„Jay Kelly“ im Kino: Ein Film für George Clooney – und für uns?
In Noah Baumbachs neuem Film spielt George Clooney einen Filmstar, der verdächtig an George Clooney erinnert. Das Highlight ist allerdings Adam Sandler.
Man kann verstehen, dass Noah Baumbach „Jay Kelly“ drehen wollte. Seine neue Tragikomödie ist eine Auseinandersetzung mit dem Preis des Ruhms und der Leere hinter der glitzernden Hollywood-Fassade, Themen, die noch jeden Hollywood-Regisseur gefesselt haben. Und mit George Clooney in der Hauptrolle haben Baumbach und Emily Mortimer, die mit ihm das Drehbuch geschrieben hat und selbst eine kleine Rolle spielt, den vielleicht einzigen Schauspieler gewinnen können, der diese Rolle hätte spielen können: der letzte Filmstar alter Schule, der nur mit seinem Namen, Aussehen und Charisma Sitze füllen kann.
Und man versteht, warum es Clooney gefallen hat, sich mit Aspekten seiner eigenen Persona auseinanderzusetzen und vielleicht sogar ein wenig damit abzurechnen. Doch all das lässt die Frage offen: Warum sollte es mich interessieren, den normalen Zuschauer, der eben kein Filmstar ist und sich mit den meisten Problemen, denen sich Jay Kelly ausgesetzt sieht, nie wird beschäftigen müssen? Der Film kann diese Frage nicht wirklich beantworten – und ist doch in allen Aspekten so gut gemacht, dass es vielen Fans ausreichen wird, wenn der in den Kinos und im Dezember auch auf Netflix startet.
Jay Kelly klingt ein bisschen wie …
Jay Kelly – selbst sein Name erinnert vom Rhythmus her an den des Schauspielers, der ihn verkörpert – ist einer der größten Stars in Hollywood. Wir treffen ihn beim Dreh einer Schlussszene, und selbst im Umfeld professioneller Filmemacher:innen begegnen ihm die Leute mit Ehrfurcht. Doch mehrere Ereignisse werfen Jay aus der Bahn: Seine jüngste Tochter Daisy (Grace Edwards) wird bald ausziehen und will vorher noch einen Trip durch Südeuropa machen. Von der älteren Tochter Jessica (Riley Keough) ist Jay mehr oder weniger entfremdet, sie wirft ihm vor, früher nie genug für sie dagewesen zu sein. Dann stirbt auch noch Peter Schneider (Jim Broadbent), der Regisseur, der Jay damals entdeckt hat und dem er kurz vor seinem Tod noch den Wunsch abgeschlagen hat, einen letzten gemeinsamen Film zu drehen. Bei der Beerdigung trifft Jay auf Timothy (Billy Crudup, ein kleines Highlight), seinen ehemaligen besten Freund, der ihm vorwirft, ihm ebenjene Rolle in Schneiders Film, die Jay zum Star gemacht hat, gestohlen zu haben.
Ganz klar: Jay steckt in der Krise. Das zeigt Baumbach durch Flashbacks, bei denen der ältere Jay im „Wilde Erdbeeren“-Stil durch Szenen aus dem Leben des jüngeren Jay läuft: das schicksalshafte Vorsprechen mit Timothy, die letzte desaströse Unterhaltung mit Jessica, eine romantische Szene mit einer Schauspielerin, mit der er eine Affäre hatte. Kurzerhand beschließt Jay, seinen nächsten Film abzusagen und Daisy nach Europa zu folgen, wo er in der Toskana einen Preis für sein Lebenswerk verliehen bekommen soll – den er zunächst abgelehnt hatte. Also geht es mit dem Flugzeug nach Paris und von dort in den Zug nach Süden, sehr zum Leidwesen von Jays PR-Frau Liz (Laura Dern) und Manager Ron (Adam Sandler). Vor allem die Beziehung zwischen Jay und Ron wird nach und nach zu einer der zentralen des Films: Ron hat Jay sein Leben gewidmet, ist sich aber zunehmend unsicher, ob sie wirklich Freunde sind oder einfach nur Boss und Angestellter.
Ein weiterer Durchbruch für Adam Sandler
Alle Schauspieler:innen sind hervorragend, und der immer leicht unterschätzte Clooney steht natürlich im Zentrum. Aber es ist Adam Sandler, der am stärksten im Gedächtnis bleibt und ein weiteres Mal beweist, wie gut er sein kann, wenn das Drehbuch gut genug ist – wie er etwa schon in Baumbachs „The Meyerowitz Stories“ (2017) gezeigt hat. Wie Sandler subtile Emotionen wie Wehmut, Nostalgie, Enttäuschung verkörpert, wie verletzlich er sich macht, wie lächerlich und zugleich herzerwärmend seine Figur ist, macht sein Spiel hier zu einer der filmischen Leistungen des Jahres. Natürlich hilft ihm das Drehbuch, das in typischer Baumbach-Manier gerade in den höchst dynamischen und realistischen Dialogen glänzt. Das hält auch vor, als die Handlung sich im zweiten Akt nach Europa verlagert und der etwas zu lange Zugsequenz irgendwann die narrative Puste ausgeht. Doch Clooney ist so charmant, die Atmosphäre so locker-leicht, dass „Jay Kelly“ auch in diesen Momenten nie wirklich langweilig wird.
Ein Mann hat am meisten davon
Bleibt nur noch die Eingangsfrage: Wie interessant ist es, gerade angesichts der aktuellen Weltlage einen Film über einen Mann zu drehen, der noch privilegierter ist, als es Baumbach-Protagonist:innen ohnehin meist sind? Und was will „Jay Kelly“ letztlich überhaupt sagen: Haben sich die Opfer, die Jay für seine Karriere gebracht hat, gelohnt? Ist er ein im Grunde guter Kerl oder eine leere Hülle, die auch im Privaten nur Projektionsfläche bleibt? Wenn Jay ein ganzes Zugabteil aus Reisenden durch seine bloße Gegenwart verzaubert, ist das auch ein Plädoyer für die Magie, die sein Job bewirken kann. Und wenn er am Schluss einen Zusammenschnitt ikonischer Szenen aus seinen Filmen schaut und das natürlich alles echte Szenen aus echten Filmen mit George Clooney sind, macht das auf eine postmoderne Weise Spaß. Aber man kann um den Verdacht nicht umhin, dass ein Mann im Publikum mehr davon hat als alle anderen: George Clooney.