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„Jetzt kling ich schon wie Hannes Wader“

100 Kilo Herz
100 Kilo Herz (Foto: Ania Sudbin)

Selbst bei Kaffee und Kuchen braucht die Leipziger Brass-Punkband 100 Kilo Herz manchmal Polizeischutz. Ein Interview über Mitte-Extremismus, die AfD und warum am Ende vielleicht doch alles ok wird.

Steffen, Marco, seit eurem letzten Album hat die Band mit dir, Steffen, einen neuen Sänger. Dass nun bei „Hallo, Startblock“ nicht mehr wie noch bei den vorherigen Alben zwischen politischen und persönlichen Inhalten unterschieden wird, ist dann wohl dir zuzuschreiben?

Steffen: Zu 90 Prozent, ja. Ich finde es langweilig, bei politischen Inhalten das zu sagen, was sowieso auf der Hand liegt. Natürlich sind wir gegen Nazis. Natürlich finden wir Trump und Putin scheiße. Natürlich finden wir den Krieg im Nahen Osten scheiße. Die Prämisse dieses Albums war es jedoch eher, für etwas zu sein. Für Liebe, für Zusammenhalt.

Ein wiederkehrendes politisches Thema dieses Albums ist ein Mitte-Extremismus. Eine bürgerliche Verrohung. Die Radikalisierung im Einfamilienhaus.

Steffen: Es war damals die Mitte, die Hitler an die Macht gebracht hat, und auch heute ist es die Mitte, die den rechten Rand stärkt. Diese Gruppe ist viel entscheidender als die klassischen Baseballschläger-Nazis. Antifaschismus als Grundeinstellung ist einfach nicht mehr gegeben in diesem Land.

Das liegt womöglich auch an einem abhandengekommenen Klassenbewusstsein, wie ihr es in dem Song „Im selben Boot“ beklagt.

Steffen: Das ist das größte Problem aktuell. Es geht nur noch um den eigenen Vorteil. Solidarität ist völlig egal geworden. Da muss man nicht mal nur auf die CDU zeigen, sondern genauso auf die SPD. Die beuten die Arbeiterklasse doch genauso aus – jetzt klinge ich schon wie Hannes Wader. (lacht)

Marco: Im Osten merken wir gerade, wie unglaublich stark die AfD geworden ist. Sie sitzt in so vielen Stadträten, stellt Bürgermeister, und als Erstes werden Gelder für die Jugendklubs und AJZs gestrichen. Das sind Orte, die uns politisch erzogen haben. In der Provinz wird da gerade ganz schön was abgerissen. Mich macht das unheimlich wütend.

Umso bemerkenswerter, dass ihr nicht müde werdet, darüber zu sprechen.

Marco: Es gibt ja auch ganz viele tolle Strukturen, die dagegen halten und die Fahne hochhalten. Sei es Rock Am Berg, das Störfaktor-Festival oder auch so Aktionen wie von den Beatsteaks, die ihre Strahlkraft nutzen und durch die AJZs touren. So was muss bewahrt werden. Und der Westen sollte gewarnt sein vor dem, was hier schon passiert.

Fühlt ihr euch denn als explizit linke Band wachsender Bedrohung ausgesetzt?

Marco: Wir haben letztes Jahr beim Festival der Initiative Buntes Rosslau gespielt. Dort wurde letztes Jahr ein AfD-Bürgermeister gewählt, der vorab Fakenews gestreut hat, und während unseres Konzerts liefen dann dort ganz unangenehme Gestalten herum.

Steffen: Das war nicht mal ein dezidiert linkes Festival. Einfach ein friedliches Sommerfest. Und plötzlich musst du zwischen Kaffee und Kuchen von der Polizei beschützt werden.

Jetzt startet euer neues Album aber mit der zuversichtlichen Ansage „Am Ende wird’s eh ok“. Ist das so?

Steffen: Natürlich können wir auch darauf warten, dass der Meeresspiegel steigt und die Bomben einschlagen, aber du kannst dich nicht nur verkriechen und heulen. Wir dürfen daran nicht kaputtgehen.

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