Alex Vargas im Interview: Befreit, erblüht und dem Publikum näher denn je
Alex Vargas berichtet über seine Liebe zur Live-Musik, die Einflüsse seines Albums und was es zu einem Wendepunkt macht.
Alex, in welchem Moment hat Kultur dein Leben verändert?
Alex Vargas: Ich bin schon als Teenager nach London gezogen. Was Live-Musik angeht, ist die Kultur in Großbritannien komplett anders als in Dänemark. Ich habe das Gefühl, wenn du in Dänemark kein etablierter Künstler bist, gibt es nicht viele Orte, an denen du deine Musik präsentieren kannst. Dagegen ist es in London zwar hart – deine Ausgaben werden höher sein als das, was du anfangs verdienst – aber es gibt tausende Anlaufstellen. Ich habe das in dem Ausmaß noch nirgendwo sonst auf der Welt gesehen. Deutschland und Holland sind in Europa wahrscheinlich zwei der musikliebendsten Länder, in denen ich gespielt habe, aber das ist auf einem ganz anderen Level als in Großbritannien. Live-Musik ist einfach Teil der Einrichtung in vielen Pubs, und so kannst du als komplett unerfahrener Musiker einfach üben, üben, üben. Mit 17 hatte ich eine Art wöchentlichen Gig, wobei ich eigentlich noch nicht einmal alt genug gewesen bin, um in die Bar zu dürfen. In der „12 Bar“ in der Denmark Street bin ich einfach aufgetreten, um neue Songs auszuprobieren. Ich war noch neu im Songschreiben, und die UK-Live-Musikszene hat mir die Möglichkeit gegeben, mein Handwerk zu erlernen. Live-Musik ist auch heute noch das, wofür ich lebe und atme. So sehr ich auch das Schreiben und das Aufnehmen liebe, mit Konzerten ist das einfach nicht zu vergleichen. Ein Leben ohne diese Live-Erlebnisse? … Das wäre einfach so, als hätte ich nichts.
Was unterscheidet denn die Studiomusik von der Live-Musik?
Vargas: Wenn du schreibst und im Studio etwas erschaffst, hast du natürlich eine Deadline, aber grundsätzlich hast du unbegrenzt Zeit. Es geht mehr darum, zu lernen, wann man den Stift zur Seite legt. Denn ein Lied ist nie fertig, du entscheidest dich nur aufzuhören daran zu arbeiten. Aber genau wie Live-Musik ist sie extrem therapeutisch. Du hast die Möglichkeit jede Emotion, die du willst, auszudrücken. Was großartig daran ist, diese Songs live zu spielen, ist, dass sie zu Beginn die Aufgabe haben dir als Therapie zu dienen. Heute sind manche meiner ältesten Songs aus neuen Gründen für mich therapeutisch. Sie finden irgendwie eine neue Aufgabe. Und dann ist da einfach die allgemeine Interaktion mit dem Publikum, wenn du live spielst. Das bekommst du nicht im Studio. Auf der Bühne hast du die Möglichkeit loszulassen, wild zu sein und diese Songs aus dem Studio zu nehmen und weiterzutragen.
Es ist eine andere Erfahrung mit dem Publikum.
Vargas: Ja, wenn du eine Platte veröffentlichst, bekommst du eine Rückmeldung, aber sie ist nicht unmittelbar. Menschen kontaktieren dich und erzählen, sie hätten deinen neuen Song gehört und sich so oder so damit gefühlt. Aber wenn du vor den Menschen spielst, führt kein Weg an der Ehrlichkeit vorbei. Wenn es dem Publikum nicht gefällt, wirst du es wissen. Und wenn sie es mögen, weißt du es auch. Sofort. Es ist ein sehr kraftvoller Austausch von Emotionen zwischen dem Performer und dem Publikum. Es ist das Beste, was ich kenne.
Du bist mit 17 Jahren für deine Musik nach Großbritannien gezogen. War das immer dein Traum? Oder hattest du viele Zweifel?
Vargas: Ich habe eine Musikkarriere viele Male angezweifelt. Es war sehr hart. Ich habe Musik in allen möglichen Formen gemacht. Und wenn du das vierte Mal hintereinander deine Miete nicht zahlen kannst, dann fängst du schon an zu hinterfragen, ob du tu solltest, was du tust. Aber was mein Leben in London angeht: Ich war das erste Mal dort als ich 14 war, mit meiner Oma und ihrem Mann. Ich weiß noch, wie ich zu ihr gesagt habe „Ich werde hier eines Tages leben“. Wir waren in einer sehr vollen Straße und sie sagte nur „Ich kann es hier nicht ausstehen“. Es war ihr viel zu hektisch. Aber ich wusste, ich sollte hier sein und drei Jahre später hatte ich die Möglichkeit dazu. Es war definitiv ein Traum nach London zu ziehen, er wurde nur viel schneller Realität als ich erwartet hatte. Ich dachte, ich würde meine Ausbildung in Dänemark machen und dann irgendwann dort hinziehen. Als Teenager hatte ich nicht wirklich einen Plan, aber da gab es keine Frage, ich wollte dem einfach nachgehen.
Du liebst die 60er und 70er. Inwiefern hat diese Zeit dein Album beeinflusst?
Vargas: Sie hat mein Album sehr stark beeinflusst! Ich habe ein paar Schreibtrips mit meiner Band gemacht und ihnen gesagt „Versucht euch eine Woche bevor wir losfahren nur Alben aus den 60ern und 70ern anzuhören. Und wenn wir weg sind, ist das alles, was wir hören werden“. Wir sind wirklich eingetaucht und das hat sehr viel Spaß gemacht. Die Klänge und Akkordwahl haben einfach etwas an sich, das ich sehr genieße. Ich glaube, heute wird vieles als „guilty pleasure“ abgetan. Aber ich weigere mich, mich dafür schuldig zu fühlen. Es ist meine liebste Art von Musik. Ich habe das Gefühl, das Songwriting war viel explorativer. In vielerlei Hinsicht würde ich sogar sagen, dass modernes Songwriting zu dieser Zeit erfunden wurde. Dieser Neugier in den Entscheidungen, die sie damals getroffen haben, wollte ich nachgehen. Ich war lange Zeit ein drei-vier-Akkorde-Typ und wollte es einfach halten. Aber wenn es Spaß macht es kompliziert zu machen, dann ist die Herausforderung es einfach klingen zu lassen. Es gibt Freund:innen, die behaupten, das hätten sie mir schon vor Jahren gesagt (lacht). Ich denke, es war nötig für mich aus meinen alten Gewohnheiten auszubrechen. Dieses Album ist ein Wendepunkt für mich. Es bezieht die zuhörende Person viel mehr mit ein und ist offener. Ich hoffe, die Menschen spüren, dass ich versuche sie zu umarmen, statt auf Distanz zu halten.
Dein Artwork ist sehr farbenfroh und besonders. Gibt es eine tiefere Bedeutung dahinter?
Vargas: Auf meinem letzten Album hatte ich diese kleinen grünen Pflanzen, die aus meiner Wirbelsäule gewachsen sind, aber ich habe nach unten gesehen, man konnte mein Gesicht nicht erkennen. Es war ein ganz anderes Album. „Big big Machine“ repräsentiert das befreite, aufgeschlossene Gefühl, das ich versucht habe in die Musik zu stecken. Mir gefällt der Gedanke des Erblühens. Ich komme aus dem Theater und wollte, dass diese Blumenmaske aussieht wie eine alte Theaterrequisite, die irgendwo backstage gefunden wurde. Wir haben sie extra so anfertigen lassen. Und ich mag sie einfach! Ich mag sie, weil sie eigenartig ist (lacht).