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Iggy Pops „Every Loser“: Auf der Sonnenseite

Iggy Pop Every Loser
(Fot. Vincent Guignet)

Er ist wüst wie lange nicht und so pimmelfixiert wie eh und je. Doch mit 75 gönnt sich Iggy Pop auch dekadente Auszeiten vom Punk-Lifestyle.

„Ich will das Schicksal nicht heraufbeschwören“, verkündet Iggy Pop und lässt sein sonores, stets leicht augenzwinkerndes Lachen hören. Schließlich könne er sich ja glücklich schätzen, dass er nach den Drogenexzessen sowie einem grundlegend ausufernden Lebenswandel in den Siebzigern überhaupt noch unter den Diesseitigen weile. Klar, er hat diese Aktivität wenn nicht erfunden so doch zumindest popularisiert, aber nun will er sie lieber dem Jungvolk überlassen. „Ich habe mich vom Stagediving verabschiedet“, sagt er. „Ich mische mich bei Shows immer noch gern unter die Leute, aber das mit dem Springen lasse ich sein. Ich bin ja nicht bescheuert. Es ist einfach zu gefährlich für meinen gebrechlicher werdenden Körper.“ Iggy leidet an Skoliose, einer Wirbelsäulenerkrankung, und auch auch hüftseitig zwickt es zunehmend. „Ich bin schon froh, dass ich überhaupt noch laufen kann.“

Oben ohne

75 Jahre hat Iggy mittlerweile auf dem Buckel. Wenn er – bevorzugt mit freiem Oberkörper, in Ausnahmefällen aber auch mal unten ohne – über die Bühne springt und turnt, merkt man dem in Detroit als James Newell Osterberg Jr. geborenen Musiker sein Alter nur an, wenn man ganz nah an die legendär gegerbte Iggy-Haut ranzoomt. Immerhin lebt er seit fast 25 Jahren mit seiner Frau Nina Alu in Coconut Grove, einem Vorort von Miami, und geht viel schwimmen. „Ich habe da meinen Geheimstrand, der bei Touristen vollkommen unbekannt ist.“ Zudem nennt er auch ein bescheidenes Domizil in der Karibik sein Eigen.

Nachdem er früh harte Jahre durchmacht hat, immerzu pleite gewesen ist und mitunter auch mit mehr als nur einem Bein auf der Straße gelebt hat, liegt Iggy heute genüsslich auf der Sonnenseite des Lebens. Allerspätestens seit dem mit Josh Homme eingespielten Erfolgsalbum „Post Pop Depression“ aus dem Jahr 2016 kommt richtig Geld rein, und auch die Werbung für die Deutsche Bahn ist vor einigen Jahren nicht übel vergütet worden. Als eine der größten noch lebenden Rock-Ikonen kennt er seinen Marktwert und führt ein angenehmes Leben, in dem er sich von seinem Assistenten gern im Phantom Drophead Coupé Baujahr 2016, einem besonders großen und stattlichen Rolls Royce, durch den Sunshine State kutschieren lässt.

Iggy Pops „Every Loser“: Wunderbar wüst

Das besonders Bezirzende an „Every Loser“, seinem neuen und mittlerweile 19. Soloalbum: Man hört ihm Iggys späte Ankunft im Establishment zu keiner Sekunde an. Seit langer Zeit hat Iggy nicht so renitent, so schrabbelig und so wunderbar wüst wie auf den elf neuen Liedern geklungen. Mit dem herzlich hingerotzten Schwanzvergleich in „Frenzy“ geht das Album gleich gut los: „Got a dick and 2 balls, that’s more than you all“, faucht Iggy zu Beginn des Songs, in dem er eine Liebesraserei und die Auseinandersetzung mit irgendwelchen anderen Pimmelträgern besingt. Und auch sonst ist er nicht sanft: „Neo Punk“ pfeffert blauhaarige Poppunks, die weder singen können noch ohne Viagra einen hochkriegen, in die imaginäre Tonne.

Im Spoken-Words-Stück „My Animus Interlude“ bekommen die verdammten Schwänze, die nur auf den Ruhm stehen, kräftig einen mit. Und „Atlantis“ ist ein Abgesang auf das – menschlich wie klimatechnisch – dem Untergang entgegen taumelnde Miami. Gäste auf dem Album sind unter anderem Chad Smith von den Red Hot Chili Peppers, Travis Barker von blink 182, Stone Gossard von Pearl Jam, der 2022 verstorbene Taylor Hawkins von den Foo Fighters und Josh Klinghoffer. Zusammengebracht hat die Allstar-Riege der mit 32 sehr junge Produzent Andrew Watt, der schon bei den jüngsten Ozzy-Osbourne-Alben dafür Sorge getragen hat, einen Altmeister knackig und knusprig klingen zu lassen. Kennengelernt haben sich Iggy und Watt bei der Arbeit an einem gemeinsamen Song mit Morrissey, der noch unveröffentlicht ist.

Immer noch der Godfather

Lieb oder gar greisenweise ist er also nicht geworden, der Godfather of Punk. Zumindest nicht auf Platte, denn ansonsten ist Iggy Pop ein wirklich ganz, ganz herzlicher Kerl, der auch trotz des späten Booms nicht auszuticken gedenkt. „Ich war oben, ich war ganz tief unten in der Gosse, und ich habe bis heute diesen Alptraum, dass ich barfuß und mit nur einem einzigen zerknitterten Dollarschein in der Tasche durch eine mir fremde Stadt laufe. Was immer auch geschehen ist oder noch geschehen wird – ich werde niemals aufhören, mich als Underdog zu fühlen.“

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