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Team Bauchgefühl: Joe Goddard über „Harmonics“

Joe Goddard by Louise Mason9 300dpi
(Foto: Louise Mason)

Inspiriert vom Tennis: Auf seinem dritten Soloalbum setzt Joe Goddard von Hot Chip radikal auf Intuition.

Joe, als wir vor zwei Jahren über das letzte Hot-Chip-Album gesprochen haben, hast du über dein professionalisiertes, überanalytisches Hörverhalten geklagt. Konntest du dich mit deinem dritten Soloalbum „Harmonics“ davon befreien?

Joe Goddard: Während der Produktion habe ich viel darüber nachgedacht, was es bedeutet, Musik zu machen. Also über die Möglichkeiten, einen Song in eine spezifische Richtung zu drängen. Ich bin in der Vergangenheit total obsessiv gewesen. Während meiner Reisen habe ich über Sounds nachgedacht, ja sogar im Schlaf. Die Frage nach der richtigen Entscheidung hatte mich komplett im Griff. Nun sollte alles wieder intuitiver werden. Gegen kommerziellen Erfolg und das Ego. Für die Schönheit.

Du hast auch versucht, deine Songtexte intuitiver zu schreiben, dich vom inhaltlichen Ausdruck zu entfernen.

Goddard: Wenn ich Musik mache, bilden sich oft Wörter in meinem Kopf, lange bevor ich weiß, wie das Song-Konzept aussehen soll. Manchmal ist es schöner, diese Worte nicht zu überarbeiten, sie nicht in einen kohärenten Zusammenhang zu stellen. Lass den Song amorph sein. Erlaube ihm, natürlich zu sein. Oft sind diese ersten Wörter sowieso die richtigen.

Du bist also Team Bauchgefühl.

Goddard: Unser Bewusstsein hemmt uns auch. Gestern habe ich einen Podcast über professionelle Tennisspieler:innen gehört. Wenn die anfangen, nachzudenken, funktioniert nichts mehr.

Auf diesem Album hast du die unterschiedlichsten Künstler:innen versammelt. Da stelle ich mir das Loslassen ziemlich schwer vor.

Goddard: Klar, alleine ist es leichter, sich im Musikmachen zu verlieren. Mit so vielen anderen zusammenzuarbeiten, ist immer auch ein Abwägen, ein Aushandeln. Das Schöne ist aber, dass es dich ganzheitlich fordert. Manchmal geht’s nur darum, ein Mikrofon zum Laufen zu bringen, manchmal musst du Künstler:innen aber auch ein sicheres Gefühl geben, damit sie ihren eigenen Wert anerkennen. Der Job ist zu gleichen Teilen psychologisch, künstlerisch und technisch.

Das Ergebnis reicht dabei von House und Garage bis zu Afrodance und Synthiepop. Was alle Songs irgendwie verbindet, ist diese Magie großer Dancemusik. Worte wie Flow, Healing und Summon haben nicht ohne Grund prominente Plätze. Als hättest du mit diesem Album das Gute beschwören wollen.

Goddard: Aus politischer Perspektive habe ich das Gefühl, dass es aktuell vielen Menschen an Empathie mangelt. Es fehlt uns an Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Es wird gebrüllt, und die rechten und populistischen Kräfte profitieren. Das beschäftigt mich wirklich sehr. Es braucht wieder Orte, an denen wir uns ernsthaft zu Themen wie dem Nahostkonflikt, Transphobie und Immigration austauschen können. Gerade ist es wie im Wilden Westen.

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