Igorrr: Gegen die Eintönigkeit des Metals
Als Igorrr versetzt Gautier Serre Metal mit Klassik, 8-Bit mit Balkanklängen und Breakbeats. Das ist für ihn allerdings kein Gimmick, sondern ein persönliches Anliegen.
Gautier, mit all ihren Veränderungen wirkt die Musik von Igorrr für mich sehr sprunghaft, mitunter sogar absurd bis komisch. Siehst du das manchmal auch so?
Gautier Serre: Ich setze es mir nicht als Ziel, komische Musik zu machen. Ich möchte Musik machen, die zu mir passt, und lustig zu sein ist bloß ein Teil davon. In einer Stimmung fest zu stecken entspricht mir nicht, denn für mich ist Musik ein Ausdruck von Leben und von dessen Komplexität: Da gibt es auch nicht immer nur ein Gefühl. Black Metal, zum Beispiel, hat nur diese düsteren Vibes.
Wenn du also Elemente aus Metal, Barock, nahöstlicher Musik und Elektro miteinander verbindest, ist das etwas persönliches? Nicht bloß für den Schockwert?
Serre: Ja, genau. Ich liebe diese Musikrichtungen, die verschiedenen Stimmungen, die dabei entstehen und sich gegenseitig kontrastieren. Und ich liebe die Tatsache, dass meiner Musik dadurch keinerlei Grenzen gesetzt sind, dass sie sich jederzeit in eine andere Richtung entwickeln könnte. Das ist mein künstlerischer Antrieb.
Gab es denn auf deinem neuen Album „Spirituality and Distortion“ irgendetwas, was du bisher noch nie gemacht hast?
Serre: Sehr viel sogar. Zunächst durfte ich mit Musikern zusammenarbeiten, die ich sehr bewundere: George Fisher (Sänger von u.a. Cannibal Corpse, Anm. d. Red.) und dem Violinisten Timba Harris, der bei Mr. Bungle gespielt hat. Ich habe mich auch viel mehr mit dem Sound der Platte auseinandergesetzt, damit, wie ich den Klang der Instrumente organischer gestalten kann, ohne Samples. Gleichzeitig habe ich im Studio mit sehr viel neuer Hardware gearbeitet, um einen wärmeren Sound zu finden. Außerdem habe ich zum ersten Mal mit traditionell nahöstlichen Instrumenten aufgenommen, wie der Oud oder der Kaval. Insgesamt gibt es auf „Spirituality and Distortion“ viel mehr nahöstliche Musik als früher. Auf den anderen Igorrr-Alben steht vor allem Folkmusik aus dem Balkan im Vordergrund, das ist also auch neu.
Ist es das erste Mal, dass ihr alle Instrumentalteile live im Studio eingespielt habt?
Serre: Nein, das haben wir auf dem letzten Igorrr-Album „Savage Sinusoid“ (von 2017, Anm. d. Red.) schon so gemacht. Aber wir wollten die Erfahrung, die wir bei den Aufnahmen für „Savage Sinusoid“ gemacht haben dazu nutzen, das neue Album noch organischer klingen zu lassen, die Arrangements noch komplexer zu gestalten.
War die Produktion diesmal komplizierter, als du es sonst gewohnt bist?
Serre: „Komplizierter“ trifft es nicht. Es war die Hölle! Das wünsche ich echt niemandem. Ich habe mit so vielen unterschiedlichen Leuten gearbeitet, die alle aus unterschiedlichen Kulturen kommen, unterschiedliche Sprachen sprechen und auch in unterschiedlichen musikalischen Sprachen arbeiten. Manche von ihnen arbeiten ja nicht mal in demselben Notensystem. Zum einen habe ich zwar den Überblick über das große Ganze, aber auf einem Album wie diesem wird die Arbeit schnell sehr kleinteilig. Dem Sitar-Spieler zu vermitteln, was du von ihm willst, wenn seine Noten ganz anders heißen als die des Death-Metal-Gitarristen, und sich beide Musiker in ganz anderen Kontexten bewegen, das ist eine große Herausforderung.
Dieses Spiel mit den Kontrasten ist aber auch genau das, was dich an der Musik von Igorrr reizt, oder?
Serre: Genau, aber man muss auch die richtigen Kontraste finden. Das ist sehr komplex, und es ist schwer, die perfekte Mischung zu finden. Death Metal und 8-Bit-Musik bilden für mich tendenziell eher einen guten Kontrast als viele andere Genres, aber man muss jedes Element der Musik darauf ausrichten, dass es funktioniert. Die Struktur der Komposition und den Klang, aber auch bei den einzelnen Noten muss man aufpassen. Ob das am Ende funktioniert, hängt auch sehr davon ab, wie man es angeht. Aber egal, was man macht, man kann auch nicht jedes beliebige Genre einem anderen gegenüberstellen. Es muss schon der richtige Kontrast sein: Stille wiegt viel schwerer nach etwas unglaublich lautem, etwas sehr leichtes wie Chiptune wirkt dagegen noch leichter und verspielter, wenn es direkt neben schwerem Metal steht.
Interview: Jonah Lara
Spirituality and Distortion erscheint am 27. März auf Metal Blade Records.