Die besten Bücher 2023: Empfehlungen für den Dezember
Wie man gut durch die Feiertage kommt … Die besten Bücher im Dezember 2023 mit Lauren Groff, Marlen Pelny und Rachel Yoder.
Das Jahr 2023 geht zu Ende – und wer steht auf unserer Liste der besten Bücher im Dezember 2023 ganz oben? Vielleicht schafft es die in Berlin lebende Journalistin Ariana Zustra mit ihrem Debütroman „Tot oder lebendig“, der in Dubrovnik spielt. Gute Chancen dürfte auch Lauren Groff haben, die nach „Matrix“ mit „Die weite Wildnis“ erneut einen historischen Roman vorlegt. Oder schafft es ein Erzählband an die Spitze unserer Liste der besten Bücher im Dezember 2023? James McBrides Geschichten in „Der Spielzeug-Sammler“ überzeugen mit Wagemut, Ideenreichtum und Humor. Was auch für Rachel Yoder gilt, denn in „Nightbitch“ erzählt sie von einer jungen Mutter, die sich in eine Hündin verwandelt.
Niviaq Korneliussen hat für „Das Tal der Blumen“ bereits den nordischen Literaturpreis bekommen. Wird sie nun auch unsere Liste der besten Bücher im Dezember 2023 anführen? Gianna Molinari hält mit „Hinter der Hecke die Welt“ dagegen, einen Klimaroman, der die aktuell so populäre Gattung mit poetischer Kraft ausstattet. „Warum wir noch hier sind“ von Marlen Pelny zählt zu den erschütterndsten Büchern des Jahres – und ohne jede Frage auch zu den wichtigsten. Auf unserer Liste der besten Bücher im Dezember 2023 trifft sie auf Sheng Keyi, die in „Die Gebärmutter“ aus einem Land erzählt, in dem Ehemänner, Traditionen und selbst der Staat über den Körper einer Frau bestimmen wollen.
Die besten Bücher im Dezember 2023
8. Sheng Keyi: Die Gebärmutter
„,In ihrer Generation dürfte eine Gebärmutter keine Last mehr sein.‘ ,Sicher ist das aber nicht.‘“ In „Die Gebärmutter“ erzählt Sheng Keyi mit bitterem Humor und viel Empathie von den fünf Chu-Schwestern, die sich alle auf ihre Art mit der Frage nach dem Kinderkriegen herumschlagen – in einem Land, in dem Ehemänner, Traditionen und selbst der Staat über den Körper einer Frau bestimmen wollen, alles andere als eine leichte Aufgabe.
DuMont, 2023, 432 S., 25 Euro
Aus d. Chin. v. Frank Meinshausen
7. Gianna Molinari: Hinter der Hecke die Welt
Da das Warnen und Mahnen der wissenschaftlichen Expert:innen einfach keinen Erfolg zeigt, muss wohl die Kunst ran: Mit ihrem zweiten Buch „Hinter der Hecke die Welt“ liefert nun auch Gianna Molinari ihren Klimaroman ab, der die aktuell so populäre Gattung mit poetischer Kraft ausstattet und sogar einen Seitenhieb an die Wissenschaft austeilt. Im Pingpong-Takt wechselt Molinaris Erzählung zwischen Dora und ihrer Tochter Pina hin und her. Dora auf einem Forschungsschiff in der Arktis. Pina in ihrem Dorf. Beide eint das Schicksal, einem unaufhaltsamen Schrumpfen beizuwohnen: hier die Eismassen, dort das kleine Dorf mit der spektakulären Riesenhecke, hinter der das Dorf zu verschwinden droht. Kaum noch Einwohner, die Tourist:innen bleiben auch zunehmend aus, und Pina und Lobo, die einzigen Kinder des Dorfes, wachsen einfach nicht mehr weiter. Doch wäre es überhaupt so schlimm, nicht mehr zu wachsen?
Mit unbedarftem Witz, harten Fakten und simplen Zeichnungen konstruiert Molinari ein Märchen, das zur düsteren Parabel auf die irrwitzige Wachstumsmaxime unserer Welt wird. Das führt von der Besessenheit vom Stand der Dorfkasse bis zum Expeditionswahn der Wissenschaft. Dass Molinari die Unnatürlichkeit des ewigen Wachstums mit Querverweisen aus der Tier- und Pflanzenwelt anfüttert, mag naiv wirken, ist angesichts unseres naiven Umgangs mit der Klimakrise aber nur konsequent.
Aufbau, 2023, 208 S., 24 Euro
6. Niviaq Korneliussen: Das Tal der Blumen
Obwohl die resolute namenlose Ich-Erzählerin in Niviaq Korneliussens Roman „Das Tal der Blumen“ als junge Grönländerin sowieso schon in einer kolonialisierten, gedemütigten und latent suizidalen Außenseiter:innengesellschaft groß wird, gehört sie selbst nicht mal dort richtig dazu: Sie fühlt sich zu dick, zu lesbisch, zu undänisch. Nicht die besten Voraussetzungen, um im makellosen Dänemark ein Studium zu beginnen. Als sich die Cousine ihrer Freundin und großen Liebe Maliina das Leben nimmt, nutzt sie die Chance, aus Aarhus zu fliehen, nach Grönland zurückzukehren und Maliinas Familie beizustehen. Doch umringt von der unwirtlich erhabenen Eis- und Berglandschaft, wird sie von einer lähmenden Dunkelheit umschlossen, gegen die selbst die Mitternachtssonne nichts auszurichten vermag. Ketterauchend rast sie ungebremst auf einen Abgrund zu und zündet dabei alles an, was ihr lieb und teuer ist.
Mit sprachlicher Treffsicherheit entwickelt Korneliussen einen handfesten Coming-of-Age-Roman, der einem in den Magen boxt und gleich darauf in den Arm nimmt. So subtil und mitunter surreal sie die Suche nach Identität und suizidale Gedanken verhandelt, so politisch und radikal anklagend sind ihre Einlassungen zu postkolonialem Leben und der dringenden Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen. Vollkommen zu Recht hat dieses lebendige Buch den nordischen Literaturpreis verliehen bekommen.
btb, 2023, 288 S., 24 Euro
Aus d. Dän. v. Franziska Hüther
5. Ariana Zustra: Tot oder lebendig
Als Zustra veröffentlicht sie elektronischen Artpop, doch die in Berlin lebende Journalistin Ariana Zustra weiß natürlich auch, wie gute erste Sätze gehen: „Nachdem ich Pommes gegessen und geduscht hatte, beschloss ich, mich umzubringen“, eröffnet die 36-Jährige ihren Debütroman. In „Tot oder lebendig“ erzählt sie von Anna, die sich in der ostdeutschen Provinz durch einen langweiligen Bürojob quält und am Tag vor ihrem 30. Geburtstag nicht mal mehr die Motivation zum Selbstmord aufbringt. Bei einer Hypnosesession erfährt sie, dass in ihr die Seele eines jüdischen Kroaten namens Andri aus Dubrovnik haust. Kurzentschlossen reist sie an die Adria und trifft dort auf Anka, die jenen Andri gekannt hat und ihr von den Naziverbrechen im Zweiten Weltkrieg und den Gräueltaten im Jugoslavien-Krieg erzählt … Mit viel Humor und tiefenscharfer Gegenwartsdiagnostik erzählt Zustra von einer abgründigen Identitätssuche und verneigt sich zugleich vor ihrer Geburtsstadt, aus der sie im Alter von vier Jahren vor dem Krieg flüchten musste.
Frankfurter Verlagsanstalt, 2023, 256 S., 22 Euro
4. James McBride: Der Spielzeug-Sammler
Zahlreiche Bestseller, reihenweise Auszeichnungen und prominente Fans von Spike Lee bis Barack Obama: Dass James McBride weiß, wovon er schreibt, steht längst außer Frage. Und so kann er ernste Themen wie Schwarze Identität und Rassismus auf eine Art behandeln, die bei einem Erstling möglicherweise Stirnrunzeln hervorrufen würde: mit erzählerischem Wagemut, Ideenreichtum und Humor. Die zehn Erzählungen von „Der Spielzeug-Sammler“ sind thematisch verbunden, könnten in Inhalt und Form aber kaum weiter voneinander entfernt sein – gemeinsam sind ihnen nur die unvorhergesehenen Wendungen.
Da ist der titelgebende Spielzeugsammler, der einem Schwarzen Priester einen wertvollen Modellzug abkaufen will, der einst dem Sohn von Robert E. Lee gehört haben soll – doch der Priester hat selbst ein Geheimnis. Da sind gleich mehrere Geschichten, die McBride aus der Sicht von Butter erzählt, einem jugendlichen Bandleader in einem Vorort von Pittsburgh, der mit ansieht, wie Armut, Vorurteile und Gewalt in jeder Generation neue Narben hinterlassen. Aber da sind auch ein egomanischer Boxer, der den Teufel auf die Matte schickt, und gleich zwei Erzählungen über Söhne Abraham Lincolns. Und zum Schluss wird es in „Mr. P und der Wind“ komplett abgehoben: McBride hat die Geschichte über einen sprechenden Zoolöwen, Reinkarnation und Gedankenlesen für seine Neffen geschrieben, nachdem ein Zoobesuch sie traumatisiert hat. Fast ist man neidisch auf jene Neffen, weil sie jederzeit eine neue McBride-Geschichte hören können. Wir müssen uns mit dieser Sammlung begnügen.
btb, 2023, 320 S., 24 Euro
Aus d. Engl. v. Werner Löcher-Lawrence
TOP 3
3. Lauren Groff: Die weite Wildnis
Lauren Groff ist die Meisterin der Schlupflöcher: In ihren Romanen schafft sie Raum für feministische Utopien an Orten, an denen man sie am wenigsten vermutet. Beim letzten Buch „Matrix“ war es ein mittelalterliches Nonnenkloster, das sich als Enklave der Freiheit entpuppte, nun ist es das scheinbar unerschlossene Nordamerika im 17. Jahrhundert. Dorthin ist Groffs Protagonistin, die sie meist einfach „das Mädchen“ nennt, als Dienstbotin einer englischen Familie gekommen, flieht aber vor einer Hungersnot aus dem sterbenden Fort. Ganz auf sich allein gestellt, schlägt sie sich durch den Wald, mit dem einzigen Ziel, zu überleben: fischen, sammeln, Feuer machen, weiter, immer weiter.
Damit stellt Groff das klassische Mann-gegen-Wildnis-Narrativ auf den Kopf, zugleich aber auch den Entwicklungsroman. Denn ihre Protagonistin erkennt in der Abwesenheit aller Zivilisation die Falschheit der Werte, in deren Namen sie erzogen worden ist. Dass eine vor 400 Jahren in London sozialisierte Person wirklich fähig gewesen wäre, Patriarchat, Rassismus und selbst religiöse Doktrin derart radikal zu überwinden, mag stellenweise idealistisch erscheinen. Doch die Hauptfigur befindet sich in einer Extremsituation – und letztlich ist es genau dieser unerschrockene Idealismus, von dem Groffs Werk lebt.
Claassen, 2023, 288 S., 25 Euro
Aus d. Engl. v. Stefanie Jacobs
2. Marlen Pelny: Warum wir noch hier sind
Der Titel von Marlen Pelnys zweiten Roman kann durchaus als programmatische Dringlichkeitserklärung gesehen werden: „Warum wir noch hier sind“ meint dann das Bestreben der 42-jährigen Autorin und befreundeter Mitstreiter:innen wie Ulrike Almut Sandig, gesellschaftlich beiseite geschobene Themen in der Literatur zu etablieren. Für ihr Debüt „Liebe / Liebe“ musste die in Berlin lebende Pelny fünf Jahre lang einen Verlag suchen, bevor der Roman über einen sexuellen Missbrauch dann schließlich vor zwei Jahren im Haymon Verlag mit Sitz in Innsbruck und Wien erschienen ist. Und auch mit dem neuen Buch betritt Pelny tabuisiertes Terrain, denn sie erzählt von einem Femizid aus der Perspektive der Hinterbliebenen.
Die 14-jährige Etty ist vergewaltigt und ermordet worden. Als Erzählerin setzt Pelny eine enge Vertraute von Ettys Mutter ein, die der Freundin beisteht, das Unfassbare zu verarbeiten, die Sprachlosigkeit zu überwinden und irgendwie zu funktionieren. Doch auch das Leben der Erzählerin zerfällt, indem ganz gewöhnliche Berliner Alltagsszenen plötzlich bedrohlich auf sie wirken und sich der Blick mehr und mehr auf die allgegenwärtige Gewalt fokussiert … „Warum wir noch hier sind“ ist ein feinfühliger und zugleich auch wütender Roman, der mit tastender Sprache und durchaus auch verzweifeltem Humor den Opfern einen Raum zuspricht und den Zusammenhalt sucht. Hier ist der Titel dann eine Durchhalteparole: Nur wenn die Hinterbliebenen nicht kapitulieren und ihnen das Weitermachen gelingt, wird Ettys Schicksal nicht vergessen.
Haymon, 2023, 224 S., 19,90 Euro
1. Rachel Yoder: Nightbitch
Es ist keine unübliche Geschichte: Eine junge Mutter, eigentlich Künstlerin, ist zur Hausfrau geworden und kümmert sich um den gemeinsamen Sohn, der Vater kommt nur an den Wochenenden nach Hause. Was dann passiert, ist allerdings schon weniger üblich: Die Mutter beginnt, sich in einen Hund zu verwandeln. Zuerst sind es nur ein paar Haare im Nacken, irgendwann isst sie rohes Fleisch und jagt nachts Katzen durch die Nachbargärten.
Rachel Yoder hätte diese Geschichte als Horror aufziehen können, als Variation des Werwolfmythos, und das ist ihr Debütroman irgendwie auch. Zugleich aber viel mehr, denn an Schockmomenten ist Yoder nur am Rande interessiert. So findet ihre Protagonistin trotz anfänglicher Unsicherheiten in die neue Rolle hinein – und erkennt, dass sie als Hündin in vielerlei Hinsicht eine bessere, freiere, selbstsicherere Frau und Mutter ist. Auch der abwesende Ehemann und sogar die piekfeine Vorzeigemutti aus der Nachbarschaft sind mehr als zynische Karikaturen. Es ist dieser letztlich versöhnliche Ton, zusammen mit dem wissenden Humor, der „Nightbitch“ zu einem reinen Lesevergnügen macht – und uns die hintergründige Botschaft über die unmöglichen Erwartungen, die wir als Gesellschaft an Mütter stellen, wie nebenbei unterjubelt.
Klett-Cotta, 2023, 304 S., 24 Euro
Aus d. Engl. v. Eva Bonné
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