren Sie auch einen Blick auf unsere Liste der besten Bücher im Juli 2023