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„Cascade“ von Floating Points: Klappe, die zweite

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(Foto: Genevieve Reeves)

Mit „Cascade“ kehrt Sam Shepherd alias Floating Points auf die Tanzfläche zurück und holt damit auch eine verpasste Chance nach.

Sam Shepherd kann nicht stillsitzen. Seit er 2008 angefangen hat, unter dem Namen Floating Points zu veröffentlichen, hat der englische Musiker immer wieder neue Wege eingeschlagen: Sein Debütalbum hat er live mit einem Ensemble performt, seine letzte Platte „Promises“ war eine Zusammenarbeit mit Jazzlegende Pharoah Sanders und dem London Symphony Orchestra. Und vor zwei Jahren hat sich Shepherd erneut ganz woanders wiedergefunden: in der kalifornischen Wüste, wo er an seiner ersten Arbeit mit dem San Francisco Ballet gearbeitet hat. Shepherd selbst nennt diese vielfältigen Projekte „Abzweigungen“ – aber früher oder später ruft es ihn dann doch auf den Weg in der Mitte zurück.

So war es auch in der Wüste, wo auf einmal das Heimweh aufgekommen ist – nicht nur nach seiner Heimatstadt Manchester, sondern auch nach der Musik, die ihn dort geprägt hat. Und so ist „Cascade“ entstanden, ein neues Album, bei dem Shepherd auf Ensembles und Orchester verzichtet und sich ganz der Elektronik gewidmet hat. Dank des Exils sogar noch minimalistischer als geplant: „Ich habe zu Hause ein Studio mit all dem Equipment, das ich normalerweise benutze, aber ich war nicht da, also musste ich mit meinen Laptop arbeiten und alles über Kopfhörer machen“, sagt Shepherd. Tatsächlich ist „Cascade“ wie alle Floating-Points-Platten auch als Kopfhöreralbum hörenswert, aber das erklärte Zielgebiet ist eindeutig die Tanzfläche. Das hängt auch damit zusammen, dass Shepherd sein Album „Crush“ aus dem Jahr 2019 nie live performen konnte, denn dank der Pandemie wurde die dazugehörige Tournee abgesagt.

„Cascade“ ist explizit als Fortsetzung von „Crush“ gedacht, was auch durch die ähnlichen Titel und das Artwork deutlich wird, das erneut von der japanischen Künstlerin Akiko Nakayama stammt. Für Sam Shepherd bedeutet das Album die bei „Crush“ verpasste Gelegenheit, als klassischer DJ aufzutreten und die Leute rein elektronisch zum Tanzen zu bringen. Und „Cascade“ ist dafür bestens geeignet: Über neun Tracks, die teilweise deutlich länger sind als alles, was „Crush“ zu bieten hatte, wird dem Dance-Underground gehuldigt. Den Opener „Vocoder“ kennen Fans dabei bereits aus dem Jahr 2022, doch Shepherd hat ihn als „Club Mix“ noch tanztauglicher gemacht. Die weiteren Stücke führen mit treibenden Rhythmen und warmen Synthesizern den Vibe weiter, ohne je stumpf zu werden.

Erst die zweite Hälfte des Albums wagt sich auch mal von der Tanzfläche weg: Im achtminütigen „Ocotillo“ tauchen aus verspielten Arpeggios zunächst an Steve Reich erinnernde Rhythmen auf, ehe daraus doch noch ein technoider Beat wird, der Drum & Bass von „Tilt Shift“ ist bis aufs Skelett korrodiert, und im nahtlos darauf folgenden Ambient-Schlusstrack „Ablaze“ fehlen die Drums dann erstmals ganz. Ein langsames Ausklingen, das in seiner Zurückhaltung auch für „Cascade“ selber stehen kann. Denn damit beweist Sam Shepherd, dass er eben doch einmal stillhalten und sich rückbesinnen kann, wenn er will. Die Fans werden es ihm danken – und zwar nicht nur die, die nun endlich live mit ihm tanzen können.

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