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Eminem

Der weiße Riese

Harte Schale, harter Kern? Marshall Bruce Mathers alias Eminem, dessen bald erscheinende CD den Sommer dominieren wird, gilt als der große böse Junge des HipHop. Ein 30-Jähriger, der sich mit Gott und der Welt anlegt. Ist das nur eine Masche, um von privaten Problemen abzulenken? ulysses BIG legte den Superstar aus Detroit auf die Psycho-Couch – bei ihm zu Hause.

Eigentlich war das letzte halbe Jahr genau so, wie er es sich gewünscht hat: ruhig und beschaulich. Nämlich (fast) ohne Schlagzeilen, ohne neue Kontroversen und ohne haarsträubende Gerüchte. Marshall Mathers, besser bekannt als Eminem, konnte endlich ein halbwegs normales Leben führen, ein paar Tage frei nehmen, sich um seine siebenjährige Tochter Hailie Jade kümmern und ganz entspannt neue Songs angehen. Dazu hat er sich in seinem Haus in Manchester Heights, eine halbe Autostunde westlich von Detroit, ein Studio eingerichtet, zu dem nur engste Vertraute Zutritt haben. Eben gute alte Bekannte wie Star-Produzent Dr. Dré, der auch diesmal hinter den Reglern sitzt, oder das Produktions-Team der Bass Brothers, das ihm erneut freche, verspielte Beats auf den Leib schneidert.

Doch die heimische Idylle ist getrübt. Ein unbekanntes Mitglied der Eminem-Entourage hat fünf unvollendete Stücke auf CD gebrannt und übers Internetauktionshaus Ebay zum Verkauf angeboten. Zwar ließen Management und Plattenfirma die Seite sofort schließen, doch das Angebot taucht hartnäckig immer wieder auf. Jetzt soll ein spezielles Sicherheitsteam dafür sorgen, dass keine weitere Musik an die Öffentlichkeit gelangt.

Ein Fall mit Folgen. Denn Eminem fühlt sich plötzlich wieder daran erinnert, wie schmal der Pfad zwischen Freundschaft und Geldgier ist – und welch verrücktes Leben er führt. „Es ist eine richtige Show geworden“, stöhnt er und verdreht die graublauen Augen. „Jeder Mensch bekommt mit, was bei mir abläuft, auch die privatesten Dinge. Ich bin wie der Typ in der ,Truman Show’.“

Tiefes Stöhnen, hilflose Geste. Eminem ist genervt. Schließlich versucht sich wirklich jeder an ihm zu bereichern. Die Fans und die Musikindustrie, die Medien, Paparazzi, Freunde und sogar die eigene Familie. Alle wollen nur sein Bestes: Geld. Das stimmt ihn inzwischen weniger böse als depressiv. „Ich hatte eigentlich die Hälfte des Albums fertig, doch nach dieser Aktion bleiben nur noch zwei bis drei Stücke übrig. Und das ist wirklich schmerzlich – zu erkennen, dass all die Arbeit umsonst war.“

Das ist symptomatisch für Eminems Pech mit Menschen. Denn der 30-Jährige mit dem blondierten Kurzhaar, dem bleichen Teint und den jugendlichen Gesichtszügen, gerät immer an die Falschen. Mit Ausnahme von Produzent Dré und Manager Paul Rosenberg, mit denen er seit Jahren zusammenarbeitet, erweisen sich alle um ihn herum als unzuverlässig und indiskret. Ob Familie, Freunde oder Musikerkollegen – sie alle versuchen ihre Eminem-Connection zu versilbern. Oma Betty und Vater Marshall Bruce verkaufen Erinnerungen an Eminems Kindheit, Onkel Todd veröffentlicht ein Video, das Eminem als Teenager zeigt und Mutter Debbie rechnet per CD mit ihrem Sohn ab.

„Als ich ein Kind war“, sagt der frustrierte Star, „hat sie sich nie um mich gekümmert. Und jetzt versucht sie ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Sie ist wie Hämorrhoiden – man wird sie einfach nicht mehr los. Was für eine selbstsüchtige Hexe!“ Der Denver-Clan von Detroit.

Auch seine Ex-Frau Kim haut in dieselbe Kerbe. Sie verließ ihn vor seinem großen Durchbruch, nur um dann wehleidig zurückzukehren, sich in seinem Ruhm zu suhlen, und dann – als es sich richtig lohnte – die Scheidung einzureichen. Für viele Millionen ließ sie sich sogar das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter abtreten, um nun dem Jetset zu frönen, Kokain zu schnupfen und wilde Parties zu feiern. O-Ton Eminem.

Kims Partys dürften aber jetzt vorbei sein. Wegen wiederholter Verletzung des Betäubungsmittelgesetzes sieht sie einer fünfjährigen Haftstrafe entgegen. Schließlich hat sie sich nicht nur mehrfach beim Autofahren ohne Führerschein, sondern auch mit Kokain erwischen lassen. Soviel Dummheit muss bestraft werden, meint auch der gehörnte Ex, der in Kim seinen bislang größten faux pas in Sachen Menschenkenntnis sieht – im achtjährigen Töchterchen Hailie Jade dagegen die beste Sache, die ihm je passiert ist. „Eine richtige Prinzessin“, schwärmt der Rapper. „Sie wird jeden Tag hübscher“.

Ein ähnlich intensives Verhältnis hat Eminem sonst nur zu seinem kleinen Bruder Nathan (18), der wie eine Kopie seiner selbst wirkt: wasserstoffblonde Haare, Armee-Unterhemd und Halskette. Imitation als Ausdruck von Bewunderung.

Ähnlich verhalten sich auch seine zumeist jugendlichen Fans, die ihn zum erfolgreichsten Rapper aller Zeiten machten. Eine Popularität, die auf einem scheinbar simplen Rezept beruht: gezielte Provokation. In seinen Songs, bei denen die Texte oft spannender sind als die frech gesampelte Musik, gibt er das Sprachrohr einer desillusionierten Jugend, die sich in einem Land klaffender Widersprüche wiederfindet: hier Moralismus, da Korruption; hier Gottesfürchtigkeit, da Glücksspiel; Patriotismus trifft auf Wahlmanipulation, Demokratie auf Menschenrechtsverletzungen, und die Diktatur des Geldes kratzt am Mythos vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

„Amerika rühmt sich gerne als Musterdemokratie, als freiestes Land der Welt“, sagt Eminem, der sich als ebenso aufmerksamer wie eloquenter Gesprächspartner erweist. „Dabei regiert hier die Gier, der Hass und das große Geld. Wer’s hat, kann seine Interessen durchsetzen und die Restbevölkerung versklaven. Die hat keinerlei Mitspracherecht, keinen Schutz vor Willkür und keine Möglichkeit, ihre Meinung publik zu machen. Es wird alles kontrolliert, gesteuert und überwacht.“

Der amerikanische Traum als nette Seifenblase – die Eminem mit spitzer Feder zum Platzen bringt. Und dazu bedient er sich einer ebenso bildlichen wie brutalen Sprache. Er amputiert Hollywood-Bimbo Pamela Anderson die Brüste, ertränkt seine Ex-Frau, bearbeitet Politiker mit der Kettensäge und schickt Moralapostel ebenso in die Hölle wie seine Mutter. „Hope you fucking burn in hell“, ätzt er im Hit „Cleaning out my Closet“ von 2002.

Eminem überschreitet die Grenzen des guten Geschmacks ganz bewusst. Denn bekanntlich sorgen Zensur, aufgebrachte Eltern und wütende Medien immer noch für viel Publicity und damit für die größte Akzeptanz beim jugendlichen Publikum.

„Klar wettere ich auch schon mal gegen Schwarze und Schwule, aber ich bin weder rassistisch noch homophob“, sagt Eminem und verweist auf seine langjährige Freundschaft mit Elton John. „Wenn ich schimpfe, spiele ich nur eine Rolle – die des dummen Durchschnittsamerikaners, der immer noch voller Vorurteile ist. Und die, die sich ertappt fühlen, sind auch diejenigen, die am lautesten schreien. Meine Fans wissen dagegen genau, wie ich das meine. Es hat ja noch niemand seine Freundin für mich getötet.“

Das Problem ist nur: Seine Sympathisanten sitzen eben (noch) nicht in den Schaltzentralen der Macht. Und so muss sich Eminem als eine Art „Staatsfeind Nummer 1“ immer wieder vor Gericht verantworten. Sei es wegen des Aufrufs zur Gewalt, wegen Verleumdung, nicht freigegebener Samples oder Beleidigung von B- oder C-Klasse-Promis.

„Die Richter und die Anwälte lieben mich“, lacht Eminem, „ich finanziere ihren Kindern das College. Aber egal, ich habe Geld. Und solange das der Fall ist, gebe ich es auch aus, um meine Rechte geltend zu machen. Das ist mir wichtig, und dafür bezahle ich auch.“ Aktuell laufen übrigens gleich zwei Verfahren gegen ihn. Einmal eine Untersuchung des amerikanischen Geheimdienstes, der in einer Textzeile von „We as Americans“ (ausgerechnet einer der fünf „gestohlenen“ Songs des neuen Albums) eine Morddrohung gegen US-Präsident Bush wittert. „Fuck money“, wütet er in dem Song, „I don’t rap for dead presidents/I’d rather see the president dead …“

Harsch, aber unkonkret. Auch ein inzwischen elf Jahre alter Rap macht jetzt Ärger. Das HipHop-Magazin The Source nahm ihn unlängst zum Anlass, Eminem als Rassisten darzustellen – weil er darin mit einer farbigen Ex-Freundin abrechnet und dabei das böse Wort „Nigger“ benutzt. Im HipHop eigentlich gang und gäbe und sicherlich noch eines der harmloseren Schlagwörter.

Doch Eminem sieht sich in Erklärungsnot. „Das sind die wütenden Worte eines dummen 16-Jährigen, der emotional tief verletzt war. Und ich habe kein Problem damit, offen zuzugeben, dass ich ein genauso dummer Teenager war wie viele andere. Ich habe Mist geredet und Mist gebaut. Klar, ist mir das heute peinlich, aber damals wusste ich nicht, was ich sage und wen ich damit beleidige“, erklärt er genervt. „Ich habe mich mehrfach dafür entschuldigt – was soll ich noch tun? Ich glaube, den Zeitungstypen geht es um etwas ganz Anderes: Sie wollen mich zerstören, weil sie nicht akzeptieren, dass ein Weißer in einem traditionell schwarzen Geschäft so erfolgreich ist. Sie sind die wahren Rassisten.“

In der Tat ist Eminem der erfolgreichste Rapper der Welt. Ein Musikmogul mit eigenem Imperium, das globale Bestseller von Künstlern wie D 12, Obie Trice oder 50 Cent veröffentlicht. Am liebsten aber, und daraus macht Eminem kein Hehl, verdient er sein Geld immer noch im Schlaf. Beispielsweise mit seinem monströsen Merchandise-Sortiment und den jüngsten Kreationen seiner Modefirma Shady Ltd. Clothing. Die stolzen Preise bezahlt der geneigte Fan gern. Schließlich ist Eminem so hip und cool, wie man es nur sein kann – oder besser gesagt: Er ist es nach außen. Ein Homie, der seinen eigenen amerikanischen Traum verwirklicht hat und dabei immer er selbst geblieben ist. Der in Detroit aufwuchs, der vielleicht hässlichsten Stadt der Welt, der die zweifelhaften Freuden einer Wohnwagen-Kindheit erlebte und sich derart früh in gruseligen McJobs verdingte, dass er in der Schule drei Mal sitzen blieb – und in die harten Drogen floh.

Ein Loser, wie er im Buche steht. Doch sein Rettungsanker wurde der Rap. Ihm hat er alles zu verdanken, auch sein monströses Anwesen hier im Nobelviertel Manchester Heights, fernab der City. Hier gibt es keine brennenden Ölfässer, keine Hausruinen und keine Gangs, die mit Drogen, Pistolen oder Diebesgut dealen. Hier ist Anonymität, Weitläufigkeit und stilles Protzen angesagt – mit klobigen Villen, riesigen gepflegten Grünflächen, chrompoliertem Fuhrpark, hohen Mauern und allgegenwärtigem Wachdienst.

Wer hier residiert, hat es geschafft und bleibt am liebsten unter sich. Wie Eminem und Töchterchen Hailie Jade, die wirklich alles haben, was sie zur Freizeitgestaltung brauchen: Swimmingpool, Basketball-Platz, monströser Plasma-Bildschirm, Ledersofas und einen Kühlschrank voller Softdrinks und Dünnbier.

„Ich stehe nun mal auf Computerspiele und Fastfood“, grinst Eminem. „Also auf alles, was dick und fett macht.“ Ein netter Gegensatz zu dem Designer-Fluidum aus Teppichen, Gemälden, Marmortischen und jeder Menge Kerzenständer. Alles Dinge, die teuer und schick sind, aber längst nicht so geschmacklos protzig wie das, was er am Körper trägt: nämlich eine diamantenbesetzte Platinkette und ums rechte Handgelenk eine goldene Rolex. Das passt natürlich bestens zum übrigen Outfit: sportlich, leger, pflegeleicht. Eminem trägt immer die neuesten HipHop- und Sportklamotten. Eine Marotte, die er sich gern von Firmen wie Nike oder Fubu finanzieren lässt. Seine Lieblings-T-Shirts zieren Aufdrucke wie „Stop looking at my Penis“ oder „I fucked a Backstreet Boy“. Eben Sachen, die „Spaß machen und ein bisschen provozieren“, wie er mit schiefem Grinsen erzählt.

Seine angeblichen Affären mit Mariah Carey, Christina Aguilera, Beyoncé, Kim Basinger oder P!nk will er aber nicht kommentieren. „Das ist eh alles Blödsinn und außerdem privat.“ Genau wie seine großflächigen Tattoos, die ihn zu einem wandelnden Kunstwerk machen, und die er zwar gerne zur Schau stellt, aber nicht erklärt. Etwa die großflächige „Bonnie & Clyde“-Tätowierung auf dem rechten Oberarm – die perfekte Umschreibung seiner Ehe. Oder eine Abwandlung von Dürers betenden Händen. Oder ein Porträt seiner Tochter. „Alles, was mir wichtig ist“, sagt er, „trage ich direkt auf der Haut.“

Alles andere verpackt er in bissige Raps, die trotz aller Erfolge weiter unablässig aus ihm hervorsprudeln – zu hören ab Ende April „D-12 World“, dem zweiten Album seiner sechsköpfigen Possé, und im Sommer auf seiner nächsten Solo-CD. Sie wird nach bewährtem Konzept funktionieren, wie Dr. Dré verrät: „Ich mag es, wenn Eminem Mist erzählt und Leute anpisst. Und genau das ist, was er auch diesmal tut. Das verspreche ich.“

Michael Hertel

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