Emscherkunstweg: Kunst für die ganze Familie – und mehr
Was macht den Skulpturenpfad Emscherkunstweg im Ruhrgebiet so besonders? kulturnews sprach mit Britta Peters, Künstlerische Leiterin von Urbane Künste Ruhr, und Kuratorin Marijke Lukowicz.
Frau Peters, Frau Lukowicz, der Emscherkunstweg verbindet laut ruhr-tourismus.de: „Erholung an der frischen Luft mit Kunstgenuss im öffentlichen Raum“. Wenn ich mich von Hamburg aus mit dem Rad und der Familie auf den Weg zu Ihnen mache – was erwartet mich da?
Britta Peters: Sie können das Ruhrgebiet kennenlernen und zwar entlang der Emscher. Der Emscherkunstweg ist ein eher rauer Skulpturenpfad. Im Gegensatz zu einem klassischen Skulpturenpark geht es um Industriegeschichte, Industrialisierungsgeschichte und auch die Geschichte der Transformation. Die künstlerischen Positionen reflektieren den Emscher-Umbau. Sie befinden sich in diesem Kontext und lassen sich gar nicht isoliert davon betrachten. Die Konzeption ist so zustande gekommen: Als ich 2018 die künstlerische Leitung von Urbane Künste Ruhr übernommen habe, hatte es vorab drei Editionen Emscherkunst als temporäre Ausstellung gegeben. Ich wurde dann gefragt, ob wir das weiter veranstalten wollen, und musste mir erstmal einen Eindruck verschaffen, weil der Emscher-Umbau inzwischen sehr weit fortgeschritten ist und der ganze Verlauf der Emscher bereits einmal bespielt worden war. Ich habe dann den Vorschlag gemacht, ausgehend von dem sehr guten Bestand von 18 künstlerischen Arbeiten, das Ganze nachhaltiger und langfristiger zu denken, nämlich als ungewöhnlichen Skulpturenpfad: einmal auf 80 bis 100 Kilometern Radweg durch die zentrale Ruhrgebietsregion hindurch, das ist schon sehr besonders.
Ich stelle mir den Emscherkunstweg als Mischung aus Lehrpfad, Naturerfahrung und Ausstellung vor. Deckt sich das mit der Intention? Was ist die Idee hinter dem Emscherkunstweg?
Peters: Der Ausgangspunkt für die Emscherkunst-Ausstellungen, damit muss man vielleicht anfangen, war das 5,4 Milliarden Euro schwere Projekt Emscher-Umbau, das von der Emschergenossenschaft umgesetzt wird. Das ist ein wirklich ungewöhnliches, einzigartiges Projekt – die Leute kommen aus China und von überall her, um zu verstehen und zu sehen, wie die Emscher, die jahrelang als offene Kloake missbraucht wurde, in eine naturnahe Landschaft transformiert wird, mit einem Fluss, der sich wieder ausbreiten kann. Diese Bestrebungen haben ungefähr vor 30 Jahren begonnen. Und um dieses große Projekt zu kommunizieren und zu reflektieren, fanden die ersten Emscherkunst-Ausstellungen statt: 2010, 2013 und 2016. Die Neukonzeption geht aus von den vorhandenen Werken aus und ergänzt sie um neue Positionen. Marijke Lukowicz als Kuratorin betreut mit mir gemeinsam die Neuproduktionen und kümmert sich um die künstlerische Revision. Das heißt, sie geht mit den Künstlerinnen und Künstlern noch einmal ins Gespräch und schaut, ob nach zehn oder zwölf Jahren noch alles so ist, wie es sein soll, ob man vielleicht noch etwas ergänzen oder verändern müsste.
Emscherkunstweg: Eine ungewöhnliche Form von Tourismus
Der Emscherkunstweg ist also etwas für Kunstinteressierte. Mit seinen begehbaren Installationen, den Klanginstallationen, Brücken und Grünflächen ist er aber auch ein Ausflugsziel für Gruppen und Familien.
Peters: Wir bemühen uns, diesen Ausflugscharakter noch zu befördern. Es gibt „dasparkhotel“ mit den Betonröhren, in denen man schlafen kann, davon wird es jetzt noch eine zweite Station geben. Wir haben die Website neu konzipiert und mit Routenvorschlägen ausgestattet, so dass man sich auf den Weg machen kann. Ich stelle mir vor, eine Familie verbringt da locker zwei, drei Tage. Es gibt gute Kunst zu sehen, man kann in den Emscher-Höfen einkehren, man kann gut Fahrrad fahren, man kann beim alten Klärwerk im BernePark übernachten. Das ist eine ungewöhnliche Form von Tourismus, weil es nicht um Romantik oder Schönes geht, aber es ist sehr interessant.
Auf Ihrer Website heißt es: „Die Kunst reflektiert den Strukturwandel des Ruhrgebiets und die damit einhergehenden gesellschaftlichen sowie ökologischen Entwicklungen“. Ökologie und Kunst sind also kein Widerspruch?
Peters: Ehrlich gesagt habe ich mir diese Frage so konkret noch nie gestellt. Vielleicht, weil ich die Ruhrgebietslandschaften trotz allem als urban empfinde und ich als Kuratorin schwerpunktmäßig im öffentlichen Raum arbeite, das heißt, es geht immer um Kunst außerhalb des weißen Galerieraums. Die zeitgenössische Kunst bietet ja enorm viele Schnittstellen zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Sie hat das Potenzial, komplexe Zusammenhänge zu durchdringen.
Marijke Lukowicz: Ich würde noch ergänzen, dass der Widerspruch, den Sie gerade aufgemacht haben, zwischen dem extra geschaffenen Künstlichen, das der Kunst inhärent ist, und der Landschaft, in der wir uns befinden, gering ist – weil wir uns in einer komplett künstlich gebauten, ursprünglich den industriellen Zwecken unterliegenden, aber jetzt wieder ökologisch verbesserten Landschaft befinden. Das ist nicht so, wie man es sich in einer archaischen Vorstellung von Natur denkt – alles ist gebaut und entwickelt und in irgendeiner Form künstlich. Insofern sehe ich keinen Widerspruch – mit Kunst zu arbeiten verstehe ich als Teil dessen, was eine gesellschaftliche Identität formt.
Peters: Zwei Beispiele dazu vom Emscherkunstweg: atelier le balto haben ihre „Kunstpause“ in einem Haselnusshain geschaffen, indem sie Pflanzen weggenommen haben, sie haben die Natur anders arrangiert und Stege dazwischen gelegt. So ist an einem Nicht-Ort ein ungewöhnlicher Aufenthaltsort entstanden. Auch bei Julius von Bismarck und Marta Dyachenkos Installation „Neustadt“ ist es wichtig, dass die Natur die Skulpturen irgendwann, nun, nicht komplett überwuchert, aber doch einfasst. Einmal abgesehen davon, dass hier ausgehend von dem Thema Baukultur – die Arbeit lässt 23 abgerissene Gebäude als Skulpturen wieder auferstehen – weitere ökologische Fragestellungen aufgeworfen werden. Der Anteil der CO2-Emissionen aus dem Baugewerbe beträgt 38 Prozent des globalen Gesamtaufkommens.
Zurzeit fühlt man sich wegen der Pandemie in einem Museum noch nicht wieder so wohl wie früher. Da ist der Emscherkunstweg eine willkommene Alternative: Kunst draußen. Stellen Sie eine größere Nachfrage fest?
Lukowicz: Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten, weil wir tatsächlich nur ein Jahr in der Konstitution existiert haben, und dann kam die Pandemie. Aber bei den Radtouren, die wir ab letztem Jahr regelmäßig durchgeführt haben und auch bei den Künstlergesprächen vor Ort hatten wir zwar eine pandemiebedingte begrenzte Personenzahl, aber die Veranstaltungen waren immer ausgebucht. Die Radtouren waren sehr stark nachgefragt. Insgesamt haben wir schon bemerkt, dass die Kunstwerke belebter sind.
Ist Kunst im öffentlichen Raum gar die Zukunft?
Peters: Sowieso, Corona hin oder her (Iacht). Mich fasziniert der Kontrollverlust, der mit Kunst im öffentlichen Raum einhergeht, dass die Kunst sich automatisch zu einem Leben und zu ganz anderen Dynamiken in Beziehung setzt und beides voneinander profitiert: Die Kunst entsteht in Auseinandersetzung mit konkreten Räumen und Situationen. Die Orte werden dadurch geprägt und anders gelesen, selbst wenn die Kunst dann irgendwann wieder weitergezogen ist. Das ist es, was für mich die größte Herausforderung darstellt und ein breites Publikum einlädt, sich dem zu nähern. Es gibt nicht diese museale Schwelle.
Lukowicz: Eine Entwicklung, die ich in den letzten Jahren in Bezug auf die permanente Kunst im öffentlichen Raum beobachtet habe, besteht darin, dass der Zugang stärker kuratiert wird, indem man sich anschaut: Was steht denn da eigentlich? Kann das noch so stehenbleiben? Wie ist der Zustand? Wie ist der Kontext, wie hat er sich verändert? Wie man auch eine Sammlung betrachtet und auch mal umhängt, wird das auch im öffentlichen Raum stärker betrieben. Das ist im Konzept des Emscherkunstwegs mit der künstlerischen Revision gemeint: dass wir noch einmal schauen, wie sich der jeweilige Ort über die vergangenen zehn Jahre verändert hat.
„Im Ruhrgebiet ist alles der Industrialisierungsgeschichte unterworfen“
Ziel des Emscherkunstwegs ist es, „eine permanente Sammlung herausragender künstlerischer Arbeiten im öffentlichen Raum aufzubauen.“ Was muss ein Kunstwerk mitbringen, um Teil des Emscherkunstwegs zu werden? Wie wählen Sie aus?
Peters: Die Werke am Emscherkunstweg von 2010 bis 2016 bilden eine bestimmte künstlerische Szene ab, recht männerdominiert. Die Idee ist es, andere skulpturale Positionen hinzuzufügen, damit die Bandbreite an ästhetischen Umgangsformen und Themen sichtbar wird. Neustadt von Julius von Bismarck und Marta Dyachenko, unsere erste Neuproduktion, die wir dieses Jahr eröffnet haben, ist eine Installation, die sich groß in die Fläche ausbreitet, aber in sich kleinteilig ist. Sie reflektiert den Städtebau im Ruhrgebiet und damit einen anderen Teil der Industriealisierungsgeschichte. Im nächsten Jahr kommt eine Arbeit von Nicole Wermers hinzu, die noch fragiler ist und sich der skulpturalen Beschaffenheit urbaner Alltagssituationen widmet. Leider können wir nicht überall, wo wir wollen, mit den Künstlerinnen und Künstlern Projekte entstehen lassen, weil es auch von Seiten der Emschergenossenschaft viele Pläne für das Emschergebiet gibt. Es ist also so ein bisschen eine Puzzlearbeit, zu gucken, was sind interessante künstlerische Positionen, was erweitert den Raum der künstlerischen Auseinandersetzung, was macht in dem vorhandenen Gefüge Sinn?
Das Besondere am Emscherkunstweg ist für mich, dass er aufgrund des massiven Kulturwandels so nur im Ruhrgebiet möglich ist. Ein Glücksfall für die Kunst und die Menschen?
Peters: 150prozentig Ja. Sie müssen sich das so vorstellen: Im Ruhrgebiet ist alles der Industrialisierungsgeschichte unterworfen, alles ist mit der Industrialisierung entstanden, die gesamte Infrastruktur, der Städtebau. Ich bin immer noch fasziniert von dieser Brutalität gegenüber den Menschen – den Arbeitern – und der Natur, die sich daraus ablesen lässt. Gleichzeitig gibt es seit Jahrzehnten ein klares politisches Bekenntnis dazu, die Freiräume kulturell zu nutzen und das Ruhrgebiet sozusagen neu zu definieren. Das ist eine extrem gute Ausgangsposition, in der die Kunst einen großen Stellenwert hat. Wir sind bei Urbane Künste Ruhr unter einem Dach mit der Ruhrtriennale, die ist ja auch entstanden ist, um die großen, ehemaligen Industrieareale zu bespielen. Insgesamt gibt es eine sehr reiche Institutionenlandschaft.
Lukowicz: Um einmal aus der Künstlerinnenperspektive zu sprechen: An der Emscher sind diese Orte wie der BernePark, die ehemaligen Kläranlagen und andere industrielle Orte, bei denen man von außen vielleicht gar nicht so im Blick hat, dass sie auch ein ganz wesentlicher Teil der Industriegeschichte sind und eben nicht nur die großen Zechen und Anlagen wie die Zeche Zollverein in Essen. Es gibt viele andere Anlagen, mit denen man umgehen muss, und das ist sehr interessant für die Künstlerinnen und Künstler, sich damit zu beschäftigen.
Peters: Da ist ja auch ein Element von Wissensproduktion bei allen beteiligten Künstlerinnen und Künstlern und bei uns, aber auch beim Publikum und den Besuchern. Denn natürlich geht es um die Kunst, aber es geht auch immer gleichzeitig um Fragen wie: Warum gab es eigentlich so viele Pumpwerke? Dann stellt man irgendwann fest, dass die Emscher an drei Stellen hochgepumpt werden muss, damit sie überhaupt fließt. Daran wird der ganze Aspekt dieser künstlichen, industriell geschaffenen Landschaft besonders deutlich.
Ruhrgebiet: das neue Silicon Valley?
Lukowicz: Wenn man beispielsweise aus anderen Metropolregionen kommt und erfährt, dass die Emscher ein offener Abwasserkanal war und jetzt der Umbau reflektiert wird, dann sieht man, was eigentlich alles nötig ist, damit wir leben können, wie wir leben, gesund und gemeinsam auf engem Raum. Das zeigt sich auf dem Emscherkunstweg sehr deutlich, ohne aber – und das ist die Qualität – didaktisch zu sein.
Im November wird das neue Werk „Public Hybrid“ von David Jablonowski kommen. Was erwartet uns da?
Lukowicz: David Jablonowski hat sich intensiv mit der Vergangenheit, aber auch mit der Zukunft auseinandergesetzt und wird eine Art Assemblage schaffen aus Naturmaterialien – einem Ruhrsandstein aus der Region –, in Verknüpfung mit 3D-Drucken aus recyceltem Plastik. Die Arbeit „Public Hybrid“ formt Sedimentschichten, die sich aus Geschichte und Zukunft aufbauen, und macht eine Zukunftsvision für das Ruhrgebiet auf: Möglicherweise wird das Ruhrgebiet ja das neue Silicon Valley?
Interview: Volker Sievert
Mehr Infos gibt es auf der Website des Emscherkunstwegs.
Der Emscherkunstweg ist eine Kooperation von Urbane Künste Ruhr, Emschergenossenschaft und Regionalverband Ruhr unter der Schirmherrschaft von Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.