I Am Jerry: Habicht
Die Mittzwanziger von I Am Jerry sind in einem Ruhrpottkaff hängengeblieben – und vermutlich ist genau das der Grund, warum ihnen mit „Habicht“ ein so starkes Debütalbum gelungen ist.
Leo, Julian, wenn man euer Debütalbum hört, bekommt man den Eindruck, dass eure Jugend in Sprockhövel auch nicht gerade leicht war: Da geht es um Stagnation und Routine, um das Warten darauf, dass etwas Spannenderes passiert, ums Wegkommen und natürlich um die Drogen, ohne die man den Stillstand nicht erträgt.
Julian Kleinert: Unser kleines Dorf hat sich in die Platte eingeschrieben, denn es ist tatsächlich so, dass man immer von großen Dingen träumt und sich vorstellt, was man alles erreichen will – aber dann bleibt man irgendwie doch in seinem Kabuff sitzen und kifft mit den Homies. Vielleicht erreicht man mal etwas und kommt einen Schritt weiter, aber dann verläuft es doch wieder im Sand, weil man nicht genug dranbleibt.
Müller-Klönne: Es gibt da fast nur Weiden, Wiesen und Wälder, aber mit dem Auto ist man in 20, 25 Minuten in Bochum. Trotzdem hat all das meiner Meinung nach gar nicht so viel mit dem Dorf zu tun, sondern ist ein generelles Problem des Älterwerdens. In unserem Freundeskreis weiß fast niemand, was er eigentlich machen möchte. Wenn du den ganzen Tag etwas tust, an das du bestenfalls nur so halb glaubst, dann ist das einfach zu wenig, und dann ist eigentlich auch egal, an welchen Ort du gerade bist. Auf dem Dorf ist es vielleicht ein kleines bisschen schwieriger, aber wenn du nichts hast, was dich erfüllt, dann ist es generell schwierig.
Aber ihr hattet doch die Band, die ihr ja quasi schon in der Grundschule gegründet habt. Spätestens jetzt, wo ihr mit dem Debüt richtig durchstartet, könntet ihr endlich raus aus Sprockhövel – trotzdem wohnt ihr immer noch da.
Kleinert: Jetzt leben wir genau das, was wir uns in den Texten der Platte nur erträumt haben. Natürlich könnten wir wegziehen, aber jetzt sind wir ja ständig in Bewegung und haben genug, was drumherum passiert: Wir spielen auf Festivals, geben in verschiedenen Städten Interviews und drehen unsere Videos sonstwo. Da ist es für uns dann auch absolut in Ordnung, wieder zurück in unser Dorf zu fahren, in dem absolut gar nichts passiert.
Hat es einen konkreten Moment gegeben, ab dem ihr wusstet, dass ihr dranbleibt und mit der Band wirklich Ernst macht?
Müller-Klönne: Wir haben alle mehr oder weniger ernsthaft studiert, aber ich für meinen Teil habe etwa schon nach zwei Semestern gemerkt, dass es nicht das Richtige für mich ist. Da habe ich gedacht: lieber einen Nebenjob und die Band.
Kleinert: Ich würde sagen, spätestens seit unserem Auftritt bei Rock Am Ring war es uns allen klar, dass wir das unbedingt wollen.
Aber das war ja schon 2011!
Kleinert: Wir hätten auch nicht gedacht, dass es so lange dauert. 2011 waren wir davon überzeugt, dass ein Jahr später unser Debüt erscheint. Im Nachhinein bin ich aber unendlich froh, denn in dieser Zeit sind wir musikalisch noch wahnsinnig gereift: Während wir damals noch eine ziemlich eindimensionale Indierockband waren, kommt unsere Musik heute aus allen Ecken. Jetzt höre ich auf unserem Debüt etwas, was ich auf Platten aus Deutschland immer vermisse: die Vielfalt und die unterschiedlichen Stimmungen, die es auf einem Album für mich geben muss. Du hast die Songs, die dich aufpuschen und Bock machen, wenn du irgendwo hingehen willst, aber du hast auch Nummern, die du anmachst, wenn du nachts um zwei allein im Auto sitzt.
Das ist ja mal eine Ansage. Wenn es das in Deutschland bislang nicht gab: Welche internationalen Bands lösen diesen Anspruch denn eurer Meinung nach ein?
Müller-Klönne: Beispielsweise die Gorillaz. Bei denen klingt jeder Song anders, und trotzdem tragen alle eine klar erkennbare Handschrift.
Kleinert: Die Gorillaz sind auf jeden Fall ein großer Einfluss von uns. Kanye West auch.
Müller-Klönne: Wobei der ja nun ein Solokünstler ist. Aber für Bands ist es gerade eh eine schwere Zeit. Es ist ja auch nicht so, dass wir Eindimensionalität immer schlecht finden: Turbostaat funktionieren für mich total gut, denn auch wenn viele Songs ähnlich klingen, sind die immer voll auf den Punkt.
Kleinert: Nur ist unser Anspruch eben ein anderer. Wahrscheinlich muss man das Konzept Band wieder neu präsentieren, und es den Leuten als etwas Frisches darbieten. Keine Band hat so eine Rockstarattitüde wie Kanye West. Es zählt nicht mehr nur die Musik, sondern das Gesamtpaket. Das Drumherum ist viel wichtiger geworden.
Wie hat sich denn eure Arbeitsweise geändert, seit ihr selbst viel HipHop hört?
Kleinert: Früher haben wir im Proberaum gejammt, während wir jetzt die Sachen direkt aufnehmen und dann am Rechner zusammenstellen. Wir bauen einen Beat und fügen da Sachen hinzu. „Nachtschicht“, einer meiner Favoriten auf unserer Platte, ist entstanden, als wir im Studio gechillt haben: Der eine daddelt mit der Gitarre rum, der andere spielt Playstation. Dabei lief der Song die ganze Zeit in Dauerschleife, und nach und nach hat da jeder sein Zeug reingefummelt. So entstehen dann Lieder, die ihre ganz eigene Stimmung haben.
Wenn ihr erkannt habt, dass Genres überkommen sind, warum macht ihr dann ein Album und bedient damit ein Format, das ja auch schon längst für tot erklärt wurde?
Kleinert: Wir alle hören Platten noch von Anfang bis Ende, und ich glaube auch, dass man nur so eine Band richtig kennenlernen kann. Auch wenn es meist ein einziger Song ist, der über den Erfolg einer Band entscheidet und bei den Leuten die richtige Emotion treffen muss.
Ist euer Song die Festivalhymne „Wir wolln die Sonne sehn“?
Kleinert: Vom Gefühl her ist es für mich eher „Für immer high“. Wir tragen diesen Song schon sehr lange mit uns rum, und wenn ich das Lied laut aufdrehe, bin ich immer noch überwältigt. Das Thema ist sehr unique und repräsentiert uns ziemlich gut. Ob es aber wirklich unser Lied ist, wird sich noch zeigen.
Interview: Carsten Schrader
FESTIVALS
5. 8. Soundgarden Festival, Bad Nauheim
24. 8. c/o pop Festival, Köln
25. 8. Pangea Festival, Ribnitz-Damgarten
LIVE
12. 8. Berlin
11. 12. Hamburg
13. 12. Leipzig
14. 12. Köln
15. 12. Stuttgart