Ian McEwan: Die Kakerlake
Ian McEwan hat mit „Die Kakerlake“ eine Satire auf die Farce um die britische Politik der letzten drei Jahre geschrieben – doch seine Novelle kommt überraschend blass und uninspiriert daher.
Seit drei Jahren spricht sich Ian McEwan in Interviews wiederholt gegen den Brexit aus, wobei die Schärfe seiner Wortmeldungen immer mehr zunimmt. Umso erstaunlicher ist, wie blass und uninspiriert seine Novelle „Die Kakerlake“ daherkommt, gedacht als Satire auf die Farce um die britische Politik seit drei Jahren.
Inspiriert von Kafka
Die Handlung der Novelle hat sich ihre Inspiration bei Kafka geholt: Im obersten Stockwerk von Downing Street No. 10 wacht eines Morgens eine Kakerlake im Körper des britischen Premierministers Jim Sams auf und kann sich zunächst nicht erklären, wie diese feindliche Übernahme zustande gekommen ist. Störungen der Motorik und der Artikulation kommen hinzu, sind aber innerhalb weniger Seiten Handlung behoben. Schnell wird klar, dass die Kakerlake ihren bisherigen Wohnsitz im Palace of Westminster hatte und dort alle politischen Debatten des Unter- wie auch des Oberhauses verfolgen konnte, politisch also auf allerneuestem Stand ist. Außerdem stellt sich bald heraus: Die Körper aller Regierungsvertreter mit Ausnahme des Außenministers konnten in der vergangenen Nacht von Kakerlaken übernommen werden.
Das Auf-den-Kopf-Stellen des wirtschaftlichen Systems
Am meisten Mühe hat sich McEwan bei der satirischen Darstellung des politischen Streits gegeben, der dem Putsch zugrunde liegt, denn hier wird kein Brexit, sondern das Auf-den-Kopf-Stellen des wirtschaftlichen Systems verhandelt. Sogenannte Reversalisten wollen den Geldverkehr auf den Kopf stellen: Geldbesitz ist verboten. Es muss immer im Handel sein. Arbeitnehmer müssen Arbeitgeber bezahlen. Wer Waren erwirbt, erhält dafür vom Verkäufer Geld. Exportierende Länder müssen ihren Waren noch den Gegenwert in Geld ins Ausland hinterherschicken. Leider bricht das Buch mitten in der Durchführung dieser Verrücktheit ab.
Die verständliche Wut des Autors
McEwan hat mit der Figur des Jim Sams ein Zwitterwesen aus Theresa May und Boris Johnson geschaffen: Johnson ist die Kakerlake, die die politischen Ziele des zaudernden Jim Sams zügig und mit Brutalität umsetzen will. Dieses Bild bringt die verständliche Wut des Schriftstellers zum Ausdruck, ist aber nicht nur politisch bedenklich, sondern trägt auch handlungstechnisch nicht über die 133 Seiten. Im Gegenteil, das Bild der Körperübernahme wird am Ende ganz lieblos und ohne Sinn für logische Details – die auch im Absurden absolut nötig sind – abgearbeitet. jw
Ian McEwan Die Kakerlake
Diogenes, 2019, 133 S., 19 Euro
Aus d. Engl. v. Bernhard Robben