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„Empowerment“ im Kunstmuseum Wolfsburg kämpft für Gleichstellung

Mari Katayama, you're min
Mari Katayama, you're mine #001, 2014, Lambda Print, 101,8 × 189,4 cm, Collection Antoine de Galbert, Paris (Foto: © Mari Katayama, Courtesy die Künstlerin)

„Empowerment“ im Kunstmuseum Wolfsburg kämpft für die Gleichstellung der Geschlechter. Aber warum muss Kunst so politisch sein?

Andreas Beitin, Katharina Koch, Uta Ruhkamp: Gleichberechtigung ist weit vorangekommen, hat aber noch einen langen Weg vor sich. Wie kann die von ihnen kuratierte Ausstellung „Empowerment“ im Kunstmuseum Wolfsburg helfen, diesen Weg abzukürzen?

Tatsächlich ist es kaum zu glauben, dass nach einer über 100-jährigen Geschichte des Kampfes um Gleichberechtigung die Zeit der Unterdrückung, Ausbeutung und Ausgrenzung von Frauen noch immer nicht beendet ist. Wirtschaftssysteme, Religionen, Traditionen und andere Strukturen sorgen dafür, dass Frauen immer noch keine vollkommene Gleichstellung erfahren. Ein in den jeweiligen Gesellschaften gewachsenes patriarchales System aus Macht und Privilegien ist maßgeblich verantwortlich für diese Zustände der Ungleichheiten.

In verstärkter Weise betrifft dies auch Menschen der LGBTQIA+-Communitys, die wie Frauen seit jeher die Erfahrungen von Diskriminierung und Unterdrückung machen mussten und vielerorts weiterhin müssen. Wir zeigen mit „Empowerment“ zum ersten Mal in diesem Umfang einen globalen Überblick, wie Künstler:innen im 21. Jahrhundert auf die geschilderten unhaltbaren Umstände reagieren. Auf aktivistische oder provokante, aber auch auf poetische, humorvolle oder subtile Weise setzen sie sich mit verschiedenen intersektional gelagerten Diskriminierungsformen auseinander und zeigen Möglichkeiten des Widerstands, der Selbstermächtigung und Heilung auf.

Indem wir die unterschiedlichen künstlerischen Setzungen zusammenbringen, sozusagen in den Pluralog treten lassen und somit den Blick wiederholt auf die genannten Missstände und möglichen Lösungswege lenken, erhöhen wir die Sensibilisierung für die Thematiken und können mit der Ausstellung zur Verbesserung der Situation beitragen.

Laetitia Ky, pow’hair
Laetitia Ky, pow’hair (Teilansicht), 2022, Foto: © Laetitia Ky, Courtesy die Künstlerin

Sie konzentrieren sich auf feministisch orientierte Kunst des 21. Jahrhunderts, die aus der vierten Welle des Feminismus stammt, also von den vom Internet und Social Media geprägten Künstler:innen. Was unterscheidet diese Kunst von der feministischen Kunst der, sagen wir, zweiten Frauenbewegung ab Mitte der 60er, mit Künstlerinnen wie Yoko Ono, Valie Export oder Judith Bernstein?

Bei den Künstler:innen der zweiten Welle des Feminismus, die sich in den 1960er- und 1970er-Jahren überwiegend auf den globalen Norden beschränkte, standen vor allem Themen der gesellschaftlichen Gleichberechtigung und einer veränderten Körperlichkeit im Vordergrund, so etwa die Forderung nach Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Einige der damaligen Themen sind heute immer noch virulent, wie etwa das Recht auf Abtreibung, das auch im fortschrittlich imaginierten „Westen“ immer wieder in Frage gestellt wird, siehe aktuell in den USA.

Die Protagonist:innen der vierten Welle gehen zum einen von einem anderen Körper- und Selbstverständnis aus – siehe Stichworte wie etwa Body und Sex Positivity –, thematisieren darüber hinaus aber auch viele weitere weltweite (Konflikt-)Felder wie Intersektionalität, Postkolonialismus, soziale Ungleichheit zwischen globalem Norden und Süden, das Verhältnis zum Klimanotstand und zuletzt natürlich die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Ganz besonders prägend ist für die vierte Welle die Schärfung des Bewusstseins für die Vielzahl geschlechtlicher Identitäten und deren Akzeptanz. Wichtig zu erwähnen ist jedoch, dass die so genannte vierte Welle mit ihren verschiedenen Protagonist:innen sehr divers ist und sich in den Regionen der Welt unterschiedlich darstellt – wie auch die anderen „Wellen“ des Feminismus zeitliche Verschiebungen erfahren.

Themenschwerpunkte und ästhetische Ausdruckformen variieren und spezifizieren sich vor den jeweiligen gesellschaftspolitischen Hintergründen, wobei das Internet und digitale Medien sowie soziale Netzwerke global übergreifende Mittel der Produktion und Präsentation künstlerischer Positionen darstellen.

Yael Bartana What if Women Ruled the World
Yael Bartana, What if Women Ruled the World, 2018, Performance, © Yael Bartana, Courtesy die Künstlerin Foto: Birgit Kaulfuß

Ich habe wohl noch nie über eine Ausstellung berichtet, die sich so viele Themenfelder setzt, ihre Aufzählung bräuchte hier eine halbe Seite. Größer kann der Unterschied zur x-ten Schau zu Casper David Friedrich oder den Impressionisten kaum sein.

Die Themenvielfalt und vor allem ihre Aktualität ist tatsächlich enorm. Das zeigt aber auch, an wie vielen Punkten es in Bezug auf die Situation von Frauen und Menschen der LGBTQIA+-Communitys es brennt – im schlimmsten Fall tatsächlich wortwörtlich. Leider gibt es wie bei jeder Ausstellung budgetäre und räumliche Begrenzungen, ansonsten hätten wir noch viel mehr zeigen können, denn es gibt weltweit eine unglaublich große Bandbreite feministisch orientierter Kunst und von daher noch viel zu entdecken.

Empowerment: Kunst war schon immer politisch

Es sind wichtige Stimmen, die gehört werden sollten. Vergleichen kann man eine Schau klassischer Moderne oder anderer Epochen mit „Empowerment“ eigentlich nicht. Wir bieten zwar eine Bestandsaufnahme der letzten zwei Jahrzehnte, blicken mit dem Kapitel der feministischen Zukünfte aber auch zeitlich voraus.

Sebastian Baden, der neue Direktor der Schirn Kunsthalle in Frankfurt, sagt uns letztens Interview, dass es keine unpolitische Kunst gäbe. Es gäbe nur ein bestimmtes Framing, eine Präsentationsform, in der man unterschiedliche Aspekte von Kunst bewerten und hervorhebt. Stimmen Sie ihrem Kollegen zu?

Ja, das sehen wir auch so. Kunst war schon immer politisch, natürlich in unterschiedlichem Maß, aber im Grunde wurde sie oftmals instrumentalisiert, inszeniert und zur Betonung von Machtansprüchen eingesetzt, häufig auf ganz subtile Weise aber manchmal auch ganz unverblümt. Manche Werke lassen sofort eine politische Lesart zu, da sie bestimmte gesellschaftsrelevante Themen fokussieren und/oder aktivistische Formate des Ausdrucks wählen.

Politisch besonders interessant sind künstlerische Positionen, die mehr sind als Sprachrohr sozialer und politischer Anliegen, indem sie mit ästhetischen Mitteln herkömmliche Blick- und Erzählregimes brechen, visionäre Perspektiven aufzeigen und sich darüber hinaus kritisch mit den eigenen Produktionsbedingungen im hegemonial bestimmten Kunstbereich auseinandersetzen.

Wie sehr haben soziale Bewegungen wie Black Lives Matter und #MeToo die Kunst schon verändert?

Das haben sie bereits ziemlich stark. Gerade bei Themen wie Intersektionalität, der Verwobenheit von Rassismus und Sexismus, sexualisierter Gewalt und sexuellem Missbrauch wird das in der Kunst deutlich. Aber da gibt es wechselseitige Wirkungen, denn der künstlerische Aktivismus beeinflusst auch wiederum soziale Bewegungen. Die Übergänge sind da manchmal fließend.

Interview: Volker Sievert

„Empowerment“ läuft vom 10. September bis 8. Januar 2023.

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