Die Monster AG: The National im Interview zu „First two Pages of Frankenstein“
Nicht umsonst nennen The National ihr neues Album „First two Pages of Frankenstein“: Sänger und Texter Matt Berninger hatte im Vorfeld mit den eigenen Dämonen zu kämpfen.
Mary Shelleys Buch über den Forscher Victor Frankenstein, dem es gelingt, einen künstlichen Menschen zu erschaffen, ist ein Klassiker der Weltliteratur mit ungewöhnlich aktuellen Bezügen. Während Forscher in den Technologiekonzernen die Künstliche Intelligenz weiterentwickeln, gilt die 1818 entstandene Geschichte von Frankenstein nicht nur als einer der frühesten und besten englischen Romane, sondern auch als Prototyp einer Monster- und Schauergeschichte – übrigens mit einigem psychologischen Deutungspotenzial über die Rolle des von Victor Frankenstein erschaffenen Geschöpfs ohne Namen. The National haben sich den Spaß gemacht, ihr neues Album „First two Pages of Frankenstein“ zu nennen – und mit der Idee zu spielen, dass Shelley Roman mit einem Brief des Chronisten Robert Walton an seine Schwester beginnt, in dem er sie zu beruhigen versucht. Nach dem Motto: Alles okay mit diesem Frankenstein, kein Grund zur Sorge. Wenn die Schwester nur wüsste …
Um Dämonen und böse Geister geht’s auch auf dem neunten Album der Band um Matt Berninger und die Zwillingsbrüder Aaron und Bryce Dessner an den Gitarren. Zu finden sind sie in diesem Fall im Kopf von Berninger, der wie gehabt für die Lyrics zuständig ist. Wobei das erprobte Konstrukt von The National im Vorfeld des Albums auf der Kippe gestanden hat, wie Berninger gesteht – schließlich hat er unter der bislang längsten Schreibblockade seines Lebens gelitten.
„First two Pages of Frankenstein“ von The National: Out now!
Matt, eure Band besteht seit bald einem Vierteljahrhundert. Was zeichnet The National aus?
Matt Berninger: Zum einem bin ich von Beginn an Mitglied, was zur Folge hat, dass The National die mit Abstand längste Beziehung ist, die ich in meinem Leben geführt habe. Umso größer ist gelegentlich die Angst, dass es eines Tages vorbei sein könnte. Was uns zudem auszeichnet, ist die Gewissheit, dass wir alle fünf weiterhin einen unbändigen Hunger auf etwas Neues haben. Vor allem auf neue Songs.
Dann langweilen euch Greatest Hits-Shows?
Berninger: Absolut, ja. Neue Songs bieten die größte Motivation, um auf Tour zu gehen. Eine Greatest-Hits-Show von The National – was sollten wir da spielen? Wir sind als Bands ja nicht für Radiohits bekannt. Aber selbst, wenn wir ein paar Hits hätten: Wir würden es nicht wollen, nur die alten Sachen zu spielen. Und sollte es eines Tages dazu kommen, dass wir keine neuen Alben mehr aufnehmen, dann glaube ich kaum, dass wir weiterhin Shows spielen würden.
Es wäre das Ende, vor dem du dich fürchtest.
Berninger: Genau.
„Plötzlich hat sich der Knoten gelöst!“
Entsprechend groß muss deine Angst gewesen sein, als du vor der neuen Platte unter einer Schreibblockade gelitten hast.
Berninger: Oh ja! Ich kenne solche Blockaden schon, früher haben sie ein paar Tage, vielleicht ein paar Wochen gedauert. Dieses Mal war es viel länger, fast ein Jahr. Entsprechend niedergeschlagen bin ich gewesen. Aber plötzlich hat sich der Knoten gelöst. Es hat wieder funktioniert, als es der Verlauf der Pandemie erlaubt hat, wieder gemeinsam zu proben und live zu spielen. Wir haben im Sommer 2022 eine Tour absolviert, auf der wir einerseits Energie getankt und andererseits neue Songs entwickelt haben.
Am Ende standen ein paar von den neuen Songs ja sogar schon auf der Setlist.
Berninger: Ja, unsere Live-Besucher kennen einige der Songs vom neuen Album schon länger. Die neuen Stücke haben sich irgendwann einfach selbst auf die Setlist gesetzt, und es hat sich großartig angefühlt, sie ins Programm zu nehmen. Das war wie frisches Blut in unseren Venen.
Es gibt auf neuem Album zwei bekannte Gastsängerinnen. Beginnen wir mit Phoebe Bridgers, die gleich bei zwei Stücken dabei ist.
Berninger: Beide Stücke, „Your Mind is not your Friend“ und „This isn’t helping“, behandeln die mentale Krise, die ich durchleben musste. Auf eine tröstliche Art übernimmt die Stimme von Phoebe die Rolle einer Begleiterin, die mir den Mut zuspricht, die Dinge beim Namen zu nennen.
Dagegen ist der Auftritt von Pop-Superstar Taylor Swift beim Stück „The Alcott“ eher ein klassisches Duett.
Berninger: Unser Gitarrist Aaron (Anm. d. Red.: Gitarrist von The National sowie Cokomponist und Produzent von Taylor Swift) hat ihr den Song mit meiner Gesangsmelodie gegeben. Zwei Tage später war ihre Antwort da, mit Vocals, die dem Stück eine ganz neue Ebene geben. Es ist ein Lied über ein Paar, das sich fragt, ob es klug ist, noch einmal einen Ort zu besuchen, der nostalgisch aufgeladen ist. Und so, wie Taylor und ich das Stück singen, wird klar, dass beide Parteien nicht recht sicher sind, dass es eine gute Idee ist.
Was denkst du, kann so etwas funktionieren?
Berninger: Wenn es sich um reine Nostalgie handelt, wird es schwierig. Aber ich denke schon, dass es gelingen kann, mit solchen Trips die eigene Geschichte neu für sich zu entdecken. Eine gemeinsame Vergangenheit zu haben, ist ein Wert, der Beziehungen auch in der Gegenwart nützlich sein kann.