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John Wray: Das Geheimnis der verlorenen Zeit

Mit einen aberwitzigen Zeitreiseabenteuer legt John Wray den schlauesten Schmöker der Saison vor. Trotzdem fragt sich der österreichisch-amerikanische Autor, ob er nicht besser Musiker geworden wäre.

John, stell dir vor, du könntest wie die Helden in deinem neuen Roman an der Zeit drehen. Was würdest du mit dieser Fähigkeit anfangen?

John Wray: Ich würde dafür sorgen, dass ich besser Gitarre und vor allem besser Schlagzeug spielen könnte. Wenn man nicht früh genug mit einem Instrument anfängt, kommt man irgendwann an einen Punkt, an dem es nicht weitergeht. Egal, wie sehr man sich reinhängt.

Verbergen sich hinter diesem Wunsch Zweifel, mit der Literatur vielleicht doch nicht die passende künstlerische Ausdrucksform gewählt zu haben?

Wray: Ach, ich glaube nicht, dass ich Profimusiker geworden wäre. Aber die Musik hat natürlich etwas Universelles – während man als Schriftsteller immer an eine Sprache gebunden und auf gute Übersetzer angewiesen ist. Trotzdem mache ich Musik heutzutage nur noch als Hobby. Am Wochenende kommen mich oft Freunde besuchen, und im Keller meiner Wohnung in Brooklyn haben wir uns einen Proberaum eingerichtet, wo alles mögliche rumsteht, sogar Synthesizer, die wir auf der Straße gefunden haben. Das ist für mich ein wichtiger Ausgleich, aber es ist ganz sicher nicht für die Öffentlichkeit.

Aber womöglich kann Musik ja Gefühle beschreiben, für die es keine Worte gibt?

Wray: Das könnte schon gut sein, und früher habe ich in einigen Bands gespielt, mit denen es mir durchaus ernst war. Als ich um die 20 war, habe ich aber auch mit dem Gedanken gespielt, Filme zu machen. Ich war mir sicher, dass ich Künstler sein wollte, aber wie genau ich mich ausdrücken sollte, war mir damals noch nicht klar. Zum Glück habe ich dann aber doch bald gemerkt, dass nur für die Literatur ausreichend Talent vorhanden ist – und damit bin ich eigentlich auch bis heute zufrieden.

Es werden viele Musiker verehrt, die ihr Instrument nur sehr unzureichend beherrschen – während man als dilettantischer Schreiber in der Literatur keine Chance hat.

Wray: Stimmt, da kommt der Literatur eine Sonderstellung zu. Ich kenne auch extrem erfolgreiche Maler, die eigentlich keinen Apfel zeichnen könnten. Aber selbst, wenn man an die Beat-Autoren denkt: Die waren an der Columbia University oder haben eine vergleichbar gute Ausbildung gehabt. Der einzige, auf den das nicht zutrifft, war Neal Cassidy – aber der war für sie auch eher eine Leitfigur, und kein Mensch liest, was er geschrieben hat.

Du unterrichtest ja auch Kreatives Schreiben.

Wray: Aus einem ähnlichen Grund aber immer seltener. Du kannst dich mit jemanden unterhalten, der viel gelesen hat und sehr intelligent wirkt – aber wenn diese Person dann einen fiktionalen Text schreibt, merkst du, dass das nötige Gehör irgendwie nicht vorhanden ist und es nicht reicht. In allen anderen Punkten kannst du als Lehrer helfen: Themenwahl, Dramaturgie – aber wenn dieses Gefühl nicht da ist, dann ist das vergleichbar mit jemandem, der immer falsch singt. Ich bin mir nicht sicher, ob es ausschließlich auf Bildung ankommt, aber sie spielt schon zu einem großen Teil mit rein – und das finde ich an der Literatur sehr ärgerlich.

Schreibschülern wird oft vorgeworfen, sie kleben zu eng an der eigenen Biografie. Hast du dann nicht einen Anfängerfehler gemacht, indem du
„Das Geheimnis der verlorenen Zeit“ ursprünglich als Familienchronik geplant hast?

Wray: Das war tatsächlich vor sieben Jahren mein Ausgangspunkt, und viele Details stimmen nach wie vor – aber von Anfang an wusste ich, dass ich sofort umschwenke, wenn mir etwas nicht besonders spannend vorkommt. Tatsächlich war mein tschechischer Ururgroßvater ein Naturforscher, aber eben Geologe. Und die Geologie finde ich sterbenslangweilig: Steine eben. Dann doch lieber Physik, und all die wilden Sachen, die der Familie zustoßen, rechtfertigen für mich, dass ich nicht bei der Wahrheit geblieben bin. Ich hätte von Bäckerfamilien berichten müssen statt von einem Gurkenzüchter. Und Gurken gehören für mich zu den witzigsten Dingen, über die man schreiben kann.

Interview: Carsten Schrader

CHECKBRIEF
NAME John Wray
ALTER 45
GEBURTSORT Washington, D.C.
WOHNORTE Brooklyn, Friesach (Kärnten)
STUDIUM Biologie am Oberlin College, das Literaturstudium an der New Yorker Columbia University hat er abgebrochen
BEKANNTESTER ROMAN „Retter der Welt“ (2009)
AKTUELLER ROMAN „Das Geheimnis der verlorenen Zeit“
INHALT Der junge Waldemar Tolliver sitzt in einem vermüllten Appartment in der Nähe des Central Parks und meint, in einer Zeitblase gefangen zu sein. Er glaubt, sich nur dann befreien zu können, wenn er das Geheimnis seiner Familiengeschichte lüftet, das bei seinem Urgroßvater, einen Hobbyphysiker und Produzenten eingelegter Gurken aus dem k. u. k.-Städtchen Znaim, seinen Ursprung hat.

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