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Die besten Bücher im Juni 2023

Die besten Bücher im Juni 2023: Buchcover von Dennis Cooper, Heidi Furre, T.C. Boyle, Anne Berest, David Schalko, Lydia Meyer, Jasmin Ramadan, Min Jin Lee

Welcher Roman gehört ins Strandtäschchen? Die besten Bücher im Juni 2023 mit T.C. Boyle, Anne Berest und David Schalko.

Und noch ein Buch übers Klima. Doch T.C. Boyles Roman klingt ganz anders als all die düsteren Endzeitszenarien derzeit und setzt als gediegener Familienroman ein. Wird er mit „Blue Skies“ also auch unsere Liste der besten Bücher im Juni 2023 anführen? Anne Berest könnte ihm einen Strich durch die Rechnung machen, denn endlich erscheint ihr bewegendes Familienepos in deutscher Übersetzung  – und mit „Die Postkarte“ ist sie immerhin seit dem Erscheinen im September 2021 auf der französischen Bestsellerliste vertreten. Auch David Schalko nimmt die Spitzenposition unserer Liste der besten Bücher im Juni 2023 ins Visier: Nach seinem großen Erfolg mit „Bad Regina“ folgt mit „Was der Tag bringt“ ein Roman, in dem Schalko beschreibt, wie in der postpandemischen Gesellschaft auch die urbane Mittelschicht in die Armut abrutscht.

Heidi Furre könnte auf unserer Liste der besten Bücher im Juni 2023 ganz weit vorn landen. In „Macht“ dechiffriert sie die Strukturen hinter sexualisiertem Machtmissbrauch und fordert einen längst überfälligen Wandel im gesellschaftlichen Umgang mit Sex. Oder setzt sich doch wieder Dennis Cooper auf unserer Liste der besten Bücher im Juni 2023 durch? „Ich würde so weit gehen zu behaupten, dass ,Ich wünschte’ der bewegendste Liebesroman ist, den ich je gelesen habe.“, schreibt Clemens J. Setz im Nachwort – und das ist ein Satz, dem man sich nur anschließen kann.

Mit „Die Zukunft ist nicht binär“ von Lydia Meyer geht auch ein Sachbuch ins Rennen: Es ist ein ganz wichtiger Beitrag, um der Stimmungsmache gegen trans Personen zu trotzen. Nach sieben Jahren Buchpause ist auch Jasmin Ramadan zurück, und mit „Auf Wiedersehen“ dreht die Autorin von „Soul Kitchen“ so mächtig auf wie nie zuvor. Vielleicht schafft es aber auch ein Ziegelstein auf unserer Liste der besten Bücher im Juni 2023 bis ganz nach oben: Anhand des detailliert geschilderten Lebens einer einzelnen Frau erzählt Min Jin Lee in „Gratisessen für Millionäre“ die Geschichte eines ganzen Milieus, der koreanischen Community im New York der 90er.

Die besten Bücher im Juni 2023

8. Min Jin Lee: Gratisessen für Millionäre

Die besten Bücher im Juni 2023: Buchcover „Gratisessen für Millionäre“ von Min Jin LeeAls ihre größten Inspirationen gibt Min Jin Lee die Bibel, Eliot und Balzac an. Kein Wunder also, dass ihr ursprünglich bereits 2007 erschienener Debütroman „Gratisessen für Millionäre“ von der New York Times mit einem „klassischen Roman aus dem 19. Jahrhundert“ verglichen wurde: Anhand des detailliert geschilderten Lebens einer einzelnen Frau erzählt Lee die Geschichte eines ganzen Milieus, der koreanischen Community im New York der 90er. Casey Han, Tochter koreanischer Eltern, hat in Princeton studiert und träumt von einer glorreichen Zukunft, findet aber keinen Job, der ihrem Ehrgeiz entspricht. Von ihrem gewalttätigen Vater verstoßen, sucht sie ihren eigenen Weg, erlebt Glücksfälle und Schicksalsschläge, Liebe und Schmerz. Die epische Länge des Romans und die Größe des Figurenensembles machen Lees auktorialen, manchmal farblosen Erzählstil verständlich, vielleicht sogar notwendig. Doch wie bei manchen ihrer Vorbilder wird ihre Hauptfigur Casey im Laufe des Romans immer uninteressanter im Vergleich zu den Menschen um sie herum: ihre Freundin, die reiche, aber herzensgute Ella, ihr spielsüchtiger Liebhaber Unu oder ihre tiefgläubige Mutter.

dtv, 2023, 848 S., 28 Euro

Aus d. Engl. v. Andrea Fischer

7. Jasmin Ramadan: Auf Wiedersehen

Buchcover „Auf Wiedersehen“ von Jasmin Ramadan„Erst mit etwa 45 Jahren werden Menschen wahrhaftig interessant. Nie zuvor habe ich beim Schreiben so aus dem Vollen geschöpft“, sagt Jasmin Ramadan mit einem Hauch von Understatement. Immerhin kann die 48-jährige Autorin aus Hamburg nicht nur ihr erfolgreiches Debüt „Soul Kitchen“ aus dem Jahr 2009 vorweisen, mit dem sie die Vorgeschichte zu Fatih Akins gleichnamigen Kinofilm erzählt, sondern hat noch weitere Romane in der Vita – etwa das literarische Neurosen-Festival „Kapitalismus und Hautkrankheiten“ oder „Hotel Jasmin“, ein Buch, bei dem sie der Lebensgeschichte ihres ägyptischen Vaters einen fiktionalen Rahmen verpasst.

Nach sieben Jahren Buchpause kehrt Jasmin Ramadan zurück – und belegt Platz 7 auf unserer Liste der besten Bücher im Juni 2023

Doch tatsächlich dreht Ramadan mächtig auf, wenn sie sich nach sieben Jahren Buchpause nun der Midlife-Crisis zuwendet und vier Frauen und vier Männer in ihren Vierzigern auseinandernimmt, die irgendwann mal vier Paare ergeben haben. Es gibt Spannungsmomente, weil etwa das prollige Exzessmonster Hendrik spurlos verschwindet, doch ein Spektakel ist „Auf Wiedersehen“ vor allem wegen Ramadans kompromisslosem, mit knallhartem Humor durchsetztem Blick auf den Verfall von Körpern und Lebensentwürfen. Da ist es auch egal, dass die Figuren mitunter überzeichnet sind: Dank der grandiosen Dialoge machen sie immer wieder schmerzhafte Identifikationsangebote.

Weissbooks, 2023, 288 S., 24 Euro

6. Lydia Meyer: Die Zukunft ist nicht binär

Buchcover „Die Zukunft ist nicht binär“ von Lydia Meyer„Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?“ So lautete die provokante Fragestellung von Alice Schwarzers peinlicher „Streitschrift“ über Transsexualität. Sie und die Emmas streuten darin schlecht belegte Thesen à la „trans ist Trend“ in die Welt. Einen einzigen wasserdichten Beleg haben sie versehentlich durch die Veröffentlichung selbst mitgeliefert: Wenn aktuell etwas im „Trend“ ist, dann die Stimmungsmache gegen trans Personen. Doch der aktuelle Diskurs darum wird für viele Nicht-Betroffene oft auf einem akademisch abgehobenem Niveau geführt. Die Redakteurin und Konzepterin Lydia Meyer schlägt mit ihrem (leider) notwendigen Buch eine Bresche in das teils schwer zu durchdringende Dickicht rhetorischer Verbiegungen und öffnet hoffentlich so manches Auge: „Die Zukunft ist nicht binär“ erklärt klar und einleuchtend die wichtigsten Eckpunkte, räumt Falschbehauptungen aus dem Weg und liefert das ideale argumentative Rüstzeug für Diskussionen.

rororo, 2023, 224 S., 14 Euro

5. David Schalko: Was der Tag bringt

Die besten Bücher im Juni 2023: Buchcover „Was der Tag bringt“ von David SchalkoIn seinem letzten Buch „Bad Regina“ hat David Schalko den Untergang eines Alpendorfs geschildert. Sein neuer Roman ist ebenfalls ein Abgesang, nur ist es hier statt eines Ortes ein Mensch, der verfällt. Dank der Pandemie hat Felix’ Start-up dichtmachen müssen, langsam wird das Geld knapp. Er entscheidet sich, seine Wohnung zu vermieten, acht Tage jeden Monat. In dieser Zeit will er bei Freunden und Familie unterkommen, stellt aber bald fest, dass seine Beziehungen nicht so stabil sind, wie er gedacht hat. Und auch sonst ist an Felix nichts stabil, nicht einmal sein Ego. Seine Acht-Tage-Exils werden zu Intervallen der Sinnsuche, die ihn mit seiner Exfreundin, seinem Vater, seinem Jugendfreund konfrontieren. Zunehmend wird Felix klar, dass sein Leben erschreckend leer ist – ohne Arbeit, ohne Liebe, ohne Zweck.

Schalko erzählt das alles in klaustrophobisch kurzen Hauptsätzen und steigert die Intensität unmerklich, bis es Felix in einer surrealen Episode in ein Hotel verschlägt, das für jede Bewegung Geld nimmt, er erst eine unerschöpfliche Kreditkarte bekommt, nur um dann doch auf der Straße zu landen, wenn auch freiwillig. Das ist trotz einigen Humors ein zutiefst melancholisches Porträt unserer entfremdeten Gesellschaft – das treffend bemerkt, dass die meisten Probleme schon vor der Pandemie da gewesen sind.

Kiepenheuer & Witsch, 2023, 302 S., 24 Euro

4. Anne Berest: Die Postkarte

Buchcover „Die Postkarte“ von Anne BerestEphraïm, Emma, Noémie, Jacques – diese vier Namen stehen auf einer Postkarte, die Anne Berests Mutter am 6. Januar 2003 aus dem Briefkasten zieht. Es sind die Namen ihres Onkels, ihrer Tante und ihrer Großeltern. Alle vier sind 1942 in Auschwitz gestorben. „Die Postkarte“ wird zum Auslöser einer punktgenauen, besessenen Recherche, die 100 Jahre zurück – zu dem schleichenden und doch explosiven Größenwahn eines antisemitischen Traumes führt – und bis in die Gegenwart, auf die Pausenhöfe französischer Schulen reicht. Die minutiösen Details, Hausnummern, Aktenzeichen und Begegnungen zeichnen ein faszinierendes Familienepos nach, das mit der kalten Brutalität der Fakten demonstriert, wie dünn das Zufallsfädchen ist, an dem jedes Leben hängt.

Berlin Verlag, 544 S., 28 Euro

Aus d. Franz. v. Michaela Meßner u. Amelie Thoma

TOP 3

3. T.C. Boyle: Blue Skies

Buchcover „Blue Skies“ von T.C. BoyleOttilie will auf Fleisch verzichten und zukünftig nur noch Insekten verzehren. Sie bestellt sich einen Brutapparat für Grillen, lädt Freunde zum Essen ein, und es ist ein großer Spaß, wenn sie den Gästen erst im Nachgang verrät, was da eigentlich gerade verspeist worden ist: in Öl frittierte Heuschrecken, deren Flügel und Beine sie entfernt hat, mit Käfern gefüllte Tacos und zu Kaffee und Likör schließlich auch noch Grillenstreuselkuchen …

T.C. Boyles Roman klingt ganz anders als all die von der Klimakatastrophe inspirierten Endzeitszenarien – und das ergibt Platz 3 auf unserer Liste der besten Bücher im Juni 2023

„Blues Skies“ könnte zunächst als ein gediegener Familienroman à la Jonathan Franzen durchgehen, auch wenn das Personal schon darüber hinausweist: Ottilies Sohn Cooper arbeitet als Entomologe und ist schwer besorgt über das Artensterben, während seine Schwester Cat die perfekte Antagonistin gibt und kein Problem darin sieht, sich einen riesigen Tigerpython anzuschaffen, um sich die Schlange als ein lebendiges Schmuckstück um den Hals legen zu können. Klar, da schwelt etwas im Hintergrund: Lebensmittel werden wegen all der Missernten knapp, das Wasser muss rationalisiert werden, und immer wieder fällt der Strom aus.

T.C. Boyle zeigt, wie sich die Folgen der Erderwärmung auf den Alltag einer zwar privilegierten, aber dennoch sehr normalen US-Familie auswirken. Durch einen vermeintlich harmlosen Zeckenbiss verliert Cooper einen Arm, und Cats Python kann aus dem Terrarium entkommen … Weil Boyle das Grauen erst nach und nach eintreten lässt, zeichnet er es so viel eindringlicher als all die finsteren Endzeiterzählungen unserer Zeit. Und ist es wirklich ein Hoffnungsschimmer, den der 74-jährige US-Autor am Ende seines Romans aufblitzen lässt?

2. Heidi Furre: Macht

Die besten Bücher im Juni 2023: Buchcover „Macht“ von Heidi Furre„Niemand bleibt nach einer Vergewaltigung liegen. Niemand. Alle stehen auf. Niemand hört danach auf, Mensch zu sein“: Liv ist während des Studiums vergewaltigt worden, kaum jemand weiß von der Tat. Inzwischen scheint die junge Pflegerin ein nahezu perfektes Leben zu führen: Ehemann, zwei Kinder, Osloer Einfamilienhaus. Dass hinter ihrem sterilen Designerleben bloß noch die teilnahmslose Hülle ihrer selbst steckt, überrascht kaum, ändert sich allerdings schlagartig, als Liv auf der Arbeit einen berühmten Schauspieler trifft, der vor Jahren wegen Vergewaltigung angeklagt wurde.

Heidi Furre schickt die Ich-Erzählerin in ihrem neuen Roman „Macht“ in die Konfrontation und lässt sie ihre eigene Sprache für das Geschehene finden. So erobert Liv schließlich die Macht über sich und ihren Körper zurück, wobei Scham, Zweifel, Schmerz, Empathie und Rachegefühle mitunter gleichzeitig durch flüchtige Gedanken und beiläufige Kommentare rasen.

Im Sinne der „MeToo“-Bewegung ist es nur konsequent, dass Furre Tat und Täter ausspart und sich einzig der Welt des Opfers annimmt. Um justiziable Gerechtigkeit geht es Furre hingegen weniger. Sie dechiffriert die Strukturen hinter sexualisiertem Machtmissbrauch und fordert einen längst überfälligen Wandel im gesellschaftlichen Umgang mit Sex: Wir müssen lernen, schambefreit über Sexualität, ihre pathologisierten Bereiche und Porno zu sprechen.

Dumont, 2023, 176 S., 22 Euro

Aus d. Norw. v. Karoline Hippe

1. Dennis Cooper: Ich wünschte

Buchcover „Ich wünschte“ von Dennis CooperMit 15 trifft Dennis Cooper auf einer Party den drei Jahre älteren George Miles. Die beiden Jungen werden Freunde, später haben sie Sex miteinander, doch es ist kompliziert, denn George ist immer abwesend, er kann nicht fühlen, was an seiner bipolaren Störung und den Medikamenten liegt. Als Cooper Mitte der 80er nach Europa übersiedelt, beginnt er mit dem George-Miles-Zyklus: Zwischen 1989 und 2000 erscheinen fünf Romane voller Gewaltfantasien und suizidaler Figuren, die an George angelehnt sind – doch erst viele Jahre später erfährt Cooper, dass sich sein Freund bereits 1987 mit einem Kopfschuss das Leben genommen hat.

„Ich wünschte“ ist ein bewegender Liebesroman und der Spitzenreiter unserer Liste der besten Bücher im Juni 2023

„Ich wünschte“ umfasst nun neun Szenen, in denen ein Erzähler namens Dennis verstehen will: Er philosophiert über das Aufopfern, und er lässt einen vom Künstler James Turrell gestalteten Vulkankrater mit einem kleineren Krater kommunizieren – den in Georges Kopf nach dessen Selbstmord. „Ich würde so weit gehen zu behaupten, dass ,Ich wünschte’ der bewegendste Liebesroman ist, den ich je gelesen habe.“, schreibt Clemens J. Setz in seinem Nachwort. Es ist ein Satz, dem man sich nur anschließen kann.

Luftschacht, 2023, 144 S., 20 Euro

Aus d. Engl. v. Raimund Varga

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