Die besten Bücher 2024: Empfehlungen für den Dezember
Was lesen zum Fest der Liebe? Die besten Bücher im Dezember 2024 mit Jovana Reisinger, Thomas Meineke und Gerhard Henschel.
Weil Jovana Reisinger auf dem roten Teppich beleidigt wird, schreibt sie „Pleasure“. Es ist ein Manifest für den Glamour – und wie weit kommt das auf unserer Liste der besten Bücher im Dezember 2024? Sie tritt gegen Gerhard Henschel an, der mit „Frauenroman“ beim elften Band seines autobiografischen Projektes angekommen ist. Oder steht Thomas Meinecke auf der Spitzenposition unserer Liste der besten Bücher im Dezember 2024? Mit „Odenwald“ begibt er sich, der neben einer Reihe fiktiver und realer Figuren selbst in dem Roman auftaucht, auf Spurensuche ins gleichnamige Gebirge, wo Adorno die Sommer seiner Kindheit verbracht hat.
Mit Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre stehen auch zwei große Namen auf unserer Liste der besten Bücher im Dezember 2024. Nach „Alle sind so ernst geworden“ legen die beiden mit „Kein Grund, gleich so rumzuschreien“ einen zweiten Gesprächsband vor. Oder führt Yassamin-Sophia Boussaoud unsere Liste der besten Bücher im Dezember 2024 an? Mit „Chaos – Von Gefühlen und anderen Menschlichkeiten“ veröffentlicht sie ein mit Gedichten durchsetztes und über die eigene Lebensgeschichte hinausweisendes Plädoyer für die Wut – und für die radikale Sanftheit uns selbst gegenüber. Vielleicht führt aber auch der Außenseiter James Cahill mit seinem Debüt „Tiepolo Blau“ unsere Liste der besten Bücher im Dezember 2024 an.
Die besten Bücher im Dezember 2024
6. Gerhard Henschel: Frauenroman
Gerhard Henschels Romanzyklus über Martin Schlosser ist längst dem Genre der Familiensaga entwachsen. Zwar darf ihm sein Bruder auch diesmal die Möbel durch die Republik fahren, und Familientreffen gibt es weiterhin, im Mittelpunkt des elften Bandes „Frauenroman“ aber steht die Tatsache, dass Schlossers gelebte Promiskuität immer deutlicher vom Wunsch nach Kindern und einer festen Beziehung in Frage gestellt wird. Außerdem schreibt Henschels Alter Ego zwischen 1996 und 98 trotz exzessiver Lesetourneen mit unglaublicher Geschwindigkeit, bei Eckhard Henscheid liefert er einen Essay ab, gleich darauf ist eine Satire für Titanic dran, und immer wieder sichtet er Material für seinen „Kindheitsroman“, der erst im Jahr 2004 erscheinen wird.
Seine Vernetzung im Literaturbetrieb wird immer dichter, er schaut Fußball mit dem Verleger Hermann L. Gremliza, schließt Vorverträge mit Alexander Fest ab und wird von Jörg Schröder und Barbara Kalender bekocht. Seine argumentativen Breitseiten gegen die Initiatoren der damals beginnenden Rechtschreibreform aber bestimmen den Roman und lassen für die Zukunft kurzweilige Scharmützel erwarten.
Hoffmann und Campe, 2024, 560 S., 28 Euro
5. Martin Suter + Benjamin von Stuckrad-Barre: Kein Grund, gleich so rumzuschreien
Hysterisches Trauerlachen? „Ja, du hast am Telefon so doll gelacht, wie ich dich überhaupt noch nie lachen gehört hatte“, sagt Benjamin von Stuckrad-Barre zu Martin Suter. „Es wirkte, als ob einer plötzlich seine Krücken wegwirft und wieder gehen kann. Das war ein wirklich schöner Moment, weil du gelacht hast wie ein kleiner Junge.“ Und der Grund für diesen Lachanfall? Suter, der im Jahr 2023 seine Ehefrau und kurz darauf auch seine Mutter verloren hatte, war sich unsicher, ob es in Ordnung wäre, die Urnenbeisetzung der Mutter auf einen Termin nach dem gemeinsamen Urlaub mit Tochter Ana zu verschieben. Stuckrad-Barres spontane Bemerkung dazu: „Die wird ja auch nicht schlecht, diese Asche.“
Nach dem Bestseller „Alle sind so ernst geworden“ legen der 76-jährige Suter und sein 49-jähriger Kollege mit einem zweiten Gesprächsband nach. Es wird mitunter sehr persönlich, wenn die beiden über Themen wie Benutzernamen, Rauschmittel und Rasenmähroboter sprechen. Vor allem aber ist es so amüsant, dass es auch den Leser:innen durch dunkle Tage hilft.
Diogenes, 2024, 320 S., 26 Euro
4. Thomas Meinecke: Odenwald
Thomas Meineckes Romane sind Romane auf die Art, wie die Musik seiner Band F.S.K. Musik ist: nur stellenweise, dann aber oft sehr gut. Was genau Musik ist und was nicht, hat auch Adorno sehr interessiert, der zeitlebens nicht zugeben konnte, dass er den Jazz missverstanden hatte. In seinem neuen Buch „Odenwald“ begibt sich Meinecke, der neben einer Reihe fiktiver und realer Figuren selbst darin auftaucht, auf Spurensuche ins gleichnamige Gebirge, wo Adorno die Sommer seiner Kindheit verbracht hat.
Von da schafft er relativ reibungslos den Übergang zu den Themen, die ihn seit längerem beschäftigen: deutsche Auswanderer:innen in Texas, Underground-Musik und immer wieder Judith Butlers Genderphilosophie. Bei seiner Recherche stößt er auf überraschende Schnittstellen, etwa unerwartet progressive (und an anderen Stellen wieder regressive) mittelalterliche Schriften über trans Menschen. Und wenn die Verbindungslinien dabei kein endgültig auflösbares Muster ergeben, wäre das sicher im Sinne Adornos gewesen – immerhin hat der die „Negative Dialektik“ geschrieben.
Suhrkamp, 2024, 440 S., 26 Euro
TOP 3
3. Yassamin-Sophia Boussaoud: Chaos – Von Gefühlen und anderen Menschlichkeiten
Nur wenn wir das Chaos und die innere Unordnung zulassen, können wir die längst überholten Normen und Traditionen unserer westlichen Gesellschaft sprengen. Yassamin-Sophia Boussaoud ist als Kind eines Tunesiers und einer Deutschen im zutiefst konservativen Chiemgau aufgewachsen und definiert sich heute als queere, dick_fette, nicht binäre Person.
Auf dem Account @minoandtheirchaos berichtet Yassamin-Sophia von Diskriminierungserfahrungen und veröffentlicht mit „Chaos – Von Gefühlen und anderen Menschlichkeiten“ nun ein mit Gedichten durchsetztes und über die eigene Lebensgeschichte hinausweisendes Plädoyer für die Wut – und für die radikale Sanftheit uns selbst gegenüber.
Haymon, 2024, 208 S., 22,90 Euro
2. James Cahill: Tiepolo Blau
James Cahill war selbst einige Jahre Doktorrand in Cambridge, und vielleicht ist es dieses Insiderwissen, das sein Debüt zu einem literarischen Ereignis macht, das es locker mit den Romanen von Booker-Prize-Gewinner Alan Hollinghurst aufnehmen kann: Der 43-jährige Kunsthistoriker Don Lamb forscht zu den Himmelsdarstellungen in den Fresken des venezianischen Malers Tiepolo, er will deren Sinnlichkeit vermessen, kartografieren und dadurch beherrschbar machen.
Zwar ist da die Freundschaft zu seinem mehr als 20 Jahre älteren Mentor Val, einem Dandy und Salonlöwen, doch das Sexleben des schwulen Don liegt komplett brach. Das ändert sich schlagartig, als Don nach einem Eklat die Universität verlassen muss und in London die Leitung eines Museums übernimmt. Don trifft auf das wahre Leben, vor allem begegnet er dem jungen Kunststudenten Ben und gerät in der düsteren zweiten Hälfte des Romans in eine Abwärtsspirale, bis er schließlich auf den Boden der überraschenden Tatsachen ankommt. Schwulenbars und Saunen, Parks und Pillen sowie ganz viel Rotwein säumen Dons Weg.
Albino, 2024, 448 S., 28 Euro
Aus d. Engl. v. Joachim Bartholomae
1. Jovana Reisinger: Pleasure
Wo die Kritik an Kitsch und Konsum allzu locker sitzt, sind auch Klassismus und Sexismus nicht weit. Eine steile These, die Jovana Reisinger in ihrem neuesten Buch „Pleasure“ mit unverschämter Coolness durchdringt. Alles beginnt beim Münchner Filmfest: roter Teppich, Blitzlicht, angemessene Aufgeregtheit bei der Kulturelite. Und plötzlich das: „Was macht eigentlich die Prostituierte auf dem roten Teppich?“ Gemeint ist Reisinger im knallpinken La-Perla-Kleid, auf Heels mit pfennigschmalen, einen Schmetterling aufspießenden Absätzen, eingehüllt in einen Mantel mit aufgedruckten Penissen. Es hätte genauso gut heißen können: Was macht das Unterschichtenkind auf der super elitären Veranstaltung? Ein Erlebnis, das zum Auslöser für Reisingers „Manifest für den Glamour“ wird.
„Pleasure“ ist eine Haltung zum Leben. Kein guilty pleasure. Reisingers Absicht ist es, den Konsum und die Lust aufs schöne Leben von der Scham zu befreien. Ein obszönes, vulgäres Ja zum Leben. Eine ausufernde Übertreibung des landläufigen Gönn dir. „Ich will über das ausbeuterische System lachen und trotzdem in ihm brillieren“, schreibt die Münchnerin gleich zu Beginn ihres Buches. Einer der vielen scheinbaren Widersprüche, die Reisinger in ihrer „Pleasure-Triade“ aus Mode, Essen und Schlaf gekonnt aus- aber nie auflöst.
Schließlich weiß sie als Filmemacherin um die Macht der Fallhöhe, und so prallen auch mal Weisheiten von Paris Hilton und Audre Lorde aufeinander. Reisingers Glamour braucht kein Geld. Ihr Glamour kommt von unten, ist „fotzig“, politisch, feministisch. Mit was für einer Hingabe sich die 35-Jährige in jeden Gedanken stürzt und dabei die Oberflächlichkeit in Subversion verwandelt, ist brillant. Ein kluges und wie Strass funkelndes Buch in der sonst dann doch oft so biederen Welt der Klassenliteratur.
park x ullstein, 2024, 320 S., 22 Euro
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