Zum Inhalt springen

Hannah Dübgen: Über Land

Mit ihrem neuen Roman „Über Land“ beweist Hannah Dübgen, dass es Themen gibt, die nur von der Literatur angemessen verhandelt werden können.

Hannah, hast du deinen neuen Roman „Über Land“ geschrieben, weil du dich verpflichtet gefühlt hast, dich zur Flüchtlingsthematik zu äußern?
Hannah Dübgen: Verpflichtet habe ich mich nicht gefühlt. Mich interessieren aber grundsätzlich Dinge, die für unsere Gegenwart relevant und prägend sind. Wenn ich mich über mehrere Jahre mit einem Buch beschäftige, treibt mich immer auch die Frage um: In was für einer Zeit leben wir heute, was brennt da unter den Nägeln? Gleichwohl geht es aber nicht unbedingt um politische Aktualität. Ich differenziere da zwischen Tagesaktualität und gesellschaftlicher Relevanz. So hatte ich auch schon knapp zwei Jahre an dem Buch gearbeitet, als es dann im vergangenen Sommer diese große Migrationsbewegung in die EU gab.
Was hat dann den Anstoß gegeben?
Dübgen: Bei mir muss es immer ein Thema geben, das mich nicht loslässt. Hier war es ein befreundeter Iraker, der mir von seiner Flucht erzählt hat, und ich wusste sofort, dass ich irgendwann darüber schreiben werde. Bevor ich aber loslege, muss in der Regel immer noch etwas anderes dazukommen: ein literarisches Motiv, das scheinbar aus einer ganz anderen Ecke kommt. Bei „Über Land“ wollte ich mich auf einen Ort konzentrieren, den ich dann aus zwei ganz unterschiedlichen Blickwinkeln betrachte. Wie fühlt es sich an, mit der U-Bahn durch Berlin zu fahren, wenn man in Deutschland auf Asyl hofft? Und wie nimmt man die gleiche Strecke wahr, wenn man nach einer Nachtschicht erschöpft nach Hause fährt? Über solche Situationen kam ich zu meinen beiden Protagonisten, und das hat sich dann mit der Flüchtlingsgeschichte meines Freundes verbunden.
Nichtsdestotrotz musstest du gegen überstrapazierte Bilder, Klischees und die Gewöhnung an den Schrecken anschreiben, oder?
Dübgen: Das Besondere am Schreiben ist ja, dass die Bilder im Kopf entstehen, sie sind dynamisch und als solche unabhängig von äußeren Bildern. Ich musste daher beim Schreiben nicht aktiv irgendwelche Bilder wegblenden, ich ging mit den Augen meiner Figuren durch die Geschichte. Zudem glaube ich, dass trotz der großen Präsenz des Themas in den Medien auch sehr gute journalistische Berichte manche Aspekte der Situation nicht oder nur begrenzt erfahrbar machen können, einfach, weil im Journalismus der Platz oder die Freiheit der Fiktion fehlt. Wir kennen alle die Bilder von der Ankunft in den Unterkünften und dem Schlangestehen, aber wie sich die langen Wartepausen dazwischen anfühlen, was das Warten mit einem macht, das ist dann etwas, wo die Literatur ihren Platz findet.
Diese Vermittlung gelingt dir sehr eindringlich, indem du den Fokus auf die sozialen Medien legst.
Dübgen: Für mich war bei diesem Roman die Feststellung zentral, dass Weggehen und Ankommen Prozesse sind. Wenn man den Körper bewegt, ihn vielleicht unwiderruflich über eine geographische Grenze bewegt, heißt das ja noch nicht, dass man auch geistig und emotional sofort ankommt. Inwieweit identifiziert man sich noch mit etwas, auf das man physisch keinen Zugriff mehr hat? Da kommt man dann schnell zu dieser schizophren Situation, die von den sozialen Medien geschaffen wird: Einerseits können wir durch sie noch zurück, können noch Verbindungen zu den Zurückgelassenen und zu unserer Vergangenheit aufbauen. Gleichzeitig gibt es aber harte Grenzen, die erstmal verschlossen sind: Amal kann, solange sie in Deutschland auf Asyl hofft, nicht zurück nach Bagdad, obwohl es sie nach dem Tod ihrer Großmutter dorthin, zu ihrer Familie drängt. Clara spürt das und macht sich so kurzentschlossen für Amal auf die Reise.
Ist „Über Land“ ein pädagogischer Roman?
Dübgen: Oh Gott, pädagogisch klingt für mich immer nach Bemühen und Zeigefinger. Auch mit dem Begriff „moralisch“ hätte ich Bauchschmerzen, weil der suggeriert, jemand wisse die Antwort und möchte sie unbedingt vermitteln. Literatur ist für mich eine Suche, bei der es ein einziges moralisches Gebot gibt: dass man nicht verkitscht oder dramatisiert um irgendwelcher Effekte willen. Diese Moral des genauen Hinschauens und einer – in diesem Sinne – authentischen Wiedergabe könnte man auch definieren als ein „Den-Finger-in die-offene-Wunde-Legen“. Auf keinen Fall aber will ich den Finger in die Wunde legen und dann noch mal ordentlich darin rumrühren, damit auch ja jemand besonders schmerzlich aufschreit.

Interview: Carsten Schrader

Hannah Dübgen Über Land
dtv 2016, 272 S.; 20 Euro

LESUNGEN
3. 9. Hamburg
23.+27. 9. Berlin

Beitrag teilen: