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Fatih Akin: „Nicht wie ne Bierwerbung – friesisch herb“

Regisseur Fatih Akin hat den Film „Amrum“ gedreht, der in die Kinos kommt.
Regisseur Fatih Akin hat den Film „Amrum“ gedreht, der in die Kinos kommt. (Foto: (c)Linda Rosa Saal)

Das Filmfest Hamburg eröffnet heute mit Fatih Akins Drama „Amrum“ über Hark Bohms Kindheit am Ende des Nationalsozialismus. kulturnews sprach mit dem Regisseur, der ein enges Verhältnis zu seinem väterlichen Freund hat.

Herr Akin, Sie nennen Hark Bohm ihren Lehrer, Meister und Freund. Wie wurde er zu dieser wichtigen Person in Ihrem Leben?
Fatih Akin: Hark war, bevor wir überhaupt Freunde wurden, neben Martin Scorsese der wichtigste Filmemacher in meinem Leben.

Was war dafür die Initialzündung?
Fatih Akin: Ich habe „Nordsee ist Mordsee“ als Kind im Fernsehen gesehen. Und das hat mich erschüttert und begeistert, und das volle Identifikationsprogramm lief ab – mit Dschengis und den Bruce-Lee-Fotos. Mein Bruder und ich waren Dschengis! Dschengis wurde gemobbt, weil er auch Ausländer war. Das war ein spannender Film, ein abenteuerlicher und auch ein gefährlicher Film. Vor allem war er auch gefährlich, weil er in Hamburg spielt, denn dann rückt einem der Film viel, viel näher. Der nächste Film von Hark Bohm war vielleicht nicht der bessere, aber der wichtigere Film „Yasemin“. Den musste ich im Schulunterricht gucken. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich schon: Ich wollte Filmemacher werden. Damals – mit 15 – dachte ich noch, ich muss dafür nach dem Abitur nach New York. Aber dieser Film hat mir gezeigt, dass man auch aus Hamburg heraus Filme machen kann. Und dann kam hinzu: Der ist auch noch in meiner Straße gedreht – in der Bahrenfelder Straße! Und handelte auch noch von Türken. Die Darstellung aber war völlig falsch. Auch das war ein Grund, warum ich Filmemacher werden wollte; ich musste das geraderücken! Was ich später mit „Gegen die Wand“ gemacht habe. Beide Filme waren sehr erschütternde Filme, die mich dazu bewogen haben, Filmemacher aus Hamburg zu werden.

Und wann kam die Initialzündung für die Freundschaft?
Fatih Akin: Ich hatte schon ein Jahr an der Hochschule für bildende Künste HFBK studiert und war unglücklich dort. Ich wollte das Handwerk lernen, und was immer man an der HFBK gelernt hat, filmisches Handwerk war es nicht. Ich musste aber lernen, wo man eine Kamera positioniert, und überhaupt! Dann habe ich mich bei ihm nicht schriftlich beworben, sondern Hark Bohm am Institut für Theater, Musiktheater und Film in den Zeisehallen einfach angesprochen.

Mitten in Ottensen.
Ich hing da ja immer rum, das Insbeth, das Familieneck: das war meine Ecke! Aber du durftest bei Hark Bohm immer nur eines studieren, nie aber Regie und Drehbuch. Du musstest dich zwischen Regie, Drehbuch, Kamera und Produktion entscheiden. Also sagte ich ihm: Ich will Regie und Drehbuch lernen, und ich komme von der HFBK. Irgendwie habe ich ihn dabei auf dem falschen Fuß erwischt, ich war auch frech und fordernd, was man ja auch ein bisschen sein muss als Filmemacher. Und dann hat mich Hark Bohm (Fatih Akin wird ein klein bisschen lauter) hochkant aus seiner Schule geworfen.

Das klingt nicht nach der Initialzündung für eine Freundschaft.
Akin: Ich muss aber noch was sagen: Ich hatte ihn an einem Freitag abgefangen, habe ihm gesagt, dass ich ihm gerne einen fertigen Film zeigen möchte, meinen ersten Kurzfilm, „Sensin“. Muss ich mich jetzt wirklich bewerben? Kommen wir da nicht drum rum? Ich habe hier einen Vertrag bei Wüste Film, ich bin der neue Mann! Ich war fordernd, ich dachte, mir gehört die Welt! Musst du ja auch mit 21!

Die Freundschaft kam übers Filmemachen?
Akin: Das waren zwei Sachen. Hark Bohm hatte mich dann irgendwann zum Essen eingeladen und mir angeboten, bei ihm zu unterrichten.

Das war dann wirklich viel später.
Akin: Sehr viel später. Mein Sohn war schon da, und meine Frau war schwanger mit unserer Tochter. Und dann waren wir bei ihm zu Hause. Irgendwie war es da ganz gut, mich mit ihm zu unterhalten bei dem Essen, als er mich fragte, ob ich bei ihm unterrichten will. Ich habe ihn dann auf den Rauswurf angesprochen, er konnte sich aber nicht mehr daran erinnern. Ich habe dann dort unterrichtet, wir waren aber eher so gute Bekannte.

Wann begann denn nun die Freundschaft?
Akin: Dann ist mir was passiert. Ich habe „The Cut“ gemacht. Und bin damit so ziemlich aufs Maul gefallen. Gescheitert. Mein Problem war, dass ich jahrelang an diesem einen Film gearbeitet hatte und mein Geld und alles, was ich wusste, und alles, was ich glaubte, da reingesteckt hatte. Ich war so am Boden zerstört und eigentlich in einer Depression. Und da hat Hark Bohm mich aufgefangen. Und ich habe mich wieder aufgerappelt. Das war eine freundschaftliche Hilfe von einem älteren für einen jüngeren Filmemacher. Und Hark Bohm hat mich dann ermutigt, „Aus dem Nichts“ zu drehen. Kurz darauf bekam ich das Angebot, „Tschick“ zu machen, und ich habe ihn mit ins Boot geholt, weil ich wusste, dass er auch „Tschick“ drehen wollte.

Freundschaft, die in der gemeinsamen Arbeit gründet. Und jetzt hat der Jüngere für den Älteren einen Film gedreht. Wollten Sie damit etwas zurückgeben?
Akin: Ein Film ist zu groß, um so ein großzügiges Geschenk zu machen, es ist kein Geschenk. Aber da sind wir, zwei Filmemacher, ein alter und ein jüngerer. Und der ältere kann seinen letzten Film nicht mehr drehen.

In „Amrum“ ist Hark Bohm in der Figur des Nanning als Jugendlicher zu sehen, der zwischen Coming-of-Age, Zusammenbruch des Nationalsozialismus und problematischer Mutterliebe seinen Weg finden muss. Welche Aussage war Ihnen in diesem Film am wichtigsten?
Akin: Zunächst einmal, dass man sich die Eltern nicht aussuchen kann. Und dass Eltern sich ihre Kinder nicht aussuchen können. Dass man politisch in zwei extrem – auf Mord und Totschlag! – verschiedenen Lagern sein kann wie Nationalsozialismus und Widerstand.

Fatih Akin: Hark Bohm hat mich aufgefangen

Trotz dieses wirklich starken politischen Aspekts in „Amrum“ bis hin zur Denunziation einen Tag vor Adolf Hitlers Suizid hat der Film auch ganz deutlich etwas von „Tom Sawyer“. War das genau so von Ihnen vorgesehen?
Akin: Ja. Zunächst war das schon im Material, und wenn man sich mit Hark Bohm beschäftigt, sieht man in vielen Filmen von Hark Tom Sawyer. Man kam gar nicht drum herum.

Die Natur auf der Insel spielt eine immens wichtige Rolle, angefangen bei der Gefährlichkeit des Watts, in dem der Junge beinahe stirbt. Die Insel ist einerseits Idylle, andererseits wird sie nicht idyllisch gezeigt. War das einfach, vor allem: Wollten Sie die Idylle vermeiden?
Akin: Eines mussten wir unbedingt vermeiden: Dass der Film aussieht wie ne Bier-Werbung – friesisch-herb.

Was haben Sie dagegen unternommen?
Akin: Ich habe mir die Werbung angeguckt auf YouTube, wieder und wieder: Wie gerate ich nicht in diese Falle? Was kann ich dagegen tun? Und dann kam der Zufall in Form der Caspar-David-Friedrich-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle. Ich wusste vor der Ausstellung schon, dass Caspar David Friedrich ein Element sein muss in dem Film, weil Hark immer davon gesprochen hat. Die Ausstellung hat mir viele ästhetische Fragen beantwortet, auch die, in welchem Format ich drehen würde. Wie ich die Natur darstelle. Caspar David Friedrich, der Romantiker war, lenkte mich auf die Frage: Was bedeutet deutsche Romantik als Gegenentwurf zur Industrialisierung? Heute steht ja nicht mehr die Industrialisierung auf der Türschwelle, sondern die KI. Und dann machst du so einen Film – teilweise mit KI auch. (lacht)

Die Regisseure Detlev Buck und Jan Georg Schütte als Schauspieler, die sehr gerne mal ungefragt in die nächste Pointe hinein spielen, weil sie es nicht lassen können. Wie kriegt man es hin, dass die eben nicht in Richtung Jever-Werbung gehen?
Akin: Das war nicht so schwer. Das war wirklich nicht schwer. Die beiden haben es mir im Grunde einfach gemacht. Ok, Buck hatte Schwierigkeiten mit dem Öömerang, klar. (Öömerang ist der ohne Untertitel nicht verstehbare Dialekt auf Amrum, die Red.), Das Problem hatte zwar jeder am Set, aber der arme Buck hatte wirklich sehr damit zu kämpfen.

„Keine Drohne, keine Steadycam, keine Schienen!“

Wenn ich noch mal nachdenke: Schütte hatte bei seiner Figur des strammen Nazis eigentlich kaum die Gelegenheit, eine Pointe zu setzen.
Akin: Hat er aber gemacht!

Ist mir nicht aufgefallen.
Akin: Ganz kleine Dinger. Alleine wie er sagt: Da gibt’s keinen Zucker. Und natürlich, wenn er die Hacken zusammenhaut. Doch doch, Schütte hatte seine Pointen. Ich war begeistert von Schütte, der war wirklich ein Profi. Der kam an und hat sofort geliefert, auch bei einer komplizierten Kameraeinstellung. Die sind gut, die Drei! Und für mich war es gut, die drei Regisseure am Set zu haben.

Sie hatten mit Karl Walter Lindenlaub zum ersten Mal den Kameramann von Roland Emmerich engagiert. Ein Actionspezialist bei einem Film, dessen Einstellungen von Caspar David Friedrich inspiriert sind und bei der die Flut den wohl einzigen Moment von Action darstellt?
Akin: Na ja, und noch die Schlägerei! Aber: Der Kameramann ist eigentlich Harks Kameramann, als er noch den Film machen wollte. Hark hatte schon zwei Teammitgliedern zugesagt, bevor ich den Film übernommen habe. Das war die Kostümbildnerin Birgit Missal und als Kameramann der Lindenlaub, der Dozent bei Hark an der Schule war. Die sind Freunde. Hark bat mich inbrünstig, ihn zu nehmen. Er wollte aber eine bestimmte Gage, die wir ihm nicht zahlen konnten. Dann habe ich ihm gesagt: Wir zahlen das, aber dafür müssen wir woanders sparen. Dann musst du mir den Film so einfach drehen wie eine Scheibe Brot, Butter und Honig. Bist du okay damit? Dann sagte er: ja. Und so ist der Stil des Films entstanden.

Detlev Buck und das Öömerang

Schlichtheit aus Kostengründen?
Akin: Jetzt muss ich fairerweise noch was ergänzen: Wir durften ja gar nicht anders drehen, die Insel ist nämlich ein Naturschutzgebiet.

Was durfte nicht eingesetzt werden?
Akin: Wir durften keine Drohne benutzen, dort ist ein Vogelschutzgebiet. Wir konnten keine Steadycam benutzen, weil es dort so windig ist, dass die Steadycam nur geschaukelt hätte. Wir durften keine Schienen legen, also mussten wir mit Mitteln arbeiten, wie man vielleicht 1945 gearbeitet hat. Im Grunde musste ich Lindenlaub das gar nicht sagen, weil er es eh wusste. Nur mit Tageslicht zu drehen, hat natürlich den Stil gemacht. Und bevor jetzt der Eindruck entsteht, dass ich von Lindenlaub nicht begeistert bin: Es war ganz toll mit ihm zu arbeiten. So viel, wie ich bei diesem Film über das Licht gelernt habe, habe ich bis bei keinem meiner Filme gelernt. Er war für mich wirklich wie ein Lehrer in Sachen Licht.

Der Film „Amrum“ des Regisseurs Fatih Akin nach dem gleichnamigen Buch von Hark Bohm kommt am 9. Oktober in die Kinos.
Der Film „Amrum“ des Regisseurs Fatih Akin nach dem gleichnamigen Buch von Hark Bohm kommt am 9. Oktober in die Kinos. Foto: Foto: 2025 bombero international GmbH & Co. KG / Rialto Film GmbH / Warner Bros. Entertainment GmbH / Mathias Bothor

Dann hat Lindenlaub Ihnen den Caspar David Friedrich in den Film gebracht?
Akin: Dramatische Wolken, das Licht; ich war auch mit Lindenlaub in der Ausstellung in der Kunsthalle, einmal war ich mit meinem Ausstatter, einmal allein und einmal mit Lindenlaub.

Der rote Faden, der sich durch den Film zieht, ist, dass Nanning Nahrung beschafft. Für seine in der postnatalen Depression steckende Mutter will er Weißbrot, Butter und Honig organisieren, weil sie nur das essen will. Aber auch Karnickel werden erschlagen, am Strand Robben geschossen, Fische geräuchert. Kein Wunder, dass gleich zu Beginn des Abspanns der Satz steht, es seien keine Tiere zu Schaden gekommen. War der Satz Pflicht?
Akin: Vor allem bei diesem Film.

Für mich war der Satz eine Pointe. Ich musste laut lachen.
Akin: Viele Leute lachen da. Es war aber gar nicht als Lacher geplant. Ich weiß nur, dass ich gesagt habe. Ey, lasst uns den Satz früh setzen, damit auch die Leute ihn sehen, die während des Abspanns früh gehen, und wenigstens das noch gelesen haben.

Apropos Nanning: Wie findet man einen Teenager-Schauspieler wie Jasper Billerbeck, der vorher noch keine Minute Film gedreht hat?
Akin: Der wurde von der Kinder- und Jugendcasterin Jacqueline Rietz gecastet. Sie hat dafür nicht in Großstädten gesucht, sondern auf dem Land, denn wir brauchten Kinder, die bereit sind, barfuß übers Watt zu gehen. Sie hat dann auch Segelschulen angeschrieben wegen der Segelszenen. Und von einer dieser Segelschulen hat sich Jasper beworben. Einer von 600 Kindern.

Er hat sehr gut gespielt. Meinen Sie, dass er in der Branche bleibt?
Akin: Ich würde es ihm nicht raten.

Wie bitte?
Akin: Es gibt wenige, denen ich es raten würde. Jasper – wenn er beim Film bleiben sollte – wäre bestimmt auch ein hervorragender Kameramann oder Regisseur. So toll der Beruf der Schauspielerei ist: er ist nicht für jede oder jeden. Das heißt nicht, dass sie das nicht können – Jasper hat das sehr gut gemacht. Aber wenn es mein Kind wäre, würde ich es ihm nicht raten. Dann würde ich sagen: Werde Arzt oder Physiker! (lacht)

Was wäre gewesen, wenn ihr Vater Ihnen so was gesagt hätte?
Fatih Akin: Na, das hat er doch ständig gesagt! Aber er hatte keinen Erfolg damit.

Womit wir ganz grob wieder beim Thema des Films wären.
Fatih Akin: Genau.

Der Film „Amrum“ von Fatih Akin kommt am 9. Oktober 2025 in die Kinos.
Foto: Foto: © 2025 bombero international GmbH & Co. KG / Rialto Film GmbH / Warner Bros. Entertainment GmbH / Gordon Timpen.
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