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„Ihr wisst doch, dass ich ein Nerd bin!“

Dass rollende Steine kein Moos ansetzen, ist die ewige, in dicken Rock'n'Roll-Lettern gemeißelte Metapher für getriebene Musiker à la Joe Bonamassa. Doch wie hart muss ein Stein sein, um sich beim Rollen nicht über Gebühr abzunutzen?Von Ron Haller

Wenn Steine doch sprechen könnten. Na ja, vielleicht wollen sie ja einfach nicht, so wie man auch einem Joe Bonamassa nur ganz wenig von dem abringen kann, was ihn in seinem Inneren beschäftigt. Auf seiner eigenen Website gibt es einen Bereich, der den Titel „Who is Joe Bonamassa?“ trägt. Wer glaubt, dort viel über das Leben des Gitarristen aus New Hartford, New York zu erfahren, wird enttäuscht: Ein paar Titelseiten einschlägiger Rockmagazine, denen er Interviews gegeben hat und auf denen er in zumeist gleicher Pose seine jeweiligen Lieblingsinstrumente in die Kameras hält. Die Augen hinter dunklen Brillengläsern verborgen, der Blick angestrengt – entspannt kommt er da ganz und gar nicht rüber. Dabei kann der mittlerweile 42-Jährige eigentlich auch anders, ist ziemlich relaxed, wenn man ihn auf dem richtigen Fuß erwischt – und wenn es einen nicht groß stört, dass er selbst während eines Gesprächs noch auf einer Strat rumgniedelt, die er gerade irgendwo gekauft hat. In diesen privaten Momenten trägt Bonamassa schlabbrige Langarmshirts, fläzt sich in die Sesselpolster, und man denkt: Okay, jetzt erzähl doch mal, wie das mit deiner ersten Freundin war oder was du über den Klimawandel denkst. Fehlanzeige. Politik oder Privatleben, das geht irgendwie nicht. Entweder will da jemand eine ganz strenge Demarkationslinie zwischen seinem Job und seiner Existenz jenseits von Bühne und Studio ziehen – oder man sitzt jemandem gegenüber, der vor lauter Arbeit letztlich gar kein Privatleben hat.

Ein für Bonamassa typisches Statement: „Ich habe mir dieses Haus in der Nähe von Los Angeles gekauft, mein Makler und der Architekt sagen mir, es ist toll – aber ich selbst war noch nicht so oft da.“ Da wünscht man sich, Selbstironie zu hören, und fürchtet gleichzeitig, dass eher die Resignation eines Mannes mitschwingt, der sich selbst fragt, wie lange er diesen Nonstop-Zirkus zwischen Touren und Aufnahmen noch schultern kann. Ganz vage Hinweise darauf, dass dieser Joe Bonamassa auch mal chillen kann, finden sich in seinem Blog – aber man muss angestrengt danach suchen. Da schreibt er dann schon mal, dass er sich Knabberkram auf den Couchtisch stellt und die Füße hochlegt. Um im nächsten Moment freimütig zu gestehen, dass er in seinen Couchpotato-Momenten weder Playstation spielt noch sein Footballteam anfeuert. Joe Bonamassa zieht sich Musikdokus rein, zuckt mit den Schultern und sagt: Hey, ihr wisst doch, dass ich ein Nerd bin! Sei’s drum, geben wir uns damit zufrieden und freuen uns auf die nächsten künstlerischen Schritte. Leben wir mit der Gewissheit, dass Joe Bonamassa uns nicht einmal ansatzweise an den Dingen in seinem Leben teilhaben lassen wird, die ihn zu seinen düstereren Songs inspiriert haben.

Sieht ganz so aus, als werde Joe Bonamassa auch 2020 nicht allzu viel von seinem Haus haben. Im Mai kommt er erst mal wieder nach Deutschland, zuvor wird er in den USA und auf einer Bluescruise zu den Bahamas unterwegs sein. Zumindest setzt er so kein Moos an, sondern wirft sich in seinen Maßanzug, geht raus auf die Bühne und spult seine Setlist ab, die sich bis auf Weiteres weitgehend aus den Studioalben „Redemption“, „Blues of Desperation“, „Different Shades of Blue“ und „Dust Bowl“ speisen dürfte. Als Bonamassa im vergangenen Jahr das schon vor längerer Zeit in Sydney aufgenommene Livealbum auf den Markt geworfen hat, war sein Programm bereits so sattsam bekannt, dass Musikjournalisten schon damit begonnen haben, die Frage zu diskutieren, welche Gitarre er auf welchem Song gespielt hat. Ein nettes Quiz – für Nerds. Doch vielleicht ist es ja gerade diese perfekte Berechenbarkeit, die echte Fans dazu bewegt, sich auch zum dritten oder vierten Mal Joe Bonamassa live anzuschauen, ohne mit Überraschungen rechnen zu müssen: eine Art Pauschalreise ins ewig gleiche Resort, in dem man sich immer wieder wohlfühlt mit dem, was man hat. Auf Fünfsterne-Niveau, wohlbemerkt – da gibt es nichts, aber auch gar nichts zu bemäkeln. So langsam jedoch könnte der Meister mal wieder ein wenig experimentieren oder zumindest ein neues Ding mit Beth Hart durchziehen. Zwei Alben pro Jahr, das ist so der Schnitt, an den uns Bonamassa in den zurückliegenden Jahren gewöhnt hat. Die Dosis macht die Droge, man wird ihn danach fragen, was er so vorhat und ob es nicht an der Zeit wäre, mal wieder mit neuen Songs ins Studio zu gehen. Da baut sich Druck auf, da ist die Tretmühle, die jeder Songschreiber kennt: Je mehr du unterwegs bist, umso weniger Zeit hast du für genau die zurückgezogene, kreative Arbeit, die du bräuchtest, um neues Songmaterial zu liefern. Diesen Druck wird Bonamassa erst mal weglächeln, weil er weiß, dass ihm seine Fanbase aus der Hand frisst. Und es stimmt ja: Man macht garantiert nichts falsch, wenn man sich nach zwei Stunden bestem Bluesrock-Entertainment ohne schmutzige Ecken und Kanten sehnt und Tickets für Bonamassa zieht.

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