Wunden geschehen: Interview zum neuen Beirut-Album „Hadsel“
Kein Beirut-Album ohne Lebenskrise. Doch jetzt hat Zach Condon zumindest einen Ort gefunden, an dem er es (vorerst) aushält.
Zach, du hast dein neues Album im Norden Norwegens aufgenommen – und für mich ist es die bislang wärmste Beirut-Platte.
Zach Condon: Stimmt, wobei ich nicht genau weiß, ob es einfach nur an der Instrumentierung liegt. (lacht) Klar, die Kirchenorgel, die modularen Synthesizer, und für mich klingt ein Harmonium generell wie eine Umarmung. Wie häufig zuvor wollte ich ein intimes und warmes Album, aber in der Vergangenheit ist es oft ins Gegenteil gekippt.
Als wir uns vor vier Jahren zum Vorgänger getroffen haben, wirktest du gelöst und mit dir selbst im Reinen – doch dann musste auch diese Tour wegen gesundheitlicher Probleme abgesagt werden.
Condon: Während der Aufnahmen zu „Gallipoli“ hatte ich mit dem Alkohol aufgehört, und damals habe ich wirklich gedacht, ich hätte all meine Probleme gelöst. Aber das Trinken ist wie eine Fahrt auf einem Highway, bei der du all die geleerten Flaschen hinter dich wirfst. Wenn du dich dann dazu entscheidest, trocken werden zu wollen, ist das, als ob du mit voller Kraft auf die Bremse trittst – und die weggeworfenen Flaschen erwischen dich alle am Hinterkopf. So hat sich 2019 alles leicht angefühlt – bis dann die Tour losgegangen sind. Ich habe als 14- oder 15-Jähriger mit dem Trinken angefangen, und es sind Dinge auf mich eingeströmt, die ich seit meiner Jugend verdrängt hatte.
Dann stehst du Touren weder mit noch ohne Alkohol durch?
Condon: Der mentale Stress ist so groß, dass mein Körper auseinanderfällt. Ich bekomme Hautausschlag im Gesicht und muss Medikamente nehmen. Der Körper ist im Schockmodus, und dann kommt diese Diagnose der Ärzte: Wenn du jetzt singst, besteht die Gefahr, dass du deine Stimme für immer verlierst. Inzwischen habe ich eingesehen, dass es nicht geht, und mit „Hadsel“ sind bis jetzt auch nur Shows in Berlin geplant.
Beirut: „Hadsel“ erscheint am 10. November
Warum bist du für das neue Album dann ausgerechnet so weit in den Norden gegangen, wo selbst die Einheimischen wegen der ewigen Dunkelheit mit Depression und Alkoholsucht kämpfen?
Condon: Ich wollte die Polarnacht. Seit meiner Teenagerzeit repräsentiert der Tag für mich Angst, Stress und Chaos. Erst in der Nacht finde ich Frieden und komme zu mir. Und 2019 ist es extrem anstrengend gewesen: Wegen der ausgefallenen Konzerte habe ich meine Tage damit verbracht, mit Versicherungen zu telefonieren. Und ich musste meinen Bandmitgliedern erklären, dass ich die Tour nicht schaffe.
Die ungewohnt unverschlüsselten Texte lassen vermuten, dass du dich da oben auch viel mit Verdrängtem aus deiner Jugend auseinandergesetzt hast.
Condon: So kitschig es klingt, aber diese absurde Schönheit der Eislandschaft hat mich wieder Kind sein lassen. Viele abstinente Alkoholiker legen sich eine harte Schale zu – was ich gut nachvollziehen kann, da man ständig in Alarmbereitschaft ist und sich schützen will. Doch wenn ich in Norwegen aus dem Fenster meine Hütte geschaut habe, konnte ich kein zynischer Erwachsener sein.
Hast du mal überlegt, ob die Insel in Norwegen nicht dein neues Zuhause werden könnte?
Condon: Tatsächlich bereite ich gerade nach und nach den Umzug vor und lerne sogar schon die Sprache. Ich bin jetzt seit sieben Jahren in Lichtenberg und brenne so langsam aus. Aber nichts gegen Berlin, es ist für mich eher ein generelles Problem mit Großstädten.