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Hilkje Hänel: Letzter Ausweg Tempelhof

Cover Hänel

In ihrem neuen Berlin-Thriller „Letzter Ausweg Tempelhof“ führt Hilkje Hänel ihre Kommissarin Alexandra Gode an einen Ort, der totalitaristische Herrschaft symbolisiert.

Wieviel Blut, Schweiß und Tränen sind im Tempelhofer Feld schon versickert? Wie viele Menschen fanden hier ihren gewaltsamen Tod? Das Gelände des ehemaligen Berliner Zentralflughafens war schon immer ein Schicksalsort, an dem sich zwischen Hoffnung und Verzweiflung ungezählte Lebenswege entschieden haben. Ein von einer martialischer Architektur geprägtes Areal, das als größenwahnsinniger Weltflughafen geplant war, aber zum barbarischen NS-Zwangsarbeiterlager und später zum Drehkreuz der waghalsigen Berliner Luftbrücke wurde und bis vor kurzem als umstrittene Massenunterkunft für Flüchtlinge gedient hat, der menschenunwürdige Bedingungen vorgeworfen wurden. Krimiautorin Hilkje Charlotte Hänel macht dieses durch historische Wucht geprägte Terrain zum Tatort eines vermeintlich unspektakulären Verbrechens: Ein kleines syrisches Mädchen liegt erstickt auf einer Matratze. Ihre Mutter hat sich daneben erhängt. In einer dieser winzigen Wohnparzellen, die in der monumentalen Hangar-Halle den tausenden Flüchtlingen nur ein Minimum an Privatsphäre gewähren. Für die Rechtsmediziner und die Leitung der Polizei ist es ein Migranten-Drama, dass man schnell zu den Akten legen kann: Eine verzweifelte Mutter hat erst ihr Kind und dann sich selbst vor einer aussichtslosen Zukunft bewahren wollen. Doch Kommissarin Alexandra Gode, ihr Kollege Lepke und die junge Praktikantin Lina ermitteln auch gegen eine Anweisung des Innensenators hartnäckig weiter und stoßen nicht nur bei einer dubiosen Securityfirma auf Verdächtige. Weitere tote Flüchtlingskinder und ein heimlich aufgenommenes Handyvideo führen Alexandra Gode zu der erschreckenden Erkenntnis, dass dieser Fall auch mit ihrer persönlichen Vergangenheit zu tun hat …

 

Foto: privat

 

Flüchtlingsproblematik, Kindesmissbrauch, Zwangsprostitution, Behördensumpf, korrupte Senatoren, eine Ermittlerin mit traumatischer Vergangenheit: Hilkje Hänels zweiter Berlin-Krimi mutet dem Leser ziemlich viele Abgründe auf einmal zu. Doch man sollte auch bei klischeehaften Narrativen nicht gleich abwinken: Hänels spannender Thriller ist mehr als nur Hauptstadthorror vor Nazibaukulisse. Er legt ihre Wut offen. Wut auf allgegenwärtige sexuelle Gewalt, die mit festgefahrenen Machtstrukturen legitimiert wird und die Gesellschaft immer noch auf allen Ebenen durchzieht. Hilkje Hänel hat im letzten Jahr mit „What is Rape?“ ihre Doktorarbeit in Philosophie abgeschlossen. Darin analysiert sie, wo sexuelle Gewalt beginnt und wie sie durch Verhaltensmuster im Alltag etabliert wird. Als Kriminalschriftstellerin zeigt sie patriachale Strukturen und anachronistische Moralvorstellungen auf, die zu Gewalt an Frauen führen. Auch in Zeiten von #MeToo und gesellschaftlicher Veränderung sind diese noch immer mit dem gleichen Ewigkeitsanspruch zementiert wie die totalitäre Herrschaftsarchitektur des Flughafens Berlin Tempelhof. nh

 

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Hilkje Hänel Letzter Ausweg Tempelhof

Goldmann, 2019, 352 S., 10 Euro

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