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„House of Bellevue“ im ZDF: Die Zugehörigkeit in der Ballroomkultur

Die Serie „House of Bellevue“ läuft im ZDF und kann in der ZDF-Mediathek gestreamt werden.
Emm (Ricco-Jarret Boateng) gibt auf dem Major Ball alles. Die Serie „House of Bellevue“ läuft im ZDF und kann in der ZDF-Mediathek gestreamt werden. (ZDF/Daniel Lwowski)

Über die Kraft der Ballroom Culture und ihre selten erzählten Geschichten: „House of Bellevue“ – Berliner Ballroom Culture, queere Selbstbestimmung, Community und persönliche Freiheit. Im ZDF und in der Mediathek.

Mit „House of Bellevue“ widmet sich das ZDF einer Szene, die in Deutschland bisher selten filmisch erzählt wurde: der Ballroom Culture. Im Zentrum steht Emm (Ricco-Jarret Boateng), ein 19-Jähriger, der seine brandenburgische Heimat hinter sich lässt und in Berlin nach Zugehörigkeit, Freiheit und einer neuen, selbstgewählten Familie sucht. Sein Neustart verläuft ernüchternd. Kaum angekommen, landet er in einem überteuerten, spärlich möblierten Zimmer, das außer einer Matratze und einem Spiegel kaum etwas bietet. Doch die Aussicht auf sein erstes Ballroom-Event vertreibt die Enttäuschung schnell. In diesem queeren Schutzraum, in dem Mode, Tanz und Performance Ausdruck von Identität sind, findet Emm genau das, wonach er gesucht hat — und in Djamal (Abed Haddad), einem angehenden Modedesigner, einen ersten Verbündeten.

Auf den Balls zeigt sich die Vielfalt der Szene in Kategorien wie „Runway OTA“, „Face“ oder „New Way“. Moderiert von MC Chantelle (Jade Mugisha) und geprägt von der charismatischen Lia Bellevue (Nora Henes, „Alphamännchen“), die Mother des House of Bellevue, entstehen Räume, in denen queere Jugendliche neue familiäre Strukturen finden können, wenn biologische Bindungen nicht tragen. Doch auch hier bleibt Harmonie ein Ideal. Lia, als Mother ohnehin einflussreich, strebt nach größerer Verantwortung – und trifft dabei auf Father Jay Diamond (Lie Ning), der mit seinem House of Diamond denselben Rang im „House of Doréen“ ins Auge fasst. Der Machtanspruch macht die beiden unweigerlich zu Rivalen. Dieser übergeordnete Titel eines German Parent steht für Verantwortung, Einfluss und Anerkennung innerhalb des Ballroom-Netzwerks – eine Position, die nur selten vergeben wird. Da Calista (Florence Kasumba, „Call my Agent: Berlin“, „Deutschland 89“), die bisherige lokale Führungskraft, in die europäische Leitung des House of Doréen aufsteigt, wird ihr Posten frei. Als erfahrene und hoch respektierte Figur der Szene achtet sie nun darauf, dass der aufkommende Wettbewerb zwischen Lia und Jay nicht in einen Machtkampf ausartet, der die Community zerreißen könnte.

Die Serie zeigt eindrucksvoll, dass Ballroom zwar Glitzer, Selbstermächtigung und expressive Performances verkörpert, aber kein Zufluchtsort ohne Schattenseiten ist. Viele der jungen Menschen kämpfen mit prekären Lebenssituationen, queerfeindlicher Gewalt oder Erfahrungen von Rassismus. Mo (Kawian Paigal) versucht, seinen Status als Asylbewerber zu sichern, Djamal verliert nach seinem Studienabschluss die Wohnung, Jay wird Opfer eines homophoben Übergriffs. Damit rückt die Geschichte des Berliner House-Systems nahe an die Ursprünge der Ballroom Culture in den USA, die vor allem von Schwarzen und Latinx-Jugendlichen geprägt wurde, die von ihren Familien verstoßen wurden und sich eigene, belastbare Strukturen schufen.

Besonders stark ist „House of Bellevue“ in jenen Momenten, in denen Bewegung und Emotion ineinandergreifen und die Kamera ganz bei den Figuren bleibt. Die Serie lebt von der Erfahrung ihrer Darsteller*innen – und zeigt dies auch. Einige Dialogpassagen oder stilistische Entscheidungen wirken zwar etwas gezwungen, doch sie mindern den Gesamteindruck kaum. Vielmehr entsteht ein vielschichtiges Bild einer Szene, deren Widersprüche Teil ihrer Kraft sind und die im deutschen Fernsehen selten so greifbar vermittelt wurde.

Ballroom ist Haltung, Schönheit, Präsenz. Oder, wie Emm es in einem Reel formuliert: „Zeigt der Welt, wie ihr seid.“ Diese Idee durchzieht die Serie wie ein roter Faden. Emm verweigert sich den Erwartungen seiner Pflegeeltern, Djamal denen seiner syrischen Mutter, und TJ (Ilonka Petruschka) ringt als trans Frau mit der Balance zwischen Verantwortung für ihre Community und dem Wunsch nach einem eigenen, sicheren Leben. Jede Figur sucht auf ihre Weise nach einem Platz, an dem sie ohne Bedingungen sein darf, wer sie ist – und genau darin liegt die stille Kraft der Erzählung.

Am Ende erzählt „House of Bellevue“ weniger vom Wettbewerb auf dem Catwalk als von der Suche nach Zugehörigkeit und Selbstbestimmung. Die Serie zeigt eine Welt, die oft laut, bunt und überlebensgroß wirkt – und gleichzeitig geprägt ist von Verletzlichkeit, Einsamkeit und dem Bedürfnis nach echter Nähe. Sie macht sichtbar, wie sehr Ballroom für viele mehr ist als Performance: ein Ort des Überlebens, des Widerstands und der Hoffnung. Und sie erinnert daran, dass Sichtbarkeit nicht nur ein Akt der Freiheit ist, sondern auch einer des Mutes.

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