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Édouard Louis: Das Ende von Eddy

„An meine Kindheit habe ich keine einzige glückliche Erinnerung. Das soll nicht heißen, ich hätte in all den Jahren niemals Glück oder Freude empfunden. Aber das Leiden ist totalitär: Es eliminiert alles, was nicht in sein System passt.“ Édouard Louis war gerade mal 18, als er den autobiografischen Roman geschrieben hat, der letztes Jahr in Frankreich zum Bestseller avancierte und heftige Diskussionen auslöste.

Mittlerweile ist er 22, studiert in Paris Soziologie und hat bereits ein Buch über Pierre Bourdieu veröffentlicht. Doch aufgewachsen ist Eddy im armen Norden Frankreichs, in einem Dorf in der Picardie, wo ihm schon als Sechsjähriger seine weiche Stimme und der feminine Gang verraten: Eddy ist anders, und aus ihm wird nie der richtige Kerl werden, der man dort zu sein hat. „Im Flur tauchen zwei Jungen auf, einer war groß und rothaarig, der andere klein und mit krummem Rücken. Der Rothaarige spuckte mich an: Da, voll in die Fresse. Die Rotze rann langsam mein Gesicht hinab, gelb und dick, wie der heiserre Schleim aus der Kehle von Alten oder Kranken, sie roch stark, übelkeiterregend. Bäh, er hat die ganze Fresse voll, der Wichser. Sie rinnt von meinem Auge bis zu den Lippen hinunter, gelangt in meinen Mund. Ich traue mich nicht, sie wegzuwischen.“

Drei Jahre lang lauern ihm die beiden Jungen tagtäglich in der Schule auf, um ihn zu verprügeln, anzuspucken und als Schwuchtel zu beschimpfen. Aus Scham schweigt Eddy und lässt die Folter über sich ergehen, da auch seine Eltern ihn jeden Tag mit spitzen Bemerkungen spüren lassen, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Natürlich könnte man die Gegenüberstellung von Arbeitermilieu und akademischer Welt als stereotyp und viel zu plakativ beiseite schieben.

Doch wenn Louis sich an seine Kindheit erinnert und von der Gewalt, den rassistischen und homophoben Bemerkungen, einer in Alkohol getränkten Perspektivlosigkeit und dem nie ausgeschalteten Fernseher erzählt, geht es ihm nicht um Rache oder Genugtuung. Kompromisslos und kalt, aber ohne blinde Wut bildet er ab und kontrastiert die Sprache des Soziologiestudenten mit dem Sound seiner Kindheit, der in dem Roman kursiv gesetzt ist. Dennoch beschreibt „Das Ende von Eddy“ keine triumphale Flucht, und so sehr ihm auch bewusst ist, wie wichtig es war, seiner Herkunft zu entkommen, haben sich in dem Bericht auch Trauer und Verlust eingeschrieben. „Und so erlebte ich auch die Flucht zunächst als Resignation, als Scheitern. In diesem Alter hätte Erfolg darin bestanden, so zu sein wie die anderen. Ich hatte alles versucht.“

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