Die besten Bücher 2024: Empfehlungen für den Oktober
Wer steht im Buchmessenmonat auf unserer Liste ganz oben? Die besten Bücher im Oktober 2024 mit Sally Rooney, Paul Lynch und Mithu Sanyal
Sie gilt als die Taylor Swift der Literaturszene – doch ist das mit ihrem neuen Roman endgültig vorbei. Umso wahrscheinlicher, dass Sally Rooney mit „Intermezzo“ unsere Liste der besten Bücher im Oktober 2024 anführt, oder? Tommy Orange hält dagegen und kann immerhin eine Booker-Prize-Nominierung vorweisen. Zieht er mit „Verlorene Sterne“ auf unserer Liste der besten Bücher im Oktober 2024 an Rooney vorbei? Und auch Ruth-Maria Thomas hat so ihre Argumente: „Die schönste Version“ ist für den Deutschen Buchpreis 2024 nominiert.
Auch Mithu Sanyal steht auf der Longlist für den Buchpreis. Wie weit wird „Antichristie“ auf unserer Liste der besten Bücher im Oktober 2024 kommen? Die Rechnung bei Paul Lynch: „Das Lied der Propheten“ hat den Booker-Prize 2023 gewonnen – dann muss doch auch eine gute Platzierung auf unserer Liste der besten Bücher im Oktober 2024 rausspringen. Hengameh Yaghoobifarah setzt bei „Schwindel“ einfach auf ihren ganz und gar eigenen Sound und schickt vier queere Personen auf ein Häuserdach – ohne Handys und ohne den nötigen Schlüssel, um da wieder runterzukommen.
Oder steht am Ende gar Michael Kumpfmüller mit „Wir Gespenster“ auf unserer Liste der besten Bücher im Oktober 2024 ganz oben? Elsa Koester hält mit einem extrem aktuellen Thema dagegen: „Im Land der Wölfe“ funktioniert als Schlüsselroman für die jüngsten Landtagswahlen im Osten. Vielleicht schnellt aber auch Markus Thielemann mit „Von Norden rollt ein Donner“ von der Shortlist für den Buchpreis direkt an die Spitze unserer Liste der besten Bücher im Oktober 2024.
Die besten Bücher im Oktober 2024
9. Mithu Sanyal: Antichristie
„Unter anderen Umständen hätte Dunga Kolonialismus eingeworfen, und (Un-)Commonwealth und royale Hitlergrüße, aber wenn die Umstände eines nicht waren, dann anders.“ Mithu Sanyals um kulturelle Aneignung kreisendes Debüt „Identitti“ war eine lohnende Herausforderung, der zweite Roman „Antichristie“ ist es auch. Auf zwei Zeitebenen geht es um die Folgen des Kolonialismus: Während Protagonistin Dunga 2022 dafür kämpft, Agatha-Christie Romane von kolonialen Altlasten zu befreien, hat sie in den Jahren 1906 bis 1908 einen Penis und trifft auf die Elite des indischen Befreiungskampfes.
Hanser, 2024, 544 S., 25 Euro
8. Michael Kumpfmüller: Wir Gespenster
Eine namenlose Frau steht neben der eigenen Leiche und kann sich an nichts erinnern. Erst nach und nach wird ihr klar, dass sie der Geist einer kürzlich Ermordeten ist. Der tote Ex-Kommissar Andrä führt sie in die Gesellschaft der Gespenster ein und will ihr helfen, ihren Mörder zu finden. Aber will sie das überhaupt noch, als sich zwischen beiden eine zarte Romanze entspinnt? Wohl nur Michael Kumpfmüller könnte so lakonisch, entrückt und doch melancholisch über das Leben nach dem Tod schreiben. Womöglich möchte er auf diese Weise die Existenz seiner Figuren einfangen, die schließlich ebenfalls indirekt und verflacht ist. Zugleich geht der Stil auf Kosten von Dramatik und Stringenz, sodass am Ende die Frage bleibt, was das Ganze eigentlich sollte. Fairerweise: Das ist beim Leben nicht unbedingt anders …
Kiepenheuer & Witsch, 2024, 256 S., 24 Euro
7. Elsa Koester: Im Land der Wölfe
Hier treten Grün und Blau in einen Dialog: Der dritte Roman von Freitag-Redakteurin Elsa Koester handelt von Nana, die in die sächsische Kleinstadt Grenzlitz reist, um die zukunftsgrüne Spitzenkandidatin Katja Stötzel für das Amt der Oberbürgermeisterin zu coachen. Während des Wahlkampfes reflektiert Nana über die politischen Stimmungen in Grenzlitz. Anlass für ihre Reflexion sind nicht zuletzt ihre Gespräche mit Falk Schloßer, einem Anhänger der Blauen, mit dem Nana widerwillig zu sympathisieren beginnt. Geschickt nimmt Koester die Leser:innen an die Hand und begleitet sie auf einer Reise der (Selbst-)Konfrontation, die während des Lesens auch unangenehm werden kann. Die Kernfrage: Wie entstehen politische Positionen? Um die Frage zu beantworten, blickt Koester durch eine empathische und nuancierte Brille auf die Figuren – egal, ob die nun rechts oder links sind. Gleichzeitig drängt sich die lauernde Gefahr der politischen Uneinigkeit immer weiter in den Vordergrund, von Mikroaggressionen bis hin zu zerschlagenen Fensterscheiben. Wer sich nach den letzten Landtagswahlen in Osten gefragt hat, wie es zu diesen Ergebnissen kommen konnte, findet hier durchaus Erklärungsansätze.
Frankfurter Verlagsanstalt, 2024, 320 S., 24 Euro
6. Paul Lynch: Das Lied der Propheten
Als Eilishs Mann von der neuen Geheimpolizei abgeholt wird, glaubt sie noch an eine Verwechslung. Kurz darauf ist Larry verschwunden, sie bekommt nur ausweichende Antworten, als sie nach ihm sucht. So beginnt der Abstieg Irlands in eine nur vage umrissene Diktatur, bald darauf bricht ein Bürgerkrieg aus. Während die immer weiter isolierte Eilish versucht, ihre Kinder und ihren dementen Vater zu schützen, kann sie nur tatenlos dabei zusehen, wie Dublin in einem Albtraum aus Geheimnissen und Gewalt versinkt. Fliehen will sie nicht, um Larry nicht zurückzulassen – aber hat sie womöglich zu lange gewartet? In langen Absätzen, aber immer mit äußerst präziser Sprache fängt Lynch das so graduelle wie unaufhaltsame Abgleiten in die Katastrophe ein. Dass Eilish und ihre Familie hier in einem dystopischen Szenario das durchmachen, was für die aktuell nach Europa Flüchtenden längst Realität ist, wird dabei mit jeder Seite offensichtlicher. Womöglich hofft Paul Lynch, dass seine Leser:innen mehr Verständnis für Verfolgte aufbringen, die dieselbe Hautfarbe und dieselben Vornamen haben wie sie. Im besten Fall wird „Das Lied des Propheten“ tatsächlich ein paar Herzen öffnen – eindringlich genug ist es allemal.
Klett-Cotta, 2024, 320 S., 26 Euro
Aus d. Engl. v. Eike Schönfeld
5. Tommy Orange: Verlorene Sterne
Sechs Jahre hat sich Tommy Orange für den Kompagnon seines Debütromans „Dort dort“ Zeit gelassen, der ihn nicht nur durch die Pulitzer-Nominierung auf die großen Bühnen gespült hat. Die gänzlich unromantische Skizzierung der indigenen Welt, die mit Vertreibung statt Abenteuer, mit Unterdrückung statt Miteinander einhergeht, ist bis dato in der Literatur noch weitestgehend unberührt geblieben. An das bewusst offen gehaltene Ende des Erstlings knüpft Orange nun nahtlos an und liefert mit „Verlorene Sterne“ die Fortsetzung, die zugleich auch als Vorgeschichte fungiert. Über drei Teile, die nacheinander Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft behandeln, wird die untrennbar zusammenhängende Geschichte von sieben Generationen der Star-Familie aufgemalt, die Opfer einer entmenschlichenden US-Politik gegenüber der indigenen Bevölkerung geworden sind. Zurück bleiben Schmerz, Sucht und eine ewige Suche nach dem Platz in einem Land, das mal das eigene gewesen ist. Orange gelingt es, diese jahrhundertelange Tortur durch die Augen von Betroffenen nicht nur inhaltlich nachzuzeichnen und zu verknüpfen, sondern durch das atemlose Wechseln zwischen Tempi und Perspektiven auch sprachlich einzufangen. Das erschwert den Lesefluss aufgrund der Vielzahl an Charakteren mitunter, macht den Roman durch das unverwässerte Abbild eines immer noch unterrepräsentierten Bevölkerungsteils aber unverzichtbar.
Hanser Berlin, 2024, 304 S., 26 Euro
Aus d. Engl. v. Hannes Meyer
4. Ruth-Maria Thomas: Die schönste Version
Jella lügt, als Yannick sie fragt, mit wie vielen Typen sie schon Sex hatte. Er soll sie nicht eklig finden, sie nicht als Schlampe abspeichern. Sie erzählt ihm nichts von ihrem früheren Ich, nichts von den Klubtoiletten, den Miniröcken und der einen Nacht, aus der sie kein Drama machen sollte. Sie gibt die weltgewandte Muse für ihren charismatischen Künstlerfreund. Sich Männern anzupassen, sich unterzuordnen, ist für die Protagonistin in Ruth-Maria Thomas’ Debütroman schließlich nichts Neues. Heute sitzt sie jedoch bei der Polizei: Anzeige gegen Yannick. Häusliche Gewalt. Es sind eben auch die cool guys. Ja, vielleicht sogar all guys. Mit Hingabe und einem sehr klaren, expliziten Sound schreibt Thomas über die schmale Grenze zwischen Intensität und Gewalt. Ohne jede Scham taucht die Autorin tief in die Vergangenheit und die Sehnsüchte ihrer Protagonistin ein, die ihrerseits von Scham zerfressen ist. Eine Scham, für die alleine die Männerwelt etwas kann, und die sich schleichend in lähmende Ohnmacht verwandelt. Wie „Die schönste Version“ diesen Prozess nachvollzieht, die Normalisierung sexueller und patriarchaler Gewalt in kleinsten Dingen wie einer hochgezogenen Augenbraue einfängt, ist hervorragend und niederschmetternd zugleich. Bei all dem könnte man fast übersehen, wie geschickt beiläufig dieser Roman von der Nachwendezeit in der Lausitz, von Umsiedlung und Landflucht erzählt. Nur ein Grund, warum dieses Buch auf der Longlist des diesjährigen Buchpreises gelandet ist.
Rowohlt, 2024, 272 S., 24 Euro
TOP 3
3. Hengameh Yaghoobifarah: Schwindel
Während andere sich einen spektakulären Plot ausdenken müssen, überzeugt Hengameh Yaghoobifarah mit dem zweiten Roman, indem sie einfach vier Personen auf ein Häuserdach schickt – ohne Handys und ohne den nötigen Schlüssel, um da wieder runterzukommen. Und dann seziert der:die deutsch-iranische Autor:in queeres Begehren mit ganz viel Empathie und auch Humor, denn Hauptfigur Ava ist da oben mit ihren drei Liebhaber:innen konfrontiert: Robin, mit der es unkompliziert läuft, die aber auch in einer festen Beziehung mit Ivo lebt. Die deutlich ältere Silvia, mit der es sich für Ava in letzter Zeit komisch anfühlt, wenn andere ihre Affäre mitbekommen. Und Delia, die sie zuletzt geghostet hat, um sie loszuwerden.
Blumenbar, 2024, 240 S., 23 Euro
2. Markus Thielemann: Von Norden rollt ein Donner
„Auf der Lüneburger Heide/In dem wunderschönen Land/Ging ich auf und ging ich unter/Allerlei am Weg ich fand“: Nicht nur Heino singt das gern, bis heute wird der Verfasser des Liedes in der Region als großer Heimatdichter gefeiert – und das, obwohl Herman Löns nicht nur Frauenhasser und Antisemit gewesen ist, sondern auch von den Nationalsozialisten für seine rassisch-völkischen Äußerungen geschätzt wurde. Markus Thielemann wendet sich in seinem für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman lieber dem Untergang zu, und so sind in der Karte vorne im Buch auch die Gedenkstätte Bergen-Belsen, das KZ-Außenlager Tannenberg, die Rheinmetall-Munitionsfabrik in Neulüß und die Truppenübungsplätze in Munster eingezeichnet. Mit einem kraftvollen, abgründigen Sound erzählt er vom 19-jährigen Jannes, der wie schon sein Vater und sein Großvater die Heidschnucken über die Flächen der Lüneburger Heide treibt. Doch angeblich ist der Wolf in die Gegend zurückgekehrt, er reißt Schafe, wird aber nie gesichtet, und er soll seine Brut auf dem nahen Truppenübungsplatz großziehen. In seiner Wolfspanik sucht Jannes’ Vater bei einem neuen Nachbarn Hilfe, der sich als harmloser Esoteriker und Naturbursche inszeniert, aber Sonnenwendfeiern begeht …
C. H. Beck, 2024, 288 S., 25 Euro
1. Sally Rooney: Intermezzo
Von „Spokeswoman for the Millennials“ bis „Salinger for the Snapchat generation“: Gleich zum Debüt „Gespräche mit Freunden“ setzten die irren Zuschreibungen für Sally Rooney ein, und nach der BBC-Verfilmung von „Normal People“ war sie dann sowas wie die Taylor Swift der Literatur, hatte es doch am Erscheinungstag ihres jüngsten Romans „Schöne neue Welt, wo bist du?“ so große Menschenaufläufe vor den Buchhandlungen wie seit „Harry Potter“ nicht mehr.
Nun gibt es auch in „Intermezzo“ nicht nur zögerliche Millennials, mit Feminismus, ungleichen Beziehungen und dem Wohnungsmarkt in Dublin tauchen noch weitere Rooney-Themen auf. Doch anders als bisher rückt die mittlerweile 33-jährige Irin nicht beste Freundinnen in den Fokus, sondern ein Brüderpaar, das um seinen an Krebs gestorbenen Vater trauert. Peter, ein aufstrebender und weltgewandter Menschrenrechtsanwalt, hängt dem tragischen Bruch mit seiner großen Liebe nach und tröstet sich mit einer Studentin, während sich für seinen zehn Jahre jüngeren Bruder Ivan die erste Beziehung anbahnt – mit der deutlich älteren Margaret, die frisch aus einer gescheiterten Ehe kommt.
Vielleicht ist die empathische Zeichnung des nerdigen Schachgenies Ivan ihre Meisterleistung, doch sollte das nicht den Blick darauf verstellen, was für ein vielschichtiges Beziehungsgeflecht Rooney hier entwirft, wie tiefenscharf sie Trauer, Begehren, Liebe und Schuld durchleuchtet – und vor allem, wie unverkrampft und bar jeder Peinlichkeit sie über Sex schreiben kann.
Claassen, 2024, 496 S., 24 Euro
Aus d. Engl. v. Zoë Beck
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