Hendrik Otremba: Über uns der Schaum
So unterhaltsam Hendrik Otrembas Genremix aus Science Fiction und Noir auch ist – mit seinem Debütroman hat der Messer-Sänger natürlich sehr viel mehr im Sinn.
Hendrik, wenn Musiker einen Buch schreiben, werden sie von der Kritik gern auseinandergenommen. Wie fühlst du dich bei der Veröffentlichung deines Debütromans?
Hendrik Otremba: Ich habe ja ganz bewusst einen autobiografischen Text vermieden. Trotzdem bin ich nervös, weil ich bei Messer die Musik als Schutzraum habe, durch den ich mich unangreifbar fühle. Die Texte sind abstrakter, kryptischer, und weil es viele Deutungsmöglichkeiten gibt, kann ich mich hinter ihnen verstecken. Jetzt ist etwas da, was eine andere Komplexität hat und mehr auserzählt ist.
Einige Motive sind schon vom letzten Messer-Album „Jalousie“ bekannt, auch der Romantitel taucht in dem Song „Der Staub zwischen den Planeten“ bereits auf.
Otremba: Trotzdem ist es nicht das Buch zur Platte. Einige Songtexte sind etwa zur gleichen Zeit entstanden, aber mit dem Roman ging es mir darum, dieser ästhetischen Ahnung weiter zu folgen und Themen wie Verlust, Veränderung, Neuanfang und Flucht zu verhandeln.
Als Songtexter hast du eine eigene Sprache etabliert, die du mit dem Roman fortschreibst.
Otremba: Es gibt schon eine Affinität zu bestimmten Klängen und Ausdrücken: Wörter, die eine gewisse Romantik mit sich bringen und etwas mit Nebel zu tun haben. Viel ergibt sich im Ausschlussverfahren, über die Dinge, die ich nicht will. Es ist durchaus eine artifizielle Sprache, die aber Plaudertöne zulässt, wenn sie sich literarisch verhalten.
In „Über uns der Schaum“ erzählst du von einem drogensüchtigen, von Trauer zerfressenen Detektiv namens Joseph Weynberg, der einer Femme Fatale verfällt und mit ihr aus seiner Heimatstadt fliehen muss. Dein dystopischer Entwurf erinnert an „Blade Runner“ und zeigt eine Welt am Abgrund, bei der du etablierte Motive aus Science Fiction, dem Film Noir und dem Hardboiled-Genre auf eine sehr eigenwillige Art und Weise neu kombinierst.
Otremba: Ich mag Science Fiction, wenn die Entwürfe wie bei Tarkowski oder Philip K. Dick etwas Literarisches und Kunstvolles haben. Natürlich laufen momentan auch auf Netflix viele Science-Fiction-Serien – aber die finde ich höchstens unter der gesellschaftspolitischen Fragestellung interessant, warum es derzeit eine so große Eskapismus-Begeisterung gibt. Mir geht es weder um Technikbegeisterung noch um Unterhaltung, sondern um eine denkbare Zukunftsvision und die Frage, wie sich die Menschen in ihr verhalten. Mit „Über uns der Schaum“ will ich ja keine Collage aus etablierten Ästhetiken liefern, sondern irritieren.
Wie erschreckend nah die Dystopie unserer Gegenwart kommt, wird dadurch intensiviert, dass du den Roman nicht datierst und man beim Lesen häufig vergisst, dass er in einer anderen Zeit spielt.
Otremba: Deswegen war es mir ganz wichtig, dass weder Handys noch Computer auftauchen. Zwar gibt es die fiktive Stadt Neu-Qingdoa, in die Weynberg und Maude flüchten, aber ansonsten bleibt ja auch der Ort der Handlung unbestimmt.
Nur ein einziges Mal wird ganz beiläufig Auschwitz erwähnt. Das war vermutlich etwas, was du nicht leichtfertig in den Text eingebaut hast, oder?
Otremba: Ich finde es generell schwierig, sich künstlerisch zu diesem Thema zu äußern. Man kann mehr falsch als richtig machen. Trotzdem habe ich aber den Anspruch, mich dazu zu verhalten und einen adäquaten Umgang zu finden. Wobei auch das schon wieder problematisch ist – denn ein adäquater Umgang ist auch immer der Anfang vom Vergessen. Ich wollte das Sujet nicht ausbeuten, sondern es wie ein Stich mit einem Stilett einsetzen. Und auch das lässt sich damit zusammenbringen, dass es in einer Welt geschieht, die total am Abgrund ist. Es zeigt, was Vergessen bedeuten kann.
Interview: Carsten Schrader
Hendrik Otremba Über uns der Schaum
Verbrecher Verlag, 2017, 250 S., 19 Euro
LESUNGEN
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