Zum Inhalt springen

Kawaii und Wahnsinn: „Evangelic Girl is a Gun“ von Yeule

Yeule bleiben auch auf ihrem neuen Album eindeutig uneindeutig.
Yeule bleiben auch auf ihrem neuen Album eindeutig uneindeutig. (Foto: Vasso Vu)

Mit ihrem neuen Album „Evangelic Girl is a Gun“ schleichen sich Yeule in den Pop – um ihn am Ende mit düsteren Fantasien zu sprengen.

Dass Authentizität der Kunst durchaus zuwider sein kann, würden Yeule wohl unterschreiben. Sich selbst beschreibt Nat Ćmiel gerne als nicht-binäre Cyborg-Entität, die sich bereits in Teenagerjahren einen Künstlernamen verliehen haben. Und so ist das Schaffen der in Singapur geborenen Künstler seit jeher ein Fest der Fantasie und ein Bruch mit dem Gelernten. Umso überraschender also, dass Yeules viertes Album „Evangelic Girl is a Gun“ nun unerwartet nahbar und zugänglich wirkt. Oder ist das bloß eine Finte?

„Evangelic Girl is a Gun“ von Yeule: Am Kipppunkt des Schaffens

Nachdem Yeule als selbsternannte „Glitch Princess“ mit dem 2023 veröffentlichten Album „Softscars“ ihren Sound bereits aus der Künstlichkeit in Richtung Alternativerock verlagert haben, giert dieses Album nun regelrecht nach Pop und Tanzbarkeit. Klar, Emo- und Goth-Ästhetik, bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Gitarren und schrille Vocals sind weiterhin Teil des Klangbilds, aber Songs wie „Dudu“, „What3vr“ und „Eko“ gehen ohne weiteres als leichtfüßige Crowd-Mover durch – wären da nicht die Texte. Schließlich horchen Yeule in letztgenanntem Song den Echoschleifen des eigenen Hirns nach, wodurch der seichte Sound schlagartig zum Manöver wird, um bei wachsendem Fame und der auf dem vorangegangenen Indierocksong „The Girl who sold her Face“ verhandelten Vermarktbarkeit der eigenen Persona nicht völlig durchzudrehen. Überhaupt scheinen Yeule mit ihrem vierten Album an einem Kipppunkt angelangt zu sein und sich fragen zu müssen, was aktuell noch ihre Rolle als Kunstschaffende ist.

Beinah kontraintuitiv menschlich nähern sich Yeule, die immer für futuristische Entwürfe und transhumanistische Ideen gestanden haben, dabei einer Gegenwart, in der die künstliche Intelligenz längst zur Normalität geworden ist. Sie gestehen sich die Gefühlslosigkeit ein und hadern mit all den analogen und digitalen Möglichkeiten der Liebe. Ziemlich authentisch also, oder? Ob und wann hier die Kunstfigur, eine übergeordnete Entität oder doch gar Ćmiel ganz persönlich zu den Hörer:innen spricht, bleibt unklar. Alles ist eindeutig uneindeutig. Zwischen Kawaii und Wahnsinn. Etwa wenn Yeule in „Saiko“ mit der Doppeldeutigkeit ebenjenes japanischen Wortes für „das Beste“ spielt, das sich in englischer Intonation schnell in psycho verwandelt.

Vorbild für dieses Album waren die düster-surrealen Bilder des polnischen Malers Zdzisław Beksiński, die immer wieder als Inspiration für Game-Designs herangezogen werden. Und so steckt wie schon bei den drei vorangegangenen Alben auch „Evangelic Girl is a Gun“ voller Verweise auf die Gaming-, Anime- und Meme-Welt, und inmitten der Dark-Pop-Euphorie werden dann auch mal Lämmer geopfert, Blut getrunken, schwarze Rituale gefeiert, Todeswünsche geäußert und Schädel gespalten. Als Beipackzettel zur Spurensuche all dieser Referenzen eignen sich folglich am ehesten noch Sub-Reddits, in denen Fans über die Ursprünge der Songnamen spekulieren und das Make-up ihres Idols kopieren. So richtig zu greifen bekommen werden sie Yeule aber wohl nie. Dafür verwehrt sich schlussendlich auch dieses Album zu sehr der Wahrheit und reißt mit dem Titelsong und dem Closer hinten raus alle Zugänglichkeit mit wummerndem Hyperpop und maximaler Distortion ein. Bei Yeule bleibt eben weiterhin alles möglich.

Beitrag teilen:
kulturnews.de
Datenschutz-Übersicht

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.