Gewusst, wie: Euphorie! Georgia über ihr neues Album „Euphoric“
Im Klub kennt sich die Londoner Musikerin Georgia mit Hochgefühlen aus. Aber wie holt man die in den Alltag?
„Euphoric“ von Georgia und die Liebe zur Welt
Georgia, auf deinem letzten Album „Seeking Thrills“ hast du den Klub als Freiraum gefeiert. Jetzt aber ziehst du mit „Euphoric“ raus in die Welt.
Georgia: Ich wollte die positive Energie und das Erfahren von Gemeinschaft außerhalb des Klubs finden. Es geht weniger um Eskapismus als um die Frage, wie ich mit meinem Leben klarkomme. Die Welt da draußen stellt uns vor so viele Herausforderungen. (lacht) Auch wenn ich jetzt als alte Grantlerin herüberkomme, aber Social Media hat daran einen erheblichen Anteil. Wie können wir noch einzelne Momente genießen und das permanente Rauschen ein bisschen in den Hintergrund drängen?
Wie hast du gemerkt, dass du mit dem Klub vor allem deine Angst vor der Welt kompensierst?
Georgia: Ich bin einfach nicht glücklich gewesen. Das Abtauchen im Klub hat mich nicht mehr inspiriert und sogar wütend gemacht. Es ist super, wenn du im Klub eine Zeit lang all deine Sorgen und Ängste vergessen und neue Energie für den Alltag tanken kannst. Wenn du aber nur noch für die Klubbesuche lebst, wird es klaustrophobisch, und etwas gerät aus dem Gleichgewicht. Aber Wut ist ja auch eine Energie, aus der sich etwas Positives schöpfen lässt. Ich wollte raus in die Welt und Abenteuer erleben.
Dann ist „Euphoric“ gar nicht voller Liebeslieder, sondern das „you“ in deinen Texten meint eher eine Verbundenheit mit der Welt?
Georgia: Absolut. Im ersten Jahr der Pandemie ist es mir noch gelungen, Verbindungen aufrechtzuerhalten, aber dann bin ich in selbstzerstörerische Verhaltensmuster zurückgefallen und habe mit Suchtproblemen gekämpft. Im zweiten Jahr habe ich es gehasst, ständig auf mein Telefon zu starren, weil die Welt nur über Clips und Videos kommuniziert hat. Es hat sich angefühlt, als wäre ich in einem Kubrick-Film gefangen.
Zu „Euphoric“ hat dich maßgeblich Danny Boyles Verfilmung von „The Beach“ inspiriert. Weil die Botschaft des Films ist, dass Parallelwelten auch nicht zwingend besser sind?
Georgia: Ich liebe vor allem die erste Hälfte des Films. Klar, dann wird es extrem düster und bedrohlich, aber trotzdem ist das Ende ja durchaus optimistisch: Wenn der Protagonist nicht auf diese Reise gegangen wäre, hätte er all diese Leute nicht getroffen und seine Erfahrungen machen können.
Dazu passt, dass dein Album mit dem Stück „So what“ endet.
Georgia: Genau diese Erkenntnis greife ich mit dem Song auf: Es war wert, es ausprobiert zu haben, auch wenn nicht alles funktioniert hat. Wir sollen uns einen Reim auf die Welt machen können, bevor wir überhaupt richtig in ihr gelebt haben. Kein Wunder, dass man da in eine Schockstarre fällt. Es geht klar, Fehler zu machen, wenn man sich außerhalb des Gewöhnlichen bewegt.
Du hast mit Leuten wie Mura Masa, Shygirl, Olly Alexander von Years & Years und sogar mit der Countrypop-Musikerin Shania Twain an deren Projekten gearbeitet. Hat dir das dabei geholfen, auch mit der eigenen Musik das Abenteuer zu suchen?
Georgia: Da hat sich auf jeden Fall eine Tür geöffnet. Zu merken, dass ich mit anderen sehr gut im Studio arbeiten kann, war für mein Selbstvertrauen extrem wichtig. Mir ist bewusst geworden, dass ich auch außerhalb der bewährten Arbeitsweise funktioniere. Und klar, besonders die drei Tage mit Shania Twain sind eine große Motivation gewesen, denn auch sie ist mit der Zusammenarbeit ja ein großes Risiko eingegangen. Ein gemeinsamer Freund hat ihr unsere Kooperation vorgeschlagen, und ich glaube, sie kannte meine Musik vorher gar nicht. Aber jetzt ist sie eine große Georgia-Unterstützerin und schreibt mir häufig Nachrichten.
Dann ist es wirklich ein sehr spontaner Entschluss gewesen, in den Flieger nach L.A. zu steigen und gemeinsam mit dem ehemaligen Vampire-Weekend-Mitstreiter und Produzenten Rostam Batmanglij dein neues Album aufzunehmen?
Georgia: Wir haben nur wenige Stunden für die Single „It’s euphoric“ gebraucht, und da ist mir klar geworden, dass ich mit ihm das ganze Album machen will. Er tickt wie ich. Wir haben stundenlang Musik analysiert und darüber diskutiert, wie Popsongs aufgebaut sind.
„Bei Nina Simone analysiere ich nicht, da genieße ich einfach nur.“
Während vor allem die 80er als das große Jahrzehnts des Popsongs gelten, habt ihr euch eher an den späten 90ern orientiert.
Georgia: An der elektronischen Musik der 90er liebe ich, dass sie dich an andere, weit entfernte Orte transportiert. Denk nur an Orbital. Außerdem habe ich meine Liebe zu Madonnas „Ray of Light“ wiederentdeckt. Okay, bei Madonna ist die Reise wohl eher eine spirituelle Erweckung gewesen, aber ich bin sehr stolz darauf, dass mit William Orbit der Produzent dieser Platte auch bei meinem Song „Give it up for Love“ mitgewirkt hat. Neu ist, dass ich mich zunächst ans Songwriting gesetzt habe und erst dann mit Rostam die Produktion der Stücke in Angriff genommen habe. Bei „Seeking Thrills“ ist mein Schreiben noch vor allem an den Sequencern der Synths und Drum Machines orientiert gewesen.
Wenn du Musik so sehr analysierst, zerstörst du dann nicht auch gleichzeitig deine größte Leidenschaft und nimmst dir selbst den wichtigsten Freiraum?
Georgia: Das ist das große Problem, wenn du deine Leidenschaft zum Job machst. (lacht) Mit diesem Widerspruch werde ich wohl immer kämpfen. Andererseits glaube ich, dass es heutzutage fast keine Berufe mehr gibt, die du einfach so abstreifen kannst. Immerhin habe ich eine Musik gefunden, bei der das Abtauchen für mich perfekt funktioniert: Jazz. Wenn ich mich beruhigen will, mache ich das Album „I put a spell on you“ von Nina Simone an. Diese Musik ist ganz weit von mir entfernt, das könnte ich niemals machen. Bei Nina Simone analysiere ich nicht, da genieße ich einfach nur.