James Anderson: Desert Moon
In „Desert Moon“ von James Anderson verwischt die flirrende Wüstensonne die Grenzen von Recht und Schuld.
Paketboten leben gefährlich: Sie wissen nie, was sie wirklich befördern, oder auf wen sie bei der Zustellung treffen. Ben Jones beliefert regelmäßig mit seinem Truck eine Handvoll Menschen, die in der Wüste von Utah entlang der State Road 117 wohnen. Längst wundert er sich nicht mehr über die Freaks, die sich hier in der Einsamkeit verkriechen: Den mürrisch-wortkargen Walt, dessen 50er-Jahre Diner immer geschlossen hat. Oder Prediger John, mit dem er als Ritual unsichtbare Zigaretten raucht. Als Ben jedoch bei einem Pinkelstopp eine Frau entdeckt, die sich in einem vermeintlich leerstehenden Haus versteckt, wird er neugierig. Die geheimnisvolle Claire, die lautlos auf einem Cello ohne Saiten spielt, zieht ihn sofort in ihren Bann und er verliebt sich in sie. Das hat ungeahnte Folgen, denn fortan steht Ben unter Beobachtung. Zu spät erkennt er, dass in der Wüste eigene Gesetze gelten. Und auch ein grausames Verbrechen, das sich vor vielen Jahren in Walts Diner ereignete, wird Bens Leben von nun an ändern. James Andersons Debütroman zieht den Leser in einen Sog, dem man sich nur zu gern aussetzt. Geschickt changiert Anderson zwischen Krimi- und Liebesgeschichte, deren skurrilen Verlauf er unaufgeregt, aber intensiv steigert. Dabei erzeugen seine ungewöhnlichen Protagonisten und die bedrohliche, aber zugleich faszinierende Landschaft eine mystische Atmosphäre, bei der die flirrende Wüstensonne die Grenzen von Recht und Schuld verwischt. nh
James Anderson Desert Moon
Polar Verlag, 2018, 330 S., 18 Euro
Aus d. Engl. v. Harriet Fricke