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Eistradamus

Eisbrecher
(Foto: Holger Fichtner / 360 Grad Design)

Das neue Eisbrecher-Album war schon vor der Pandemie fertig – und klingt trotzdem seltsam prophetisch.

Alex, euer letztes Album ist erst ein paar Monate alt, jetzt ist schon das neue da. Liegt das daran, das auf „Schicksalsmelodien“ nur Cover zu hören waren, oder hattet ihr einfach so viel Zeit im Lockdown?

Alexander „Alex“ Wesselsky: Ich könnte jetzt etwas von Momentum und Kampf erzählen, aber tatsächlich haben wir die Reihenfolge geändert. Wir wollten „Liebe Macht Monster“ im Oktober 2020 vor der Tour rausbringen und dann 2021 das Coveralbum machen. Dann kam der ganze Wahnsinn, die Tour wurde abgesagt, und wir haben umgestellt. Wir waren schon im Januar mit dem neuen Album fertig und haben direkt die Coverplatte angeschlossen. Die läuft super, jetzt müssen wir gucken, ob wir mit dem neuen Album erfolgreicher sind oder in Zukunft nur noch covern. (lacht)

Wenn das Album schon im Frühling fertig gewesen ist, kann die Pandemie ja keinen Einfluss gehabt haben. Trotzdem klingt ein Song wie „Leiserdrehen“, in dem es um die endlose Flut von schlechten Nachrichten geht, nach 2020 relevanter als je zuvor.

Wesselsky: Da haben wir es wieder: Gewisse Themen sind zeitlos. So wie in „Leiserdrehen“ ging es unseren Eltern während des Vietnamkriegs, während Nine Eleven, das sind immer wiederkehrende topics. Der deutsche Michel, der am liebsten sagt: Ich kann das alles nicht mehr, das ist alles so negativ, ich will meine Ruhe haben und Urlaubsfotos anschauen. Leute, die lieber wegsehen, hat es schon immer gegeben. Alles, was vor Corona da war, ist ja immer noch da. Corona deckt einiges zu, aber es ersetzt nichts. Es ist nur ein Add-on, Bullshit 2.0.

„Leiserdrehen“ ist ja nur einer von mehreren Songs, die ziemlich konkret werden. Aber bei „FAKK“ war ich ehrlich gesagt nicht sicher, gegen wen er gerichtet ist …

Wesselsky: Er klingt simpel, aber „FAKK“ hat uns monatelang durch alle Höllen des Songwritings getrieben. Das fasst den kreativen Prozess perfekt zusammen: Wenn man glaubt, es wäre einfach, wird es richtig kompliziert. Wir wussten zwar ungefähr, wo wir hinwollen, aber dann kam die Frage auf: Wer ist eigentlich der Adressat? Ich kann dir nur sagen: Such’s dir selbst aus. Ob du jetzt den klassischen Jetset-Crack nimmst, den Koks ziehenden HipHopper, den obercoolen Heavy-Metal-Klischeestar, den Tagesschausprecher, den Fitnessstudio-Hanswurst, das RTL2-Publikum oder politische Kasten … es kommen alle vor. Aber du kannst den Songtitel auch rufen, wenn du dir den Zeh anhaust. Es soll nicht zu ernst sein, gleichzeitig steckt aber etwas Ernstes dahinter. Musikalisch ist der Track eine Verbeugung vor den 90ern, als der HipHop noch kritisch war, und auch der Metal. Es gab einen guten gemeinsamen Nenner, und auf den wollten wir uns berufen.

Was hat euch sonst musikalisch inspiriert?

Wesselsky: Bei uns gibt es immer zuerst die Musik als emotionalen Türöffner, bevor die Texte dazu kommen. Pix, mein partner in crime hat dieses Mal gesagt: Ich will alles anders haben. Er hat alles über Bord geworfen, sich Wochen und Monate hingesetzt und sich komplett in ein neues Sound-Universum eingearbeitet. Mit diesen neuen Waffen ist er dann angekommen und hat mich damit überfahren. Ich habe eine Weile gebraucht und hatte anfangs Sorge, ob wir uns zu weit von unserem bekannten Weg entfernen. Aber es hat mich gezwungen, mal von meinem Standardgefühl wegzugehen. Man findet leicht Dinge scheiße, die man nicht kennt, aber manchmal muss man sich selber pushen. Und es hat sich schon deshalb gelohnt, weil wir beide es sehr, sehr geil finden. Es ist eine wirklich gute, reife Platte geworden, auf die man auch mit 50 stolz sein kann. Wir haben uns damit selbst eine Freude gemacht – und das ist das wichtigste.

Apropos 50: Ihr macht den Job jetzt schon echt lange. Wie verändert sich dabei der Blick darauf?

Wesselsky: Anstatt, dass man es sich leichter macht, wächst der Anspruch. Man hat schon so viele Songs und Texte geschrieben – was ist es überhaupt noch wert, erzählt zu werden? Und zugleich will man unterhalten, Party machen, ein Ventil bieten, ohne dass es blöd wird. Eigentlich macht man immer die Musik, die man gerne hören würde, aber nicht finden kann. „Mach’s dir selbst“ ist also der Anspruch über 50. (lacht) Sich immer wieder aus der Reserve locken, nie auf den Lorbeeren ausruhen. Unterhaltung muss nicht dumm sein, und erfolgreich sein bedeutet nicht, sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu beschränken. Man darf die Leute fordern. Ich will ja auch gefordert sein, denn ich langweile mich sehr schnell. Was ich auf keinen Fall will, ist gelangweilt sein – oder selbst langweilen.

Liebe Macht Monster erscheint am 12. 3.

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