Garbage: Lernen von den Alten
Wenn Garbage nach 25 Jahren wieder so aufregend klingen wie auf ihrem Debüt, haben sie das nicht zuletzt dem 84-jährigen Vater von Sängerin Shirley Manson zu verdanken.
Shirley, hat ein bestimmtes Ereignis den Ausschlag gegeben, dass das siebte Album von Garbage eine sehr politische Platte geworden ist?
Shirley Manson: Ich würde „No Gods no Masters“ lieber als eine besonders meinungsstarke Platte bezeichnen. Auch in der Vergangenheit haben wir mit Garbage ja schon tabuisierte Themen aufgegriffen, indem wir etwa den Missbrauch in der katholischen Kirche oder LGBTQ-Rechte thematisiert haben. Unser Vorsatz war es nicht, das jetzt zu intensivieren. Es hat sich ergeben, aber wenn ich die globale politische Entwicklung der letzten Jahre betrachte, überrascht es mich auch nicht sonderlich.
Deine Texte sind fast schon prophetisch. Bei „Waiting for God“ habe ich natürlich an George Floyd gedacht – und dann ist mir aufgefallen, dass ihr den Song bereits zwei Monate zuvor, im März 2020, aufgenommen habt.
Manson: Leider hat es dafür keine hellseherischen Fähigkeiten gebraucht. Mir hat es die Augen geöffnet, als im Jahr 2012 der 17-jährige Trayvon Martin von einem Nachbarschaftswachmann erschossen wurde. Seitdem habe ich das Gefühl, dass wir in den USA fast jeden Tag ein Opfer von rassistischer Polizeigewalt zu beklagen haben. Es ist ein systemisches Problem. Auch die Pandemie hat nur Probleme sichtbarer gemacht, die schon viel länger existieren – etwa die ungerechte Verteilung von Reichtum oder die Benachteiligung von Frauen.
Mit „The Creeps“ greifst du auch einen sehr persönlichen Tiefpunkt auf.
Manson: Das ist wirklich genau so passiert. Kurz nachdem mich mein Anwalt angerufen hat, um mir sagen, dass Interscope Records uns gefeuert hat, bin ich auf dem Loz-Feliz-Boulevard an einem Garagenverkauf vorbeigefahren, wo sie ein lebensgroßes Poster von mir verramscht haben. Es stand da an eine Laterne gelehnt und sollte nur ein paar Dollar kosten. Ich hatte das Gefühl, komplett erledigt zu sein, denn als Frau hast du mit Mitte 40 in der Musikindustrie so gut wie keine Chance mehr. Vor allem aber habe ich mich geschämt – und das ist ein Gefühl, das ich bis dahin so gut es ging aus meinem Leben verbannt hatte. Trotzdem hat der Song eine durch und durch positive Botschaft für mich, denn dieser Tag vor gut zehn Jahren markiert auch einen Wendepunkt in meinem Leben. Ich habe weitergemacht und umso mehr darauf geachtet, mir selbst als Musikerin zu imponieren.
Ist das auch der Grund, warum die neue Platte mit „This City will kill you“ endet? Der Song ist ja eigentlich eine Liebeserklärung an L.A., zugleich aber auch eine Hymne auf das Älterwerden.
Manson: Natürlich ist es schrecklich, wenn du den Verfall des eigenen Körpers nicht mehr leugnen kannst. Trotzdem glaube ich, dass wir es zu einem großen Teil selbst in der Hand haben, wie schnell wir altern. Ich bin sehr stolz auf die neue Garbage-Platte, weil wir es meiner Meinung nach geschafft haben, nach mehr als 25 Jahren noch neue Herausforderungen zu finden und wieder frisch zu klingen. Vermutlich habe ich auch all das Selbstvertrauen aus den zurückliegenden Jahren gebraucht, um jetzt etwa Texte über Misogynie und Rassismus schreiben zu können, die mich selbst überzeugen. Mein 84-jähriger Vater ist da für mich ein großes Vorbild: Er sucht sich jeden Tag ein neues Projekt und ist sehr viel lebendiger als viele Dreißigjährige, die ich kenne.