Esther Abrami: TikToks gegen das Patriarchat
Die französische Violinistin Esther Abrami entstaubt die Klassikwelt, indem sie Komponistinnen ins Zentrum rückt und die Sozialen Medien nutzt.
Esther, für ein Klassik-Album ist dein Debüt ganz schön eklektisch. Wie hast du dich entschieden, welche Stücke darauf sollen?
Esther Abrami: Es sollte für die verschiedenen Teile meines Publikums etwas dabei sein. Da ich sehr aktiv in den Sozialen Medien bin, habe ich eine Fangemeinde, die sich von einem typischen Klassikpublikum unterscheidet. Natürlich gibt es noch Leute, die mich im Radio gehört haben oder meine Konzerte besuchen. Aber es gibt eben auch jene, die mich aus dem Internet kennen. Daher habe ich weniger bekannte Werke, etwa von Clara Schumann oder Amy Beach, neben Stücke von Tschaikowski oder Chopin gestellt, die etwas zugänglicher sind. Und dann gibt es noch vollkommen neue Melodien …
Während du die Stücke der männlichen Komponisten arrangierst, hast du Schumann und Beach unverändert gelassen. Ist das ein feministisches Statement?
Esther Abrami: Es ist eine Sache, Werke zu arrangieren, die sehr bekannt sind. Aber die Stücke von Beach und Schumann sind das nicht. Es ist mir ein persönliches Anliegen, ihnen zu mehr Bekanntheit zu verhelfen. Vor kurzem habe ich eine YouTube-Serie namens „Women in Classical“ gestartet, bei der ich mit anderen Frauen aus der Klassikindustrie über unsere Erfahrungen spreche.
Wie bist du selbst mit diesen Stücken in Berührung gekommen?
Abrami: Ich schäme mich ein bisschen dafür, es zugeben zu müssen: Mit zehn habe ich meine musikalische Ausbildung begonnen und bin letztes Jahr fertig geworden, das sind insgesamt 15 Jahre. Und ich habe nicht einmal ein Stück gespielt, das von einer Frau geschrieben wurde! Es ist mir nicht einmal aufgefallen. Im typischen Geigen-Repertoire kommen Frauen einfach nicht vor. Zum Glück beginnt sich das gerade verändern – es gibt eine Art gemeinschaftlichen Vorstoß, was sehr schön ist. (lacht)
Du nutzt nicht nur YouTube, sondern auch Instagram und TikTok, um gezielt ein jüngeres Publikum anzusprechen – Plattformen, mit denen sich die Klassikwelt traditionell eher schwertut …
Abrami: Heutzutage flehen alle Agent:innen und Labels ihre Künstler:innen an, doch bitte die Sozialen Medien zu nutzen. (lacht) Aber vor vier Jahren war das noch komplett anders. Ich glaube, ich war eine der ersten, die damit begonnen hat. Anfangs haben mich Leute noch dafür ausgelacht, aber ich habe weitergemacht, weil ich die Freiheit geliebt habe, die es mir gegeben hat. Während meines Studiums habe ich mich einsam und abgekapselt gefühlt. Online konnte ich Musik mit Leuten auf der ganzen Welt teilen. Es ist eine Menge Arbeit, und natürlich muss ich aufpassen, nicht zu viel Zeit in den Sozialen Medien zu verbringen. Aber ich liebe es, Teil dieser Gemeinschaft zu sein, auch wenn sie noch immer ziemlich klein ist.