Die besten Bücher 2024: Empfehlungen für den September
Letzte Hochrechnungen vor der Messe in Frankfurt: Die besten Bücher im September 2024 mit Nora Bossong, Colson Whitehead und Daniela Krien.
Veröffentlicht Colson Whitehead einen neuen Roman, belegt er in der Regel den Spitzenplatz. Aber führt er auch unsere Liste der besten Bücher im September 2024 an, wenn sein Debüt jetzt in neuer Übersetzung erscheint? Immerhin bekommt er es da mit zwei Autorinnen zu tun, deren aktuelle Romane auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2024 stehen: Daniela Krien und Nora Bossong wollen auch auf unserer Liste der besten Bücher im September 2024 ganz nach oben.
Vielleicht führt aber auch Sven Pfizenmaier unsere Liste der besten Bücher im September 2024, denn der legt nach „Draußen feiern die Leute“ nun einen zweiten Roman nach. Auch für Behzad Karim Khani ist „Als wir Schwäne waren“ das zweite Buch – und es ist ein für Deutschland derzeit so wichtiger Roman, dass er eigentlich an die Spitze unserer Liste der besten Bücher im September 2024 gehört. Kim Hye-Jin hat sich für „Ein menschlicher Fehler“ vom US-Film „Nomadland“ inspirieren lassen – und auch das könnte sich auf unserer Liste der besten Bücher im September 2024 auszahlen.
Oder jubelt am Ende Rasha Khayat, auf deren zweiten Roman wir schon seit Jahren warten? Sie geht mit „Ich komme nicht zurück“ auf unserer Liste der besten Bücher im September 2024 ins Rennen. Und schließlich ist da noch „Kleine Monster“ von Jessica Lind, ein Psychodrama, das nach und nach zum Thriller wird.
Die besten Bücher im September 2024
8. Kim Hye-Jin: Ein menschlicher Fehler
Früher hat Hae-Su an die Macht der Worte geglaubt: Als gefeierte Psychotherapeutin war sie sogar regelmäßig im Fernsehen zu sehen. Doch eine Aussage in einer Talkshow hat dazu geführt, dass sich ein Schauspieler das Leben genommen hat. Seitdem hat sie alles verloren, lebt im Verborgenen und verlässt nur nachts das Haus. Erst die Begegnung mit der Schülerin Se-I, die auf ihre Art ebenso einsam ist wie Hae-Su, holt sie ins Leben zurück. Gemeinsam kümmern sich die beiden um einen Straßenkater – und immer mehr auch umeinander. Kim Hye-Jin findet die universelle Perspektive in der Nahaufnahme: Ihre Romane sind – trotz der Fokussierung auf die Gedanken einer einzelnen Figur – immer auch Porträts der koreanischen Gesellschaft, die sie als überwältigende, oft erbarmungslose Hintergrundkulisse zeichnet. Doch natürlich lässt sich ihr neues Buch auch auf andere Gesellschaften übertragen – das macht die Autorin selbst deutlich, indem sie im Nachwort erklärt, der US-Film „Nomadland“ sei eine große Inspiration gewesen.
Hanser Berlin, 2024, 224 S., 23 Euro
Aus d. Korean. v. Ki-Hyang Lee
7. Daniela Krien: Mein drittes Leben
Seit mehr als zwei Jahren lebt Linda jetzt allein auf dem Hof, nur mit ein paar Hühnern und der Hündin Kaja als Gesellschaft. Die Tage füllt sie mit körperlicher Arbeit, nachts schluckt sie Tabletten, um schlafen zu können. Sie ist hierher geflohen, vor allem, was sie an Sonja erinnern könnte – ihre Tochter, die mit 17 von einem LKW überfahren wurde. Alles hat Linda zurückgelassen: die Wohnung in Leipzig, die Freund:innen, selbst ihren Mann Richard. Sie selbst kann sich nicht erklären, warum sie nach Sonjas Tod weiterlebt, selbst eine Krebsdiagnose hat sie überstanden. Und doch ist da etwas in ihr, dass noch immer Hoffnung zu haben scheint. Bestsellerautorin Daniela Krien schildert in „Mein drittes Leben“ den Schmerz einer Frau, die aus einem behaglichen Akademikerleben in die tiefste Verzweiflung gestürzt ist. Eindringlich ist dabei vor allem die Kompromisslosigkeit, mit der sich Linda dieser Verzweiflung überlässt, und Krien erlaubt ihrer Protagonistin, unsympathisch und anstrengend zu sein, lässt sie wohlmeinende Menschen verprellen oder verständnislos auf die Trauer anderer reagieren. Dass Leiden uns zu moralisch besseren Menschen macht, ist ohnehin Unsinn. Und so entkommt auch Linda ihrem Abgrund erst, als sie beginnt, wieder am Leben ihrer Nachbar:innen teilzuhaben und ihnen zu helfen. Kriens Botschaft ist klar: Es reicht nicht, einen Garten zu kultivieren – man muss auch andere Leute hineinlassen.
Diogenes, 2024, 304 S., 26 Euro
6. Jessica Lind: Kleine Monster
Pia und ihr Mann Jakob werden in die Grundschule gerufen: Ihr Sohn Luca soll ein Mädchen belästigt haben. Er selbst schweigt eisern, aber mit acht ist er ohnehin zu jung, um zu wissen, was er da tut – oder? Während Jakob das ganze entspannt sieht, werden Pias leise Zweifel immer lauter. Haben die anderen Eltern recht, wenn sie sie aus der WhatsApp-Gruppe schmeißen? Ist Luca ein verwirrtes Kind oder ein manipulativer Lügner? Pia wird klar, dass ihre Unsicherheit mit der eigenen Kindheit zusammenhängt. Damals ist ihre Schwester Linda verunglückt, ihre andere Schwester Romi war die einzige Zeugin. Pia weiß also, wozu Kinder fähig sind – aber an welches Kind denkt sie dabei? Jessica Linds zweiter Roman ist zügig und schnörkellos erzählt, doch unter der glatten Oberfläche verbergen sich Abgründe: „Kleine Monster“ ist ein Psychodrama, das nach und nach zum Thriller wird, vor allem in den Momenten, in denen Pia alle Gewissheiten abhanden kommen. Und wie bei jedem guten Thriller wollen wir nichts lieber, als das Buch zuklappen – und müssen doch immer weiterlesen.
Hanser Berlin, 2024, 256 S., 24 Euro
5. Rasha Khayat: Ich komme nicht zurück
Rasha Khayats neuer Roman spielt während der Covid-Pandemie, doch die ist nicht der Grund, warum Hanna so einsam ist. Es ist ihre beste Freundin Zeyna, die sie vermisst und immer wieder aus dem Augenwinkel zu sehen glaubt. Als Kinder waren Hanna, Zeyna und Cem unzertrennlich, haben sich eine Ersatzfamilie geschaffen: Zeyna hat ihre Mutter im Krieg im Libanon verloren, Hanna ihre Eltern bei einem Autounfall. In der Gegenwart sind nun auch die Großeltern tot, bei denen Hanna aufgewachsen ist, und Cem hat eine Freundin. Welche Leerstelle Zeyna in Hannas Leben hinterlassen hat, macht Rasha Khayat deutlich, indem sie ihre Ich-Erzählerin diese nur in der zweiten Person anreden lässt. Was genau zum Bruch geführt hat, ist bis zum Schluss das zentrale Rätsel des Romans, doch in den Rückblicken setzt sich nach und nach ein Bild zusammen: Der 11. September 2001 und vor allem der Rassismus danach, der Zeyna und Cem aufgrund ihres Migrationshintergrunds anders betrifft als Hanna, ist ein Faktor, aber nicht die endgültige Lösung. Die erweist sich dann als eher unspektakulär. Doch der Fokus des Romans liegt ohnehin woanders: Khayat schildert mit schmerzhafter Intensität eine denkbar enge Freundschaft – genauso wie den Schmerz nach deren Ende.
DuMont, 2024, 176 S., 24 Euro
4. Colson Whitehead: Die Intuitionistin
Seine Fans fiebern nach „Harlem Shuffle“ und „Die Regeln des Spiels“ dem Abschluss der New-York-Trilogie entgegen, doch jetzt fühlt sich die Wartezeit gleich mal deutlich kürzer an: Mit „Die Intuitionistin“ erscheint das Debüt von Colson Whitehead in neuer Übersetzung. Schon mit dem erstmals im Jahr 1999 veröffentlichten Roman zeigt der zweifache Pulitzer-Preisträger sein ganzes Können, indem er Elemente aus Krimi, Sci-Fi und Gesellschaftsroman auf ganz und gar eigene Weise kombiniert: Lila Mae Watson ist die erste Schwarze Frau, die als Fahrstuhl-Inspektorin Karriere gemacht hat. Sie gehört zur Gruppe der Intuitionisten, erspürt Fehlfunktionen und irrt sich nie – bis ein von ihr abgenommener Fahrstuhl plötzlich in die Tiefe stürzt. Stecken hinter dem Sabotageakt die Empiristen, die wirklich jede Schraube kontrollieren? Doch die Detektivgeschichte rückt nach und nach in den Hintergrund und gibt den Blick frei auf so große Themen wie Rassismus, gesellschaftlicher Aufstieg und Solidarität.
Hanser, 2024, 272 S., 26 Euro
Aus d. Engl. v. Henning Ahrens
TOP 3
3. Nora Bossong: Reichskanzlerplatz
Als Schuljunge verliebt sich der Ich-Erzähler Hans in seinen Klassenkameraden Hellmut Quandt und lernt dessen Stiefmutter kennen – Magda, die später einmal Joseph Goebbels heiraten wird. Hellmuts früher Tod schweißt den trauernden Hans und Magda, die eine Affäre mit ihrem Stiefsohn hatte, für immer zusammen. Aus der Ferne sieht Hans, selbst Diplomat geworden und zeitweise im homosexuellen Untergrund aktiv, mit an, wie Magda zur wichtigsten Frau der Nazi-Ideologie wird. Mit „Reichskanzlerplatz“ will Nora Bossong den langsamen Abstieg in die Barbarei abbilden, die Art, wie Passivität unmerklich zu Mittäterschaft wird. Bei Hans ist es schlicht die Angst, die ihn zum Mitläufer macht. Und bei Magda? Ein Lob von Daniel Kehlmann auf der Rückseite macht Vergleiche mit dessen Roman „Lichtspiel“ unausweichlich. Darin hat er die wahre Geschichte des Regisseurs G.W. Pabst genutzt, um meisterhaft über das Verhältnis von Kunst und Schuld zu schreiben. Ein derart stimmiges Bild gelingt Bossong nicht – am Ende ist es ihr fiktiver Protagonist, der im Gedächtnis bleibt, nicht Magda Goebbels. Sie bleibt ebenso rätselhaft wie ihre Beweggründe.
Suhrkamp, 2024, 302 S., 25 Euro
2. Sven Pfizenmaier: Schwätzer
Vor zwei Jahren hat Sven Pfizenmaier seine Teilnahme beim Debütantensalon des Harbour Front Festivals zurückgezogen. 10 000 Euro sind ein stolzes Preisgeld – aber will man die auch von einem Klaus-Michael Kühne, der sich weigert, die NS-Geschichte seines Unternehmens aufzuarbeiten? Dann doch lieber den aspekte-Literaturpreis, den sich Pfizenmaier mit seinem in der niedersächsischen Provinz spielenden Roman „Draußen feiern die Leute“ auch mehr als verdient hat. Inzwischen ist der in Celle geborene Autor nach Berlin gezogen, wo auch sein zweiter Roman „Schwätzer“ spielt. In der Hauptstadt ist die Party definitiv vorbei, zumindest für die Protagonisten Meikel und Eddi, zwei ehemalige Junkies, die nur mit großer Mühe durch ihren Alltag kommen. Als Eddi aus seiner Wohnung raus muss, weil eine profitgeile Zahnärztekammer das Haus aufgekauft hat, versuchen die ehemals besten Freunde, Eddis Obdachlosigkeit abzuwenden, indem sie sich in Brandenburg auf die Suche nach Meteoriten machen … Wenn Pfizenmaier mit wunderbar absurden Wendungen über Einsamkeit, Gentrifizierung und Sucht schreibt, ist das nicht nur eine tiefenscharfe Gesellschaftsanalyse: Der 33-Jährige blickt auch mit einem ungetrübten Gespür für Komik auf die Tristesse.
Kein & Aber, 2024, 288 S., 22 Euro
1. Behzad Karim Khani: Als wir Schwäne waren
Vor zwei Jahren hat Behzad Karim Khani sein Debüt veröffentlicht: Der Roman „Hund, Wolf, Schakal“ war auf der Shortlist des aspekte-Literaturpreises, er hat den Debütpreis des Harbour Front Literaturfestivals und generell sehr viel Lob bekommen. Jetzt erscheint mit „Als wir Schwäne waren“ sein zweites Buch.
Karim Khani war keine zehn Jahre alt, als er mit seiner Familie aus dem Iran ins Ruhrgebiet geflüchtet ist. Daheim in Teheran war sein Vater ein Dichter, in Bochum fährt er Taxi und arbeitet in einem Kiosk. „Rückblickend frage ich mich, wie es ist, wenn sich das Alte schließt und das Neue nicht öffnet“, ist ein Satz, den Karim Khani in seinem zweiten Roman schreibt. „Als wir Schwäne waren“ erzählt eine Geschichte, die der aus „Hund, Wolf, Schakal“ nicht unähnlich ist, aber sehr viel tiefer geht. Und er hat eine spektakuläre Sprache gefunden, in der Melancholie und Härte, Empathie und Selbstschutz miteinander ringen.
„Als wir Schwäne waren“ setzt in den 90ern ein und erzählt vom Aufwachsen eines Jungen in einer Bochumer Vorstadtsiedlung. Es geht um Gewalt, Rassismus und um Armut. Wir begegnen dem jungen Kurden Serdar, der die Klamotten seines großem Bruders aufträgt und vom Vater regelmäßig zusammengeschlagen wird. Von Serdas Schicksal lernen wir, dass Armut, die nicht riecht und nichts vorzutäuschen versucht, besonders gefährlich ist. Wir begegnen dem rechtsradikalen Thorsten Langner, der sich für die Scham seines Hundes schämt. Vor allem aber ist da der Erzähler. „Ich werde zu Hause etwas stiller und draußen etwas lauter“, ist so ein Satz über seine Zeit in Bochum. Er wird sein „Nie wieder!“ entdecken, mit Schwarzen Afghanen dealen, eine Bewährungsstrafe bekommen nach Neukölln ziehen, und mehr als 20 Jahre später wird der Vater eine Widmung in den Debütroman seines Sohnes schreiben.
Hanser Berlin, 2024, 192 S., 22 Euro
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