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Enissa Amani: Die nicht mehr Unterschätzte

Enissa Amani
Enissa Amani (Foto: Neven Allgeier)

Wir haben Lockdown, die Comedienne Enissa Amani kann noch immer nicht auftreten. Aber sie hat ja auch wichtiges zu tun.

Vor vier Jahren veröffentlichte kulturnews ein Porträt von Enissa Amani mit der Überschrift „Die Unterschätzte“ – zu finden zwei Absätze tiefer hier im Artikel. Damals kannte man die Comedienne vor allem von ihren Live-Shows und etlichen Stand-ups im Fernsehen. Das hat sich inzwischen gründlich geändert. Doch wie kommt es, dass eine Frau, die früher auf der Bühne über ihre Nasenoperation in Teheran scherzte, heute bei Demos gegen Rassismus als Rednerin eingeladen wird und dort fulminant vom Leder zieht, wie im Juni vergangenen Jahres auf dem Frankfurter Römer?

Sicher, sie wurde durch ihre Eltern bereits als Kind politisiert. Der Vater saß in Iran im Gefängnis, bevor die Familie 1987 nach Deutschland ausreisen durfte. Kein Gespräch im Hause Amani findet statt, ohne dass über Politik oder Kultur gesprochen würde. Doch auch das macht nicht aus jedem Kind automatisch einen politisch aktiven Menschen, der mit seiner Meinung an die Öffentlichkeit geht. So traurig es ist: Enissa Amani wurde durch den Rassismus in der deutschen Gesellschaft motiviert, politischer aufzutreten. Erstmals tat sie das explizit nach dem Anschlag von Christchurch in Neuseeland 2019 durch Rechtsradikale. Sie tat es in einem Video, in dem sie die Reaktion der AfD auf die Attentate scharf kritisierte. Das war auch der Moment, wo sie merkte: Im Video werde ich gehört, da habe ich Reichweite, anders als mit Texten auf Twitter oder Facebook. Enissa Amani erzählt das und vieles mehr in einem ausführlichen Interview mit kulturnews.

Seitdem nutzt Amani das Format und wirft dabei neben ihrem Intellekt ihre gesamte Emotionalität in die Waagschale. „Ich bin definitiv ein Mensch, der versucht, aus seinen Schwächen Stärken zu machen“, antwortet sie kulturnews, angesprochen auf ihr jüngstes emotionales Video, eine Antwort auf die WDR-Talkshow „Die letzte Instanz“. Die hatte da gerade mit rassistischen Klischees nur so um sich geschmissen.

Heute ist Enissa Amani: Seriös, ernsthaft politisch, vielleicht nicht mit einem Konzept, einer Ideologie ausgestattet, aber das ist auch nicht nötig. Im Podcast „Statements aus Seide“ haben ihre Themen eine Spannbreite von „Pornografie & Sexualität“ bis hin zum rechtsradikalen Attentat von Hanau, das sich jüngst jährte. Amani klärt im besten Sinne auf. Und wenn die Comedienne zu einem Panel Talk zum Thema „Rassismus in der deutschen Gesellschaft“ einlädt, ohne Sender im Rücken und den Talk aus eigener Tasche finanzierend, dann rennen ihr hochkarätige Gäste die Bude ein. Nava Zarabian von der Bildungsstätte Anne Frank war dabei und der schwule Comedian Gianni Jovanovic, der als Rom vom rassistischen Plauderton der Talksendung „Die letzte Instanz“ persönlich besonders betroffen war; die Kommunikationswissenschaftlerin Natasha A. Kelly, der Journalist Mohamed Amjahid und der Autor Max Czollek: Freunde, die Enissa Amani in den vergangenen zwei Jahren gewonnen hat, weil sie sich mit Mumm, Zivilcourage und rhetorischer Qualität – ob nun in der persischsprachigen oder deutschsprachigen Community – Respekt verschafft hat. Man wird Enissa Amani in Zukunft sicher nicht mehr unterschätzen.

Jürgen Wittner

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