John Boyne: Cyril Avery
Mit „Cyril Avery“ legt John Boyne ein 700 Seiten starkes Epos vor, das es locker mit John Irving aufnehmen kann.
John Boyne weiß schon sehr genau, warum er seinen neuen Roman dem US-Kollegen John Irving widmet: Nachdem dem 47-jährigen Iren mit dem Jugendbuch „Der Junge im gestreiften Pyjama“ der Durchbruch gelungen war, verhandelten auch seine Erwachsenenbücher sehr ernste Themen, und so ging es zuletzt in „Die Geschichte der Einsamkeit“ etwa um sexuellen Missbrauch in der Kirche. Natürlich hat Boyne auch in „Cyril Avery“ sehr viel Tragisches zu berichten, wenn er anhand der Biografie seines Titelhelden die Entwicklung seines vom Katholizismus geprägten Heimatlandes nach 1945 nachzeichnet: Jahrzehntelang wurde Homosexualität kriminalisiert und Sexualität an sich sich war mit Angst besetzt – doch dann sprach sich Irland als erstes Land der Welt in einer öffentlichen Abstimmung für die gleichgeschlechtliche Ehe aus. Doch Boyne unterhält auch mit skurrilen Figuren, aberwitzigen Anekdoten und an Irving erinnernden Motive: Bei Cyriln ist nicht etwa nur der Vater abwesend, sondern gleich beide Elternteile, und mit der exzentrischen, wunderbar zynischen und ständig rauchenden Maude Avery bekommt er eine Adoptivmutter, deren posthumer Ruhm als Schriftstellerin an die Diskriminierung von Autorinnen innerhalb des Literaturbetriebs gemahnt. Cyril selbst verzehrt sich jahrzehntelang nach seinem besten Freund Julian Woodbead, doch dann steht er plötzlich mit dessen Schwester Alice vor dem Altar. Er muss ins liberalere Amsterdam flüchten, erlebt das Aufkommen von Aids in New York, und wenn er schließlich im hohen Alter nach Dublin zurückkehrt, endet ein mehr als 700 Seiten starkes Epos, dessen Figuren beim Leser deutlich länger nachwirken als das Personal von Irvings „In einer Person“. cs